Berlin. Es war wie nach Hause kommen. Endlich wieder im Stadion, dort, wo sie fast ihr ganzes Leben verbracht hat. Luise Pfannenschmidt, die alle nur „Lu“ nennen, freut sich. Auf den Tag, das Fest, die Sportler. Zwei Mannschaften singen für sie das Geburtstagslied. 100 Jahre alt ist sie am Sonntag geworden. Und wo sollte sie sonst diesen großen runden Geburtstag feiern, als im Stadion Lichterfelde am Ostpreußendamm. Lu Pfannenschmidt ist Ehrenpräsidentin des FC Viktoria 1889 Berlin. Und der Verein hat es sich nicht nehmen lassen, ihre Feier zum runden Jubiläum auszustatten. Mit einem Brunch, bei dem die traditionelle Currywurst-Pfanne nicht fehlen darf.
Das schönste für Lu ist aber, wieder bei ihren Jungs im Stadion zu sein. „Habe ich alle jungen Männer mit auf dem Bild?“, fragt sie beim Fototermin nach dem Geburtstagsständchen in die Runde. Alte Männer würden genug im Saal sitzen. Die Sportler überreichen ihr ein ganz besonderes Geschenk: Ein hellblaues Vereins-Trikot mit ihrem Namen Lu und der Rückennummer 100. Fortan ist sie nicht nur Ehrenpräsidentin sondern auch Ehrenmannschaftsmitglied von Viktoria – einem Verein, für den sie sich jahrzehntelang engagiert hat. „Eine Legende des deutschen Sports“ – so nennt sie Thomas Härtel, Präsident des Landessportbunds Berlin, der zur Feier gekommen ist.
Die Fußball-Woche liegt im Zimmer neben dem Laptop auf dem Tisch
Sie freue sich „auf alle alten Hirten, die ich dann wiedersehe“, sagt die Jubilarin wenige Tage vor ihrer Geburtstagsfeier in ihrem Zimmer im Seniorenheim in Kaulsdorf. Dort liegt die Fußball-Woche gleich neben dem aufgeklappten Laptop auf dem Tisch. „Die lese ich immer noch“, sagt Lu Pfannenschmidt und lacht. Spiele schaue sie sich auch noch an: Bayern München natürlich, „da freue ich mich, wenn sie verlieren“, oder Union und Hertha. Sie sei eher für Union, sagt sie, weil ihr das Management imponiere, von Hertha sei sie hingegen ein bisschen enttäuscht.
Der Fußball und Lu Pfannenschmidt – das war keine Liebe auf den ersten Blick. Eigentlich blieb ihr keine andere Wahl, wollte sie ihren Mann ab und zu sehen. 1943 hatten sie geheiratet. Gleich nach dem Krieg begann Carl-Heinz Pfannenschmidt seinen alten Verein, den BFC Viktoria, in Tempelhof wieder aufzubauen. Dort hatte er schon vorher in der Jugend gespielt. 1945 wird er zum Präsidenten gewählt, nach einer längeren Pause übernimmt er später das Amt noch einmal, bevor es an seine Frau geht.
Doch zunächst bauen sie gemeinsam mit anderen Fußballfreunden den Verein wieder auf, kümmern sich um Spieler, Sponsoren, Essen – sie in der zweiten Reihe, wie die Fußballerfrauen. Lu Pfannenschmidt ist gelernte Sekretärin, sie schreibt die Protokolle, bügelt Trikots und verkauft Eintrittskarten für die Spiele am Wochenende. Als der Verein wieder läuft, ziehen sich die beiden Pfannenschmidts etwas zurück, um in den 1970er-Jahren noch einmal richtig durchzustarten.
Das ist auch der Moment, als es für Lu Pfannenschmidt ernst wird. 1972 trat überraschend der Geschäftsführer zurück. „Lu kannst du ihn nicht vertreten, nur für zwei Wochen, bis die Ablösung da ist?“, hatte ihr Mann sie gebeten. „Auf die Ablösung warte ich heute noch“, sagt sie und lacht wieder, herzlich und warm. Mehr als 20 Jahre lang war sie Geschäftsführerin, dann Vizepräsidentin, bis sie 1996 nach dem Tod ihres Mannes das Präsidentenamt übernahm. 2003, mit 80 Jahren, hörte sie auf. Die Vereinsmitglieder wählten sie zur Ehrenpräsidentin des BFC Viktoria 89, der 2012 mit dem Lichterfelder FC Berlin fusionierte und zum FC Viktoria 1889 Berlin wurde.
