Die Skyline von Berlin bei einem Malworkshop in einer Bar oder einem Restaurant pinseln? Besuch bei einem Kunstevent der geselligen Art.
„Ich kann nicht malen!“ Diesen Satz hört Burak Kalyoncu in nahezu jedem seiner Malkurse. Unter den Teilnehmern des Kurses „Skyline Berlin“ äußert diesmal der Autor dieses Textes, dass Farbe und Pinsel für ihn als Fremdkörper gelten. Kalyoncu beruhigt gleich zu Beginn: „Eine Form von Kreativität steckt in jedem von uns. Jeder wird am Ende des Abends ein eigenes Bild mit nach Hause nehmen.“ Nur, wie sieht das am Ende aus?
Sieben Menschen diese Frage an einem heißen Sommerabend in einer großen Craftbeer-Brauerei im Stadtteil Mariendorf um. Während im Gastraum kühles Bier ausgeschenkt wird, erklärt Kalyoncu in einem separaten Raum die Farbenlehre. Bier trinken und Bilder malen in einem Rutsch? So könnte man das Konzept von Artnight verstehen. Die Initiatoren hinter den Malkursen bringen Menschen in Bars oder Restaurants zum Malen zusammen und wollen so zu einem Erlebnis der etwas anderen Art animieren. Die Malkurse kosten 39 Euro pro Person und reichen dabei von abstrakter Glitzermalerei über so klangvolle Namen wie „VW Bulli“ oder „No Drama Lama“ bis hin zu körperbetonter Kunst im Kurs „Schmusen“. Jeweils ein Künstler oder eine Künstlerin aus Berlin leiten die Teilnehmer dazu an, ihr eigenes Kunstwerk auf die Leinwand zu zaubern.
„Kunst kann einen lebendiger machen“
Einer dieser Künstler ist Burak Kalyoncu. Als er im Kindesalter einem Bekannten seiner Eltern dabei zusah, wie dieser einen Hasen auf einem Blatt skizzierte und anschließend ausmalte, fiel der Startschuss für seine eigene Künstlerkarriere. Kalyoncu zeichnete regelmäßig mit Begeisterung, studierte später Airbrush-Design und bot Auftragskunst an. Inzwischen arbeitet er auch als Fotograf. Kalyoncu male, so sagt er, um einen Teil seiner selbst zu realisieren. „Kunst kann einen lebendiger machen. Es erfüllt mich und lässt mich als Person wachsen.“ Genau dieses Gefühl will er auch in seinen Kursen vermitteln. „Mich motiviert, wie ich einem Menschen helfen kann, ein Bild mit seinen Fähigkeiten zu malen.“ Während im Hintergrund angenehme Musik leise dudelt, ermuntert er die Kunstschaffenden an den Arbeitsplätzen, gibt Tipps zu Pinselstrichen oder der richtigen Farben-Wasser-Basis. Mehrmals an diesem Abend hört man ihn den Satz sagen: „Ihr müsst die Farbe auf eine Konsistenz von flüssiger Sahne bringen.“ Gemalt wird in den zwei anberaumten Stunden mit Acrylfarbe auf Leinwand. Das Motiv: die Skyline von Berlin.
Anne Knies, die auf Empfehlung einer Freundin zum ersten Mal teilnimmt, beginnt, das vorgegebene Muster vom Blatt auf die Leinwand durchzupausen. Ihr Freund Georg Semechin, mit dem sie hierhergekommen ist, schaltet dafür sein Smartphone-Licht an und stellt es hinter die Leinwand, um eine bessere Lichtquelle zu bekommen. Malutensilien besäßen Knies und Semechin. In der Lockdown-Zeit hätten sie zu Hause ab und zu auch mal gemalt. Knies Kreativität liege allerdings eher beim Makramee, einer bestimmten Knüpftechnik aus dem Orient zum Herstellen von Textilien oder Schmuck. „Mit Farben hatte ich immer ein paar Schwierigkeiten“, sagt sie. „Für mich war es wichtig, sich das mal zu trauen.“
Mischung der Teilnehmer so bunt wie die Bilder

Die Mischung der Hobby-Künstler sei so bunt wie die gemalten Bilder, sagt Kalyoncu. Zwar kämen mehr Frauen als Männer; wenn aber Männer dabei seien, seien diese in der Regel wirklich am Malen interessiert. Zur Wahrheit gehört auch, dass der Malkurs mehr Eventcharakter besitzt und eher vereinzelt Malkenntnisse in die Tiefe bietet. „Manche wollen einfach einen netten Abend mit der Freundin oder der Oma haben. Da wäre es dann zuviel, wenn ich zu tiefgründiges Wissen verallgemeinert mitgebe“, sagt Kalyoncu. Es gebe aber auch Kandidaten, die sich genau das erhoffen. „Die nehme ich dann meist gesondert zur Seite und versuche, ihnen den ein oder anderen Kniff mit auf den Weg zu geben.“
Kalyoncu zeigt Knies, die mittlerweile mit dem Ausmalen des Fernsehturms, Reichstags und Brandenburger Tors beschäftigt ist, wie sie die Farben harmonisch ineinander überlaufen lassen kann und sich herunterlaufende Schlieren bilden. Optisch sei sie nicht komplett zufrieden mit dem Boden, aber die Bedeutung der Wurzeln unter den Sehenswürdigkeiten finde sie schön.
Spaß und Lockerheit stehen im Vordergrund
Ein paar Kleinigkeiten würde auch Christian Förster noch mal anders machen. Dennoch sei er mit seinem Bild fürs erste Mal zufrieden. Förster ist mit Anja Zachmann gekommen, die sich nicht nur an der Location und dem „netten Beisammensein“ erfreut, sondern diese besondere Form des Abschaltens vom Alltag schätzt. Zachmann wird wiederkommen, im August mit ihrer Mutter. „Dann malen wir ‚Die tanzende Frau‘“.
Vom Mythos, dass man mit Alkohol besser malt, ist Kursleiter Kalyoncu indes nicht überzeugt. „Manche Leute stimmen sich mit einem Glas Wein oder Bier vielleicht noch besser auf den Abend ein. Aber es geht nicht ums Betrinken.“ Spaß und Lockerheit stünden im Vordergrund. „Nicht jede Linie muss sitzen.“ Die zwei Stunden verstreichen so schnell, dass ohnehin kaum genügend Zeit bleibt, sich mehr als zwei Getränke zu ordern.
Am Ende des Abends halten die sieben Teilnehmerinnen und Teilnehmer sieben verschiedene Versionen eines Bilds in der Hand. Kalyoncu entlässt sie mit dem Satz: „Ihr solltet in diesem Bereich am Ball bleiben.“ Und ergänzt: „Ihr könnt alle malen!“