Hansfelde und Wismar sind die wohl aufsässigsten Dörfer Brandenburgs. Das liegt daran, dass es ihren Anwohner missfällt, zu Berlins Nachbarbundesland zu gehören. Sie wollen lieber in Mecklenburg-Vorpommern liegen. Und dafür streiten die Einwohner mit großer Entschiedenheit.
Hansfelde und Wismar sind immer noch da. So ungefähr lassen sich die Neuigkeiten aus jenen zwei Dörfchen zusammenfassen, die nicht nur die nördlichsten in Brandenburg sind, sondern wohl auch die renitentesten. Die rund 200 Einwohner wollen weg aus ihrem Bundesland. Und zwar samt ihrer Dörfer. Seit 2007 flehen sie um eine Verschiebung der Landesgrenze, sie richteten eine Petition an den Landtag in Potsdam, lassen die Welt Anteil haben an ihrem komplizierten Leben im innerdeutschen Grenzland.
So müssen beispielsweise die Wismarer Schulkinder täglich zweimal 20 Kilometer im Bus zurücklegen zur Schule ihrer Gemeinde in Werbelow. Auch wenn es im vier Kilometer nahen Strasburg ebenfalls Schulen gibt – für diese müssen die Eltern Sondergenehmigungen im Brandenburgischen beantragen. Denn Strasburg liegt in Mecklenburg-Vorpommern. Nicht alle Kinder bekamen jedoch diese Genehmigung, zudem werden mehrere hundert Euro Schulgeld fällig. Im Falle der Nichtzahlung drohte Strasburg mit Pfändung.
Ähnlich geht es den Dörflern mit den Wassergebühren – das Wasser kommt aus dem einen Bundesland, die Rechnung aus dem anderen. Seit vor zwei Jahren ein brandenburgischer Anbieter das Wassernetz übernahm, „stiegen die Preise stiegen von 3,50 auf 13,50 Euro den Kubikmeter“, klagt Monika Hufenbach, die mit ihrem Mann in Hansfelde lebt. Mit dem Telefonbuch ist es ähnlich: der Vorwahl nach gehören sie zu Strasburg, im Telefonbuch zählen sie zur Gemeinde Uckerland – und wurden auf dem Titelblatt des „Örtlichen“ prompt ganz vergessen. Wenn sie zum Arzt gehen, fahren sie nach Strasburg, wenn sie den Arzt holen, so Hufenbach, „müssen wir den ärztlichen Bereitschaftsdienst im 35 Kilometer entfernten Prenzlau anrufen, wo manche dann zu hören bekommen, die Anfahrt sei zu weit und zu kompliziert“. Ähnliches hätten sie auch schon mit der Polizei erlebt.
Anwohner wollen so leben wie andere Bürger auch
Monika Hufenbach ist die Sprecherin der örtlichen Bürgerinitiative, die Hansfelder und Wismarer ins Leben riefen, um für ihr Recht zu kämpfen, „so zu leben wie andere Bürger in Deutschland auch.“ Dabei sind die Ortschaften eigentlich gar nichts Besonderes. Kleine Weiler in der kargen Endmoräne, gemütliche Klinkerhöfe kuscheln mit Gemüsegärten, windzerzauste Pappeln und Holperalleen setzen Kommas und Striche in die weite Landschaft, der es vor allem an einem gebricht: an Menschen. Die Jungen ziehen weg, die Alten sterben. Und was ist sonst so los? „Nüscht“, sagen die alten Leute, die ihre auf Fahrrädern vom Plattenweg zwischen den Ortsteilen Richtung Kirche schieben.
Nun soll doch mal was passieren. In dieser Woche hatten die Wismarer zur Bürgerversammlung geladen. Zu einer Art Jubiläum, zwei Jahre ist es jetzt her, dass sie in der Petition förmlich darum flehten, aus dem Land Brandenburg entlassen zu werden. Das Antwortschreiben machte wenig Hoffnung. „Ein Wechsel des Ortsteiles Wismar würde den Bestand der Gemeinde Uckerland ernsthaft gefährden“, hieß es darin, „durch „sinkende Schlüsselzuweisungen, Einkommen- und Gewerbesteuer“. Nur aus Gründen des Gemeinwohls könnten Grenzen verschoben werden. Die Probleme der Dörfer jedoch seien kommunalpolitischer Art.
Am gerade restaurierten Gemeindehaus lehnen jetzt ordentlich gemalte Schilder: „Gemeinsam sind wir stark“ und „Wir haben die Demokratie und wir nutzen sie.“
Als die Sonne untergeht, ist die Demokratie vollzählig erschienen. Die Vorhut sind zwei Herren in dunkeln Anzügen, die zigarettenrauchend am Dorfteich das stille Bild mit Enten genossen haben, bevor sie sich „dem Wähler“ stellen. Es sind Vertreter der Ministerien für Bildung und Gesundheit in Potsdam. Danach rücken nervöse Reporter an, die den Weg zunächst nicht gefunden haben.