Noch immer ist sie im Bilde über die Mannschaften des Vereins
Das ist nun 20 Jahre her, aber den Fußball hat sie nicht aus ihrem Leben gestrichen. Sie weiß genau über alles Bescheid: „Die ersten Frauen stehen ganz toll da, auf die Frauen kann Viktoria stolz sein“, sagt die Jubilarin. Tatsächlich sind die Frauen derzeit Tabellenerste in der Regionalliga Nordost. Sie könnten es dieses Jahr noch schaffen, in die Zweite Bundesliga aufzusteigen. Ziel ist die Erste Bundesliga in vier, fünf Jahren. Die erste Männer-Mannschaft spielt ebenfalls in der Regionalliga Nordost und behauptet sich dort im Mittelfeld. Im Sommer 2022 wurden sie Berliner Landespokalsieger. Insgesamt spielen im Verein 71 Mannschaften, die meisten in der starken Jugendabteilung.
Luise Pfannenschmidt war immer für ihre „Jungs“ da, sie hat sie getröstet, wenn sie verloren haben, ihnen auf die Schulter geklopft und gesagt: „Beim nächsten Mal macht ihr es besser“. Ärger, Zank, Streit – das ist nichts für sie – ihr ganzes Leben nicht. Man kann über alles reden, ist ihre Devise. Schlechte Laune kenne sie nicht, sagt sie. Nach einhundert Jahren schaut Luise Pfannenschmidt auf ein Leben zurück, das proppenvoll ist, mit Arbeit, Fußball, Kleingarten, Urlauben und der Erziehung der Tochter, die übrigens Handball gespielt hat. „Sonntags gab es um 12.30 Uhr Mittagessen, damit wir 13 Uhr auf dem Fußballplatz sein konnten“, erzählt sie. Zum Glück hätten sie in Tempelhof nur fünf Minuten entfernt gewohnt.
Mit 99 Jahren ist sie noch auf den Markt gegangen
Bis ihr Mann starb, lebte sie in Tempelhof, dann zog sie in die Nähe der Tochter nach Westend. Sie fand eine Wohnung gleich um die Ecke am Olympiastadion. Mit 99 Jahren ging sie dienstags und freitags noch auf den Markt, kochte sich jeden Tag ihr Mittagessen, an dem eines nicht fehlen durfte: Chili. Scharf muss das Essen sein, die Soße oder das Gulasch. „Soll ja gesund sein“.
Doch dann ist sie eines Tages gestürzt, „es hat mir einfach die Beine weggerissen“. Das Schultergelenk war gebrochen, sie musste operiert werden. Den Arm kann sie nicht mehr so gut bewegen, sie sei jetzt ein bisschen behindert, sagt sie und kann wieder darüber lachen. Seit einem Jahr wohnt sie im Seniorenheim in Kaulsdorf und ist zufrieden. Alle seien nett und sehr zuvorkommend, „man muss im Alter auch eine gewisse Dankbarkeit besitzen“.
Mit dem Rollator läuft sie noch die Gänge entlang, im Rollstuhl sitzt sie nur zur Sicherheit, falls ihr noch einmal die Beine einknicken. Sie macht Spiele am Computer, geht aber auch zum Treffen der Mensch-ärgere-dich-nicht-Runde und zur Sportstunde. Was das Schönste in ihrem Leben war? „Sehr viel war das Schönste“, sagt sie, „zum Beispiel so ein Sonnenuntergang.“ Sie zeigt auf den Bildschirm ihres Laptops, auf dem im roten Licht die Sonne langsam verschwindet.
Ihr Wunsch für ihre Gäste: „Ihr sollt alle 100 Jahre alt werden“
Auf ihrer Geburtstagsfeier gibt sie daher auch allen mit auf den Weg: „Ich wünsche euch, dass ihr 100 Jahre alt werdet.“ Etwa 60 Gäste sind gekommen, Weggefährten, aber auch Vertreter des Sports in Berlin und der Bezirkspolitik. „Eine Ehrenpräsidentin, die 100 Jahre wird und noch dazu eine so erfolgreiche Frauen-Mannschaft – das sind schöne Gründe hier mitzufeiern“, sagt Cerstin Richter-Kotowski (CDU), Bezirksstadträtin für Sport und Kultur in Steglitz-Zehlendorf. In den vielen kleinen Reden wird hervorgehoben, wie engagiert und selbstlos, mit „unerschütterlicher Lust und Liebe zur Sache“, Toleranz und Verzicht auf persönlichen Erfolg sowie viel Fußballverstand Lu ihre ehrenamtliche Arbeit über die Jahrzehnte ausgefüllt hat.
Lu Pfannenschmidt hat auf alle großen Worte, die sie mit „zu viel des Lobes“ abwehrt, nur einen Satz: „Ich bin so glücklich, dass ich heute hier sein kann.“
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