Die Kunden und Mitarbeiter des Rewe-Marktes in Spandaus Nachbarort Falkensee sind am Dienstagabend nur knapp einer Katastrophe entgangen. Das Dach des etwa 1500 Quadratmeter großen Marktes im Einkaufszentrum Akazienhof war kurz nach Ladenschluss plötzlich eingestürzt. Verletzt wurde niemand. Einzig der Leiter des Geschäftes befand sich noch im Gebäude, wurde aber wie durch ein Wunder nicht getroffen. Nach Polizeiangaben brach das Dach um 22.18 Uhr ein – der Supermarkt im Einkaufszentrum Akazienhof hatte um 22 Uhr seine Türen geschlossen. Zum Glück im Unglück: Anwohner, die zu den Kunden zählen, bestätigen, dass zu Spitzenzeiten allein bei Rewe bis zu 100 Menschen im Laden sind.
Auch einen Tag nach dem Einsturz herrschte unter den Experten noch keine Gewissheit über die Ursache. Nicht auszuschließen sind Materialfehler oder auch Fehler in der Bauausführung. „Ein Einsturz wegen statischer Mängel an der Konstruktion des Satteldaches schließen wir aus“, sagt Kirsten Wulff von der in Hamburg ansässigen Herkules Grundbesitz AG. Diese verwaltet seit 2005 im Auftrag einer dänischen Kommanditgesellschaft das Areal an der Bahnhofstraße, auf dem auch noch andere Geschäfte ansässig sind. Noch am Unglücksmorgen habe ein Mitarbeiter das Areal wie üblich inspiziert. Es habe keine Anzeichen für die Katastrophe gegeben.
Marktleiter unter Schock
Der Geschäftsführer des Rewe-Marktes, Hans-Jürgen R. war zum Unglückszeitpunkt im Geschäft und nahm die allabendliche Abrechnung vor. Plötzlich hatte es ein dumpfes Geräusch gegeben und die Decke stürzte ein. Lediglich eine Querwand, die die herabstürzenden Teile abfing, bewahrte den Geschäftsmann vor Schlimmerem. Blitzschnell erfasste er die Situation und alarmierte Polizei und Feuerwehr. „Die Rettung des Filialleiters war nur möglich, da er uns eine detaillierte Beschreibung der Innenräume gegeben hatte“, sagt der Einsatzleiter der freiwilligen Feuerwehr Falkensee Frank Christ. Feuerwehrleute zogen den unter Schock stehenden Mann unverletzt aus den Trümmern.
Am Morgen war dann das Ausmaß der Katastrophe erst richtig sichtbar: Teile der Dachabdeckung hängen nur noch an Kabelsträngen. Platten liegen auf den Kühltruhen und auf dem Fußboden in den Gängen zwischen den Einkaufsregalen glitzern die Splitter der kaputten Deckenbeleuchtung. Ein Betreten des Supermarktes ist verboten. Das gesamte Einkaufszentrum - darunter der Rewe-Nachbar Aldi, der Textildiscounter Kik und Rossmann - blieb geschlossen. Sie wurden laut Stadtsprecherin nach mehr oder weniger der gleichen Bauweise errichtet.“
Die Menschen in Falkensee und im angrenzenden Spandau sind schockiert. „Es ist ein beklemmendes Gefühl. Ich gehe hier mit meinen Kindern regelmäßig einkaufen. Zum Glück ist niemandem etwas passiert“, sagt Anwohnerin Anett Czech (41). Kritisch sieht Günter Streich aus Falkensee die Situation. „Mein erster Gedanke war Pfusch am Bau. Ich hab mich gewundert, dass so etwas passiert, obwohl das Gebäude erst wenige Jahre alt ist. Dennoch habe ich auch künftig keine Angst, in derartigen Supermärkte einkaufen zu gehen.“
Inspektionen nach Vorfall in Bad Reichenhall
Im Herbst sei an dem Rewe-Dach eine undichte Dachluke repariert worden, sagte Immobilienmanagerin Wulff. Die Firma Aldi, die ebenfalls ein Objekt auf dem Areal betreibt, habe im vergangenen Jahr eine Inspektion des Daches veranlasst. Anlass sei der Vorfall in Bad Reichenhall gewesen, wo am 2. Januar 2006 beim Einsturz einer Flachdach-Sporthalle 15 Menschen ums Leben kamen.
