Elf Jahre hat Horst Burghardt, der Bürgermeister von Friedrichsdorf im Taunus, um den Bahnhof im Ort gekämpft, die Stadtväter von Werder an der Havel hielten annähernd acht Jahre durch. Schließlich gaben der Hesse und sein märkischer Amtskollege, Vizebürgermeister Hartmut Schröder, auf.
Sie wollten wie Hunderte andere Lokalpolitiker im Land ihre Bahnhöfe vor dem Zerfall retten. Sie wollten der Deutschen Bahn (DB) die Stationen abkaufen und mit eigenen Mitteln aufmöbeln. Doch auch diese beiden Kommunen wurden mit dem Konzern nicht einig. Die Bahnhöfe verrotten nun weiter. „In Berlin ist jede Toilette sauberer als unser Bahnhof“, sagt Horst Burghardt.
Zustand wird schlechter
Zu „Kathedralen des 21. Jahrhunderts“ wollte Bahnchef Hartmut Mehdorns Vorgänger, Heinz Dürr, die Bahnhöfe ausbauen, und es ist nicht so, dass diese Vision ganz gescheitert ist. Es gibt diese Dome des Schienenverkehrs, den Berliner Hauptbahnhof zum Beispiel oder den in Leipzig, Dresden oder Kiel.
Für Renommierprojekte wie diese ist scheinbar unbegrenzt Geld da, für das Gros der deutschen Bahnhöfe plant man bescheidener. Statt Visitenkarte der Städte, wie der DB-Konzern die Bahnhöfe gern nennt, sind sie vielerorts schmuddelige Stationen. Ob Osnabrück, Ilmenau, Gießen oder Bad Vilbel, keiner dieser Haltepunkte lädt zum Halt, gar zum Verweilen ein.
Besonders schlimm ist es auf dem Land ganz im Osten oder tief im Westen der Republik, im Ruhrgebiet. Eine Zugfahrt durch den Pott mit Blick auf die DB-Stationen gleicht einer Geisterbahn: Essen, Wattenscheid, Dortmund-Hörde, die Liste des Gruselns der ist lang. „Unsere Bahnhöfe sind immer noch vielerorts in einem beklagenswerten Zustand“, sagt Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Wittke. „Dabei ist NRW das Bahnland Nummer eins in Deutschland. Aber für die Bahnhöfe wird lieber woanders mehr investiert – und das ärgert mich“, meint der Politiker.
In Brandenburg ist man aber nicht glücklicher: „Die Bahnhöfe sind seit Jahren unsere Sorgenkinder, auch wenn die Bahn schon einiges gemacht hat“, sagt Karl-Ludwig Böttcher, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg. Hans-Werner Franz, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) wird deutlicher: „Was die Bahn tut, reicht hinten und vorn nicht, Der Zustand der Stationen wird jedes Jahr schlechter.“
Im Berliner Bahntower versteht man die Kritik nicht: Seit der Bahnreform 1994 habe der Konzern rund 7,5 Mrd. Euro in die Sanierung und Modernisierung von großen und Hunderten kleiner Bahnhöfe investiert. Von den 5400 Personenbahnhöfen hätten immerhin „2000 einen Sanierungskurs erhalten“.
Der Konzern verweist darauf, dass jüngst erst bundesweit 30 große Stationen mit Milliardenaufwand saniert wurden. „Bei den Fernbahnhöfen passiert in der Tat etwas, aber die Nahverkehrstationen sind im Unternehmen weiter das Stiefkind“, meint Wewers.
Im Berliner Umland stellen Experten besonderen Handlungsbedarf fest: „Drei Viertel der Bahnhöfe sind mangelhaft, es besteht in Sachen Service deutlicher Handlungsbedarf“, heißt es in der jüngsten Studie des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg.
Berliner Umland am schlimmsten
Die Ergebnisse seien noch schlechter als 2006. Und der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) kommt im „Qualitätsbericht 2007“ zu dem Ergebnis: „Die Fahrgäste sind mit der Qualität der Bahnhöfe sehr unzufrieden.
