Die Hälfte der Tier- und Pflanzenarten ist vom Aussterben bedroht. Brandenburg will dagegen angehen – mit einem Schutzprogramm. Umwelt- und Naturschutzverbände reagieren allerdings skeptisch.

Brandenburg wirbt gerne mit seiner Natur. Etwa ein Drittel des Landes steht unter Natur- oder Landschaftsschutz. Es gibt 15 Großschutzgebiete: einen Nationalpark, drei Biosphärenreservate und elf Naturparks. Allein die von der Sielmann-Stiftung betreute Döberitzer Heide nahe Berlin-Spandau bietet Lebensraum für Tausende andernorts vielfach verdrängte Tier- und Pflanzenarten. Von paradiesischen Verhältnissen kann aber keine Rede sein. „Rund drei Viertel aller Biotope und um die Hälfte aller in Brandenburgs vorkommenden 6000 Arten sind gefährdet“, sagt Brandenburgs Umweltministerin Anita Tack (Linke). Jede zehnte Art sei akut vom Aussterben bedroht.

Ein von der rot-roten Landesregierung verabschiedetes Programm soll nun den drastischen Artenrückgang stoppen und die „biologische Vielfalt fördern“. Die Umwelt- und Naturschutzverbände sind allerdings skeptisch, ob dies gelingt.

Energiemais-Ausbau stoppen

Denn in der Landwirtschaft müsste massiv umgesteuert werden, um die Situation zu verbessern. Umweltministerin Anita Tack (Linke) warnt vor einem weiteren Ausbau der Monokulturen mit Mais und Raps. Mit diesen sogenannten Energiepflanzen werden Biogas und Kraftstoff erzeugt. Das Programm der Regierung sieht zudem vor, dass bis zum Jahr 2020 der Flächenanteil des Ökolandbaus von elf auf 20 Prozent wachsen soll. Brandenburg war in den vergangenen Jahren bei der Förderung der Biobauern Schlusslicht. Von 2010 bis Herbst 2013 bekamen Landwirte keine Prämie mehr, wenn sie von konventionellem Anbau auf Ökolandbau umstellen.

„Es muss mehr Anreize für Agrarbetriebe geben, umweltschonender zu wirtschaften“, fordert der Vorsitzende des Naturschutzbundes Nabu in Brandenburg, Friedhelm Schmitz-Jersch. „Die Landwirte müssen für Leistungen in Naturschutz und Landschaftspflege besser entlohnt werden.“ Seit 2007 erhalten die Bauern von der EU eine Flächenprämie. Ein Landwirt bekommt mindestens 300.000 Euro pro Jahr, wenn er 1000 Hektar bearbeitet. Egal, womit und in welchem Umfang.

Durch die gestiegene Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten und den Energiepflanzen werde in Brandenburg mittlerweile fast jeder verfügbare Hektar bewirtschaftet, sagt Schmitz-Jersch. Um Intensiv-Futter für die Hochleistungskühe zu erhalten, werde zudem stark gedüngt. Der Einsatz von Pestiziden habe in den vergangenen zehn Jahren um ein Drittel zugenommen. „Auf solchen Wiesen gibt es daher kaum mehr Bodenbrüter und Artenvielfalt“, so Schmitz-Jersch.

Bestand von See- und Fischadlern nimmt wieder zu

Laut Landesregierung nehmen die Bestände von 70 Prozent aller Amphibien signifikant ab. Besorgniserregend sei der Rückgang bei Sumpfschildkröte, Molchen und Smaragdeidechsen. Es gebe kaum mehr Acker-Wildkräuter wie Schwarzkümmel. Fast jede zweite Vogelart sei stark gefährdet. Der Bestand von See- und Fischadlern und der Großtrappe nehme durch Schutzprogramme wieder zu. Doch Rebhuhn, Feldlerche, Bluthänfling und Kiebitz haben kaum mehr Rückzugsmöglichkeiten. Die Zahl der Feldsperlinge hat sich in den vergangenen 20 Jahren halbiert. Der Bestand der Rebhühner ging seit 1995 um 73 Prozent zurück.

Der Leiter des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin, Martin Flade, führt eine Studie zur Agrarlandschaft an. „Wir haben bei uns im Reservat Küken von Rebhühnern in verschiedene Ackerkulturen gesetzt. Es stellte sich heraus, dass sie pro Tag fünf Stunden brauchen, um ihren Nahrungsbedarf zu decken. Den Rest der Zeit verbringen sie mit Schlafen, Gefiederpflege oder Sonnenbaden.“ Um jedoch in einem Maisfeld satt zu werden, bräuchten sie rein rechnerisch 32 Stunden am Tag. Das hätten Messungen des Gewichts ergeben.

„Vogelkundler haben ermittelt, dass mindestens zehn Prozent Ackerbrachen in einer intensiv betriebenen Landwirtschaft übrig sein müssen, um die Artenbestände halten zu können“, sagt Flade und resümiert: „Ohne ein drastisches Umsteuern werden immer mehr Arten aussterben.“ Die Beseitigung der biologischen Vielfalt sei nicht eine unerwünschte Nebenwirkung, sondern das beabsichtigte Ziel der modernen Intensivlandwirtschaft. Der Maisanteil in Biogasanlagen müsse gedeckelt werden. Auch die von der EU beschlossenen fünf Prozent ökologische Vorrangflächen reichten bei Weitem nicht aus.

„Stillstand liegt nicht an der Bereitschaft der Landwirte“

„Selbst im Biosphärenreservat kommen wir nicht voran“, sagt Flade. Dort wird nur zur Hälfte Ökolandbau betrieben. „Der Stillstand liegt nicht an der Bereitschaft der Landwirte“, so Flade. „Wer verzichtet schon freiwillig auf 40 Prozent seines Einkommens?“ Die Landesregierung müsse sich für veränderte Rahmenbedingungen auf Bundes- und EU-Ebene einsetzen. „Wir brauchen eine Förderung des Umweltengagements im Agrarbereich und ein anderes Erneuerbare-Energien-Gesetz“ , so der Experte.

Das Artenvielfalt-Programm der brandenburgischen Landesregierung sieht – neben dem Ziel, in der Landwirtschaft umzusteuern –, auch die „natürliche Forstentwicklung“ vor. So soll der Anteil der Wälder, in denen Bäume nicht gefällt werden, von derzeit 4,1 Prozent auf fünf Prozent wachsen.