Daraufhin hatte Berlin nicht nur alle öffentlichen Hallen technisch untersucht, sondern Ende 2006 auch privaten Eigentümern von Bau- und Supermärkten wie Lidl, Aldi, Rewe und Edeka die Checkliste des Bundesbauministeriums mit der Empfehlung der Prüfung zukommen lassen, berichtete gestern der Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Marko Rosteck. „Wir haben allen Eigentümern dieser hallenähnlichen Gebäude damals empfohlen – natürlich auf freiwilliger Basis –, die tragenden Teile prüfen zu lassen“, so Rosteck. Noch will man aber in Berlin nicht die Supermärkte kontrollieren und die Untersuchungen in Falkensee abwarten.
Nach Angaben des dortigen Bürgermeister Heiko Müller (SPD) vergleichen die Gutachter nun zunächst, ob das Gebäude mit den Bauplänen übereinstimmt. Dann werde überprüft, ob der Einsturz eventuell durch bauliche Anpassungen hervorgerufen wurde. Das heißt, ob nicht beispielsweise ein Pfeiler weggenommen wurde. Materialprobleme würden auch kontrolliert, seien aber in Deutschland recht selten.
„Die Arbeit eines Statikers, wird immer durch einen Prüfstatiker kontrolliert“, sagt Patrick Sellerie, persönlicher Referent des Bezirksstadtrates für Bauen, Planen und Umweltschutz Carsten Röding (CDU) aus dem Nachbarbezirk Spandau.
Supermärkte als Fertigbauten
Supermärkte seien in der Regel Fertigbauten und könnten normalerweise nicht einstürzen, außer durch äußere Einflüsse. Doch die gab es in Falkensee nicht. Noch in der Nacht war Bürgermeister Müller zur Unglücksstelle geeilt und erste Maßnahmen veranlasst. So unter anderem, dass alle Geschäfte in dem Einkaufszentrum vorerst geschlossen bleiben. „Es ist erschreckend, dass ein Dach einfach so in sich zusammenfällt“, sagt Müller.
Seit Mittwoch ermittelt die Kripo wegen des Verdachts der Baugefährdung. „Wir werden den Fall dann an die Staatsanwaltschaft übergeben“, sagt Sandra Pokorny, Sprecherin der Polizei im Schutzbereich Havelland. Solange die Einsturzursache nicht geklärt ist, bleibt das Areal gesperrt. In Berlins Bauämtern wartet man ebenfalls auf die ersten Untersuchungsergebnisse des Unglücks.
Andreas Geisel, SPD-Baustadtrat in Lichtenberg, räumt zwar ein, dass man nie hundertprozentig sicher sein könne, aber „durch die sehr detaillierten Bauvorschriften in Deutschland sind solche Dacheinstürze eigentlich so gut wie ausgeschlossen“. Die Statik von einem geprüften Statiker berechnen zu lassen, sei auch für solche Supermärkte Voraussetzung für eine Baugenehmigung.
Geisel sind in Lichtenberg keine vergleichbaren Probleme bekannt. Nur einmal habe es Schwierigkeiten mit Balkons an DDR-Plattenbauten gegeben. Daraufhin hätte das Bauamt die Eigentümer angeschrieben, damit die Balkons untersucht wurden. Einige seien gesperrt und saniert worden, erinnert er sich. Grundsätzlich gehe der Bezirk rigoros vor, wenn statische Probleme befürchten würden. Sein Kollege aus Charlottenburg-Wilmersdorf, Baustadtrat Klaus-Dieter Gröhler (CDU), möchte ebenfalls nicht über mögliche Ursachen spekulieren: „Erst aus den endgültigen Ergebnissen der Untersuchung wird man Rückschlüsse auf die Frage ziehen können, ob sich für die Berliner Bauaufsichtsämter Veränderungen aus dem Vorfall ergeben.“ (mit dpa)