Dabei ist es nicht so, dass die Bahn kein Geld für ihre Bahnhöfe hätte. „Die Sparte Stationen & Service schreibt in NRW schwarze Zahlen“, erklärt Verkehrsminister Wittke süffisant. Auch insgesamt macht der DB-Konzern mit dem Betrieb der Bahnhöfe unterm Strich ein gutes Geschäft. In der Bilanz für 2007 weist das Geschäftsfeld Personenbahnhöfe ein deutliches Plus bei Umsatz und Ergebnis aus. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) legte um 34 Mio. auf 170 Mio. Euro zu – höher fiel der Zuwachs nur bei den Sparten Netz, Schenker und Dienstleistungen aus.
Kein Wunder, dass sich in den Kommunen heftiger Unmut breit macht. „Zumal die Bahn die Benutzung ihrer Bahnhöfe in den vergangenen Jahren sogar noch teurer gemacht hat“, ärgert sich VBB-Geschäftsführer Franz. Im Jahr 2004 habe der VBB insgesamt 30,4 Mio. Euro für die sogenannten Stationspreise, also die Nutzungsgebühr, gezahlt. „In diesem Jahr werden es 38 Mio. Euro sein“, kritisiert Franz. Die Stationsgebühr wird von der Bahn für jeden Zug berechnet, der an einem Bahnhof hält.
Franz rechnet am Beispiel Berlin-Spandau nach Rathenow vor, wie die Bahn kassiert: „2001 musste für die Fahrt mit sieben Stopps eine Stationsgebühr von 37,95 Euro gezahlt werden. In diesem Jahr sind es 56,36 Euro.“ Für die Strecke Königs Wusterhausen bei Berlin und Beeskow seien die Gebühren im selben Zeitraum sogar von 20,79 Euro auf 50,07 Euro gestiegen. „Es hat sich aber trotzdem nichts auf den Bahnhöfen verbessert“, sagt Franz und fragt: „Wo bleibt all das Geld, das wir für die Bahnhöfe zahlen?“
„Wir“, das bedeutet letztlich der Steuerzahler – und das ist das eigentlich Pikante an dem Streit um die Gebühren und die Qualität. Die Finanzierung des Regionalverkehrs ist so geregelt, dass der Bund an die Länder und die an Aufgabenträger, zum Beispiel die Verbünde, jene Mittel gibt, mit denen Nahverkehrszüge bei der Bahn oder privaten Wettbewerber bestellt werden.
Dabei erstattet der Staat den Verkehrsunternehmen auch die anfallenden Bahnhofsgebühren – also aus Steuermitteln. Das bedeutet, obwohl beispielsweise die Pendler zwischen Beeskow und Berlin mit ihren Steuern immer höhere Stationspreise finanzieren, bekommen sie nach VBB-Angaben immer schlechteren Service geboten.
Auf den ersten Blick scheint die Strategie der Bahn, viele Bahnhöfe brach liegen zu lassen kurzsichtig. Allein angesichts ständig steigender Spritpreise ist der Regionalverkehr ein wachsendes Geschäft. Schmuddelige Stationen allerdings werden manchen Pendler abschrecken, auf den Zug umzusteigen.
Doch selbst die Kritiker der Bahn können sich die Konzernstrategie erklären: „Viele Bahnhöfe wurde zu anderen Zeiten gebaut, sie sind für heute zu groß und bringen nichts ein. Die Stationsgebühren reichen da gerade mal, den Betrieb aufrecht zu erhalten, für mehr nicht“, sagte Rainer Engel von Pro Bahn. Und NRW-Minister Wittke ergänzt: Die Bahn sei eben keine AG und müsse nachrechnen, was ihr die Bahnhofssanierung am Ende einbringe. „Rein betriebswirtschaftlich gesehen müsste die Bahn viele Bahnhöfe aufgeben“, so Wittke.
Das tut der Konzern auch. Seit dem Jahr 2000 wurden bereits rund 1300 Empfangsgebäude – nicht die Stationen – verkauft. Nur noch rund 600 Gebäude hat der Vorstand als so sogenanntes „Kernportfolio“ definiert, an denen er festhalten will.
Kein Interesse mehr
Auch an den Bahnhöfen in Friedrichsdorf und Werder hat die DB kein Interesse mehr. „Irgendwann hat uns die Bahn den Bahnhof dann doch angeboten, aber jetzt haben wir uns auf andere Investitionen festgelegt“, sagt Vizebürgermeister Hartmut Schröder. Und die Station Friedrichsdorf ging an einen privaten Investor. „Wir haben das aus der Zeitung erfahren“, sagt Bürgermeister Horst Burghardt.