Berlin. Der Senat eröffnete vor drei Wochen einen Abschiebegewahrsam. Nun zweifeln Abgeordnete an der Wirtschaftlichkeit.

Es sind Menschen, von denen die Polizei vermutet, dass sie einen Terroranschlag verüben wollen. Rechts- oder Links­extremisten, meist aber militante Islamisten, denen zwar keine Straftat nachzuweisen ist, von denen die Behörden aber Hinweise auf eine geplante Gewalttat haben. Die Zahl der „Gefährder“ hält die Polizei geheim. Aus dem Umfeld verlautet aber, dass es zurzeit um die 80 sind.

Etwa die Hälfte dieser Gefährder hat keinen deutschen Pass. Einige könnten abgeschoben werden, etwa weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Was aber soll der Senat mit ausreisepflichtigen Gefährdern tun, wenn die Herkunftsländer die potenziellen Terroristen nicht wieder aufnehmen wollen – etwa weil gültige Ausweispapiere fehlen?

Vor rund drei Wochen eröffnete die Innenverwaltung dafür eine Abschiebehaftanstalt. Einladend sieht der Flachbau am Kirchhainer Damm in Lichtenrade nicht aus. Aber wohlfühlen soll sich hier auch niemand. Denn im Idealfall sollen die Behörden eine zeitnahe Lösung finden, um die Gefährder trotz fehlender Papiere doch außer Landes zu bringen. Wichtig aus Sicht der Innenverwaltung: Im Abschiebegewahrsam sind die Gefährder unter Kontrolle. Innensenator Andreas Geisel (SPD) sprach bei der Inbetriebnahme denn auch von „einem weiteren Schritt für noch mehr Sicherheit“.

Rund um die Uhr: Elf Polizisten, zwei Sanitäter und ein Arzt

Sicherheit kostet – und im konkreten Fall offenbar eine ganze Menge: Nach Informationen der Berliner Morgenpost arbeiten in dem Abschiebegewahrsam zwei Beamte und neun Angestellte, sowie zwei Sanitäter und ein Arzt. Rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche. Legt man einen Drei-Schicht-Betrieb zugrunde, ergibt das einen Personalbedarf von mindestens 42 Beschäftigten. Die zusätzlichen Bediensteten für die Wochenendschichten sind dabei noch nicht einmal mit berechnet.

Für eine normale Haftanstalt wäre das ein schlankes Personaltableau. Im Fall des Abschiebegewahrsams kommen an der Wirtschaftlichkeit jedoch Zweifel auf. Denn das Gebäude, das bis vor wenigen Wochen noch als Jugendarrestanstalt genutzt wurde, bietet theoretisch zwar Platz für rund 35 Insassen. Für die Erfordernisse für potenzielle Terroristen wurden aber nur zehn Zellen hergerichtet. Vor allem: Die tatsächliche Zahl der Insassen liegt noch einmal niedriger: Nach Informationen aus Sicherheitskreisen sind es gerade mal drei Personen.

Die Linke hat die Einrichtung des Abschiebegewahrsams ohnehin von Anfang kritisch gesehen. Menschen, denen keine Straftat nachzuweisen ist, dürfe man nur wegen eines Verdachts schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht einsperren. Zur Einrichtung eines Abschiebegewahrsams habe es aber keine Alternative gegeben, weil Berlin durch Bundes- und EU-Recht dazu verpflichtet gewesen sei.

Berlin müsse mit anderen Bundesländern kooperieren

Angesichts des hohen Personaleinsatzes und der geringen Auslastung fordert die Linke nun aber, neu nachzudenken. „Das Personal verursacht enorme Kosten, die mit Steuergeldern bezahlt werden müssen“, sagt der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Hakan Tas. Möglicherweise müsse Berlin mit anderen Bundesländern kooperieren. Der Senat müsse mit dem Bundesinnenministerium und anderen Ländern sprechen. Er werde in dieser Woche darüber mit Innensenator Geisel sprechen, sagte Tas.

Kritik regt sich auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Der Fraktionsvorsitzende und Innenexperte der CDU, Burkard Dregger, bezeichnet das derzeitige Verhältnis von Personaleinsatz und Zahl der Insassen ebenfalls als „wirtschaftlichen Unsinn“. Während die Linke auf die Möglichkeit des Abschiebegewahrsam am liebsten ganz verzichten würden, möchte Dregger aber nicht nur Gefährder, sondern noch weitere abgelehnte Asylbewerber in Abschiebegewahrsam wissen: nämlich Straftäter und ausreisepflichtige Personen, die sich einer Abschiebung entziehen wollten. „Das wäre sicherheitspolitisch notwendig“, sagt Dregger. Zurzeit seien in Berlin ausreisepflichtige „Mörder“ auf freiem Fuß, weil die rot-rot-grüne Koalition sich weigere, deren Abschiebung notfalls auch mit Gewahrsam sicherzustellen. Bei einem erweiterten Personenkreis für ein Abschiebegewahrsam würde sich auch der Personalaufwand in einer solchen Anstalt rechnen.

Die Senatsverwaltung für Inneres verweist bei Fragen zu Auslastung und Personalausstattung des Abschiebegewahrsams an die Polizei. Dort nimmt sich die Pressestelle für die Fragen der Berliner Morgenpost vier Tage Zeit. Dann teilt die Behörde mit: Aus Sicherheitsgründen könnten keine Angaben gemacht werden. Weder zur derzeitigen Auslastung noch zur Personalausstattung. Eine Ausrede – mutmaßen zumindest Mitarbeiter der Polizei. Angesichts der zweifelhaften Wirtschaftlichkeit der Anstalt sei die Angelegenheit der Behörde womöglich unangenehm.

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