Berlin. Nadia Abokhella wollte nach der Schule eigentlich ein Freiwilliges Soziales Jahr machen. Doch dann erfuhr die 18-Jährige vorigen September von dem neuen dualen Studium, das Berliner Jugendämter zusammen mit der Hochschule für angewandte Pädagogik in Treptow-Köpenick seit Herbst anbieten. „Ich wollte schon immer mit Menschen arbeiten und fand das Angebot toll“, erzählt sie. „Am gleichen Tag noch schickte ich meine Bewerbungsunterlagen los.“ Wenige Wochen später war sie Studentin und trat ihre Ausbildung beim Regionalen Sozialen Dienst in Tempelhof an.
Auch die 51 Jahre alte Anke Redlitz-Daus hat sich dafür entschieden. Auch bei ihr ging alles ganz schnell. „Beim Berlin-Tag für Quereinsteiger im September habe ich von der Möglichkeit erfahren, neben dem Studium gleich in diesen Beruf hineinzuschnuppern“, berichtet die ausgebildete Schneiderin, die auch Modedesign studiert und später als Schulhelferin gearbeitet hat. Sie ist im Regionalen Sozialdienst in Friedenau eingesetzt.
Der neue duale Studiengang startete am 16. Oktober und soll die teilweise dramatische Personalnot in den Berliner Jugendämtern lindern. Die Initiative dazu kam aus Tempelhof-Schöneberg, wo sich die Situation in den vergangenen Jahren besonders zugespitzt hatte. Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) sagte am Montag bei einem ersten Fazit nach 100 Tagen des Pilotprojektes, das von der Senatsjugendverwaltung unterstützt wird: „Mit dem neuen dualen Studium können wir einen Teil der dringend gesuchten Fachkräfte selber ausbilden.“
Harte Konkurrenz zwischen den Behörden
Was in der Wirtschaft schon längst besteht, sei vom öffentlichen Dienst im Land Berlin bislang nur selten angeboten worden. „Wir konkurrieren mit den Bundes- und Landesbehörden, den freien Trägern und dem Land Brandenburg um die Fachkräfte, da reicht es nicht mehr, an den Unis am Ausgang zu stehen“, betonte Schöttler. „Wir müssen von Anfang an mithelfen.“
An dem Projekt beteiligen sich bislang neben Tempelhof-Schöneberg auch die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Treptow-Köpenick mit je zwei Studierenden und Mitte mit einer Studierenden. Marzahn-Hellersdorf schickt keine Auszubildenden, sondern eine Teilzeit-Angestellte an die Hochschule. Die Bewerber wurden über ein gemeinsames Auswahlverfahren ausgesucht. „Wir können hier mal zeigen, dass Berlin auch schnell etwas auf die Beine stellen kann“, unterstrich Schöttler. Zum kommenden Wintersemester könnten weitere 24 bis 30 Studierende den Studiengang beginnen.
Seit es nach den Jahren des Personalabbaus wieder freie Stellen in der Berliner Verwaltung gibt, wechseln Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen auch von einem bezirklichen Jugendamt ins andere, sodass eine Lücke geschlossen, die nächste aber gleich aufgerissen wird. „Wir müssen alles daran setzen, dass mehr Fachkräfte nachkommen“, begrüßt Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) den neuen dualen Studiengang Sozialpädagogik mit staatlicher Anerkennung und Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe.
An zwei Tagen in der Woche studieren Nadia Abokhella und Anke Redlitz-Daus, die anderen drei Tage arbeiten sie. Das Studium umfasst sieben Semester. Das Modell sieht folgendermaßen aus: Die Bezirke übernehmen die Studiengebühr von derzeit 275 Euro monatlich. Im ersten Ausbildungsjahr werden nach derzeitigem Tarif 936,88 Euro bezahlt, im vierten Ausbildungsjahr sind es 1109,51 Euro. Im Gegenzug verpflichten sich die Studierenden nach Abschluss ihres sieben Semester dauernden Bachelorstudiums, für drei Jahre in den jeweiligen Jugendämtern zu arbeiten. „Es ist ein fruchtbarer Austausch“, sagte Erika Alleweldt, Professorin an der Hochschule für angewandte Pädagogik. „Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.“
Kampagne „Das Jugendamt. Unterstützung, die ankommt“
Das Angebot wurde im Rahmen der Kampagne „Das Jugendamt. Unterstützung, die ankommt“ entwickelt. Der Jugendamtsleiter von Tempelhof-Schöneberg, Rainer Schwarz, hat das Konzept zusammen mit der Hochschule erarbeitet. Er sieht den Start als gelungen an. Auch wenn die Auszubildenden von den ohnehin überlasteten Mitarbeitern betreut werden müssen.
Die Situation am Jugendamt in Tempelhof-Schöneberg hat sich seinen Worten nach etwas verbessert. Der Notdienst in den Regionalen Sozialdienst, der bis Ende Januar läuft, soll ab Jahresmitte zurückgefahren und bis Ende 2019 beendet werden. Es könne allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass auch ab Februar noch eingeschränkte Öffnungszeiten in den Ämtern nötig sind, so Schwarz. Derzeit seien von 90 Stellen im Regionalen Sozialen Dienst am Jugendamt Tempelhof-Schöneberg 24 Stellen nicht besetzt. „Die Bewerberlage sieht aber so gut aus wie noch nie in den vergangenen Jahren“, sagte der Jugendamtsleiter. Kandidaten seien für alle derzeit freien Stellen ausgewählt. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Verträge bis Mai unterschrieben sind. Damit wären alle Stellen besetzt. Die Erfahrung zeigt aber, dass nicht alle tatsächlich ihren Dienst antreten. Lockt ein besseres Angebot, springen immer wieder Bewerber noch kurzfristig ab.
20 Prozent der ausgewählten künftigen Beschäftigten haben kein Studium der Sozialpädagogik. Es handele sich zum Beispiel um Psychologen oder Heilpädagogen. Wie lange die Einarbeitung der neuen Mitarbeiter dauert, so räumte Jugendstadtrat Oliver Schworck (SPD) jüngst ein, lasse sich schwer abschätzen. Denn in Bereichen der Eingliederungshilfe und Jugendhilfe im Strafverfahren sind Spezialkenntnisse notwendig.
Das Land Berlin vergibt auch erstmals Stipendien für den Studiengang Soziale Arbeit. Das Angebot richtet sich an Studierende im ersten Semester der Alice Salomon Hochschule in Marzahn-Hellersdorf. Am Montag wurde der erste Vertrag mit 18 Stipendiatinnen und Stipendiaten in der Senatsverwaltung für Finanzen unterschrieben.