Die neue Bürgermeisterin der Gemeinde Uckerland, eine blonde Dame im weißen Blazer, schüttelt dem Ortsvorsteher (Freizeithemd, kurze Ärmel) entspannt lächelnd die Hand. Neben ihr am Podium sitzt der Vertreter des Landrates (grauer Anzug, Auftreten: alter Haase), der vor der Versammlung schon gebrummt hat: Das Rad der Geschichte lasse sich nun mal nicht zurückdrehen. Ihm täten die Bürger ja leid. Aber. Er sei ja schon damals dabei gewesen, als nach der Wende genau diese Bürger sich per Abstimmung für Brandenburg entschieden hätten. Was Frau Hufenbach zwar bestätigt: „Aber wir haben damals ja gedacht, Strasburg käme auch zu Brandenburg“. Wismar/ Hansfelde ist eine von elf Ortsteilen der Gemeinde „Uckerland“. Die vier Kilometer entfernte Stadt Strasburg zählte zwar traditionell ebenfalls zur Region Uckermark, trägt diese auch bis heute auch im Stadtschild, gehört aber seit 1992 zu Mecklenburg-Vorpommern. So hat es die Gemeinde damals selbst entschieden. Nur die Wismarer votierten eben anders. Ohne dieses Detail lässt sich das ganze Drama nicht verstehen.
Monika Hufenbach ist eine Frau vom Typ Anwältin, auch wenn sie in Wirklichkeit Unternehmensberaterin im Tourismus ist. Heute trägt sie zum lachsfarbenen Pulli und eleganten Sommerrock dicke Aktenordner, aus denen sie während der Diskussion jeweils die passenden Schreiben zieht.
Bürger werden ungeduldig
Der Saal ist voll. Die Bürgermeisterin verkündet, künftig dürften alle Wismarer und Hansfelder Kinder nach Strasburg zur Schule, die Gebühren würden vom Land Brandenburg übernommen. Ein Vertrag zwischen den Ländern sei fast fertig. Fast. Nur ein paar Zustimmungen noch. Formalien. Eigentlich. Unruhiges Füßescharren im Saal. Monika Hufenbach hält der Bürgermeisterin ein Papier hin: „Das hat man uns aus dem Ministerium aber genauso schon im vergangenen Sommer versprochen. Die Gebühren wurden trotzdem eingefordert.“ Ein Mann (rollendes R, norddeutscher Tonfall): „Ja, un nu? Wenn der Ministerpräsident ein Schreiben schickt, müsst ihr euch danach strecken! Zack, zack! Dafür haben wir euch doch gewählt!“ Am Podium distanziertes Lächeln.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Köppen (Brille, bürgernahes Fragen im Gesicht) versucht einen Bogen zur Bundespolitik: Die Bundesländer seien die Schuldigen, weil sie im Bildungsbereich alles an sich rissen und blockierten. Doch die Wismarer bleiben thematisch im Dorf. Ein älterer Herr Mann poltert los: „Die da oben geben Milliarden aus, um Banken zu retten, aber eine Schulklasse mit fünf Kindern ist kein Geld da!“ – „Sind Kinder dafür da, Schulen zu füllen oder umgekehrt?“, fragt eine junge Frau und berichtet, das zwei ihrer Kinder in Brandenburg die Schule besuchen und ein weiteres in Strasburg den Kindergarten. Die Landesgrenze verläuft quer durch ihre Familie. Denn Ausnahmegenehmigungen werden nur erteilt, solange die Schule der Gemeinde Uckerland genug Schüler hat. Vom Podium kommt das Angebot: „Wir kümmern uns um Ihren Fall.“
Alle versichern, der Schulbesuch im Nachbarland werde nun tatsächlich ermöglicht und finanziert. „Aber doch immer nur unter dem Vorbehalt, dass der Bestand der Schule in der Gemeinde Uckerland nicht gefährdet ist, oder?“, fragt Monika Hufenbach spitz nach. Die Bürgermeisterin nickt, ihre Miene hat das Entspannte verloren
So geht es weiter. Für die Ärztefrage sei er nicht zuständig, bescheidet der Herr aus dem Gesundheitsministerium, versichert aber, Beschwerden weiterzuleiten. Die Bürger quittieren das mit Schweigen. Dann die Wasserfrage: Die Dörfler wollen zum preiswerteren Versorger des Nachbarlandes wechseln. Dafür, zählt Bürgermeisterin Christine Wernicke auf, seien aber allein fünf sehr komplizierte bürokratische Schritte nötig: Abstimmungen, Zustimmungen, letztlich ein Staatsvertrag. Monika Hufenbach insistiert: „Wir haben doch vor zwei Jahren einen Antrag gestellt?“ Bürgermeisterin: „Mir liegt keiner vor.“ Frau Hufenbach zieht den Antrag aus dem Ordner. Die Bürgermeisterin, die seinerzeit noch nicht im Amt war, verspricht etwas müde, sich zu kümmern.
Um neun Uhr sinkt einem weißhaarigen Herrn in der ersten Reihe der Kopf auf die Brust. Frau Hufenbach bekommt Beifall. Die „Demokratie“-Schilder werden hereingeholt. Draußen ist Nacht. Am Dorfteich quaken Frösche. Aus dem Dunkel am Parkplatz dringen das Aroma der Zigaretten der Ministerialbeamten und Wortfetzen wie „Staatsvertrag“ und „Wasserwirtschaft“. Am samtschwarzen Firmament zwinkern die roten Augen der Windräder am Ortsrand, darüber liegt ein Rauschen und Klicken, als arbeite hier irgendwo gigantische Maschine daran, die winzigen Flecken Hansfelde und Wismar ein paar Meter zu verschieben. Aber nichts passiert. Nicht mal ein Hund bellt. Die Dörfer liegen still da, wie angewachsen.