Die historischen Beelitzer Heilstätten zerfallen. Irene Krause führt Touristen über das weitläufige Areal, auf dem sich vor 100 Jahren eine der größten Lungen-Heilanstalten Deutschlands befand.

Wer mit Irene Krause auf Entdeckungstour geht, wird erst einmal geimpft. Auf dem Gelände der ehemaligen Heilstätten in Beelitz soll schließlich keiner die Motten kriegen. „So wie die Motte die Wolle zerfrisst, zerfrisst die Tuberkulose die Lunge“, erklärt Krause mit fränkischem Akzent. Dann verteilt die Gästeführerin süße Marzipankugeln mit Schokoladenüberzug.

Die symbolische Impfung mit den „Mottenkugeln“ sorgt bei der Sightseeing-Tour prompt für gute Laune. Krause macht regelmäßig Führungen in Beelitz-Heilstätten, wo sich vor 100 Jahren eine der größten Lungen-Heilanstalten Deutschlands, ja vielleicht sogar der Welt befand.

Die Motten haben: Das wurde früher im Volksmund über jene gesagt, die an Tuberkulose erkrankt waren; einer ansteckenden und nicht selten tödlichen Krankheit. In Beelitz wurden die Tuberkulose-Kranken der Millionenstadt Berlin behandelt. Und das waren damals nicht wenige. Tuberkulose war um 1900 eine Volkskrankheit.

Beelitz, vor den Toren Potsdams gelegen, ist heute vor allem für seinen Spargel bekannt. Lange befand sich hier aber ein riesiger Krankenhaus-Komplex. In den beiden Weltkriegen wurde er überdies als Lazarett genutzt. Das Areal ist inzwischen eine Ruinen-Landschaft, aber etliche Gebäude stehen noch – vom Heizkraftwerk bis zur Liegekur-Halle. Sogar die alten Operationssäle, einst mit modernster Technik ausgestattet, sind von außen zu sehen. Beelitz-Heilstätten ist das größte und sicherlich eines der spannendsten Denkmäler in Brandenburg.

Betreten verboten

Über 30 Touristen sind an diesem sonnigen Nachmittag gekommen, um sich von Gästeführerin Krause das riesige Gelände zeigen zu lassen. Betrachten darf man die Gebäude nur von außen. Ein Betreten ist allein wegen der Unfallgefahr verboten. Oft halten sich die Besucher aber nicht daran, was manchen schon zum Verhängnis wurde. Gästeführerin Krause lebte lange im Rheinland, ihr Mann arbeitete bei der Regierung in Bonn. Dann kam der Umzug nach Berlin und das Paar ließ sich im nahen Beelitz nieder.

Weil Irene Krause keinen anderen Job fand, begann sie eine Ausbildung als Gästeführerin. Die Touren über das Gelände der Heilstätten bietet die 58-Jährige seit etwa fünf Jahren an. Zwei Stunden dauert der Rundgang durch die Ruinen, danach hat man zumindest einen Bruchteil der Anlage gesehen: Das Gelände inmitten eines großen Kiefernwaldes ist 200 Hektar groß. „Ja, die Kiefern filtern die Luft regelrecht“, erklärt Krause den Touristen. Die lungenkranken Patienten konnten hier einst schön durchatmen. Das war wichtig für die Genesung, denn gute Luft – „daran hatten die Berliner wirklich Mangel – auch heute noch“, weiß Krause.

Zwischen 1898 und 1930 ließ die Landesversicherungsanstalt Berlin die Kliniken in Beelitz errichten, um die damals verheerende Volkskrankheit Tuberkulose einzudämmen. Sechs Stunden mussten die Patienten jeden Tag bei der Liegekur im Freien liegen. Vom Aufstehen bis zum Zubettgehen war alles streng geregelt.

Auf einen Patienten kamen zwei Aufseher. In Beelitz-Heilstätten sei es „doller wie in Moabit“ (der Berliner Haftanstalt), schrieb ein Patient im Januar 1912 auf einer Ansichtskarte an seine Verwandten. Während des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurde das Areal jeweils zum Lazarett umfunktioniert. Viele Tausend verwundete Soldaten wurden hier behandelt, Ende 1916 auch der Gefreite Adolf Hitler. An der Westfront war Hitler von einem Granatsplitter getroffen worden. Mehrere Wochen kurierte er sich in Beelitz aus.

„Horror-Partys“ in den verfallenen Kliniken

Nach Kriegsende 1945 übernahm die Rote Armee das Gelände. Mehrere Jahrzehnte beherbergte Beelitz das größte Militärhospital der Sowjets außerhalb der UdSSR. Das ist auch der Hauptgrund, warum viele der Gebäude noch so gut erhalten sind: Sie wurden bis zum Abzug der Sowjets im Jahr 1994 genutzt.

Die letzten Prominenten, die sich in Beelitz aufhielten, waren im April 1990 der gestürzte DDR-Staatschef Erich Honecker und seine Frau. Das Paar lebte in einer der Arztvillen, bewacht von Soldaten der Roten Armee. „Keiner wollte sie mehr haben“, erzählt Irene Krause. In Beelitz fanden die Honeckers für fast ein Jahr Zuflucht. Im März 1991 wurden sie nach Moskau ausgeflogen. Nach dem Abzug der Sowjets 1994 begann der dramatische Verfall der ehemaligen Heilstätten.

Aus den Gebäuden sei „alles geklaut worden, was nicht niet- und nagelfest ist“, sagt Krause. Badewannen wurden zerschlagen, OP-Bestecke und Verbandsmaterialien entwendet. Vor allem aber auf Bauteile aus wertvollem Buntmetall waren Diebe scharf. Sogar die Kupferdächer wurden in schwindelerregender Höhe abmontiert, um den Rohstoff zu Geld zu machen.

Der morbide Charme zieht Abenteuerlustige an. In den verfallenen Kliniken werden „Horror-Partys“ gefeiert, weil es dort angeblich spukt. Nachts seien in den Heilstätten die Schreie der ehemaligen Patienten zu hören, heißt es.