Berlin. Der Labsaal in Lübars hat eine wechselvolle Geschichte. Nun soll er Reinickendorfs erstes Theater werden.
Kurz vor der Stadtgrenze, umgeben von Feldern und Pferdekoppeln, liegt der Labsaal an einer Kopfsteinpflasterstraße. Der Bus 222 hat seine Endstation vor der Tür. Einst als Festsaal des Dorfkrugs gebaut, ist er Veranstaltungsort für diverse Kulturevents in Lübars, Berlins letztem intaktem Dorf.
Doch nun will er sein Profil neu schärfen: Der Labsaal will zum ersten richtigen Theater in Reinickendorf werden. „Es mag den Eindruck geben, dass es in Berlin genug Theater gibt, aber Reinickendorf hat kein einziges“, sagt Norbert Heners-Martin aus dem Vorstand des Vereins Natur und Kultur, der den Labsaal betreibt.
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Um dieses Projekt realisieren zu können, hat der Verein als freier und gemeinnütziger Kulturträger einen Antrag auf 100.000 Euro (über fünf Jahre verteilt) bei der Kulturförderung der Berliner Sparkasse gestellt. Geplant seien Eigenproduktionen und Festivals für Erwachsene und Kinder, Aufführungen der Opernklasse der Musikschule Reinickendorf, Internationaler Opernworkshops, diverse Kabarett- und Poetryaufführungen, szenische Lesungen, Eigenproduktion im Bereich Musical und Filmprojekte, erzählt Vereinsvorstand Norbert Heners-Martin beim Interview mit der Berliner Morgenpost vor Ort. Zum Gespräch hat er seine Vorstands-Kollegin Gudrun Janke mitgebracht. Und auch die Regisseurin Susanne Meyenburg, die immer mal wieder im Hause spielt, stößt mehr oder minder zufällig wegen eines Termin-Irrtums dazu.
Der Labsaal ist mehr als eine Geldanlage
Heners-Martin und Janke sind keine zahlenfernen Kulturträumer, beide engagieren sich seit Jahrzehnten im Verein. 1999 hat diese Gruppe die Immobilie mit 700.000 DM zusammengelegtem Eigenkapital der Mitglieder und 1 Million DM Bankdarlehen gekauft. Die Bankschulden sind mittlerweile getilgt, das zur Verfügung gestellte Geld der Vereinsmitglieder wird mit vier Prozent verzinst. „Viele unserer Mitglieder vererben die die Einlagen und die Erben wollen sie auch nicht zurück.“ Der Labsaal ist mehr als eine festverzinsliche Geldanlage.

1896 wurde der Saal innerhalb nur eines Jahres vom Eigentümer des Dorfkrugs erbaut mit dem Erlös aus dem Tonstich, der heute das Freibad Lübars ist. Im Saal tagte einst der „Rauchclub zur Linde Lübars“ genauso wie der „Gesangverein Harmonie“ oder „Turnverein Jahn Lübars“. In ihm gab es Erntefeste, Maskenbälle, Stiftungsfeste von Schützenverein, Feuerwehr und Siedlungsgenossenschaft. Es gab Kleintierschauen. Aber auch die SA marschierte mit Nagelschuhen auf dem Tanzboden und während des 2. Weltkrieges wurden im Saal Flugzeugmotoren versteckt.
Später wurde der Saal zum „Fortuna-Filmtheater“ und diente anschließend als Dünger-Lager der Senatsreserve. Nach der Wende und Auflösung der Reserve kaufte 1999 Natur & Kultur (LabSaal Lübars) e.V. das alte Gemäuer und setzte es instand.
Jeder hat im Labsaal mal Geschirr zerdeppert
Heute hat der Verein fast 300 Mitglieder. 21 Gruppen unterschiedlichster Interessen sind vereint unter einem Dach. Bekannt wurde der Verein in seinen Anfangszeiten durch eigene Musical-Produktionen. Doch weil der Beitrieb kostet, haben sie oft vermietet. Für Hochzeiten, Konzerte und Gastspiele. Wohl jeder Reinickendorfer hat dort irgendwann einmal Geschirr zerschmissen – absichtlich auf einem Polterabend oder unabsichtlich bei einem anderen Fest. „Es ist ein bisschen abgedriftet in den Veranstaltungsbetrieb, gibt Heners-Martin zu. Die Corona-Zeit sei dann ein Einschnitt und Anlass zum Nachdenken gewesen, was sie eigentlich wollen. Und so haben sie beschlossen, wieder mehr Theater zu machen und zu ermöglichen. „Es gibt viele semi-professionelle und Amateurtheater in Berlin und viele von ihnen suchen immer wieder Spielstätten. Sie wollen gerne spielen, aber es gibt fast nur ungeeignete Räume“, sagt Heners-Martin.

Nun könnte man denken, dass Theater, das nicht an Schaubühne oder Deutschem Theater stattfindet, unter dem Radar fliegt. In der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht, aber nicht bei den Zuschauern, beteuert Janke: „Das Interesse ist riesengroß. Diese Theateraufführungen sind immer, wirklich immer, ausverkauft“. Von solch einem Andrang können subventionierte Theater nur träumen.
Die Verdunkelung des Saals ist gefährlich
Doch um eine regelmäßige Spieltätigkeit umsetzen zu können, sind einige Umbauten und Ertüchtigungen im Labsaal nötig. „Wenn wir jetzt Theater spielen, müssen wir vorher auf die Leiter steigen und die Verdunklung einhängen und das ist relativ gefährlich“, sagt Norbert Heners-Martin. Ihre Bühnentechnik sei „selfmade“, ergänzt seine Vorstandskollegin Janke. Auch beim Ton müsse man nachbessern. Gerade für Musicalproduktionen. Zudem würden eigene Scheinwerfer das Leben erleichtern, weil man dann nicht immer Technik leihen müsse.
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Der Saal sei „ein toller Ort“, pflichtet ihm Regisseurin Meyenburg bei, aber technische Verbesserungen seien hilfreich. „Bis zu 300 Leute – aber wenn man dann noch die letzten Reihen erreichen will, muss man ganz schön Gas geben.“ Sie kennt sich aus, Meyenburg hat früher als Schauspielerin an der Badischen Landesbühne Bruchsal ihr Geld verdient. Jetzt leitet sie die TaFF, das Theater an Forst und Fließ, wobei Forst für Heiligensee steht und Fließ für Lübars steht.
Derzeit gebe es rund 250 Mitwirkende bei den Projekten und und rund 3500 Besucher bei den Theaterproduktionen im Labsaal, sagt Heners-Martin. „Wir gehen davon aus, dass sich die Anzahl der Mitwirkenden sowie Besucherinnen und Besucher bei Ausbau des Vorhabens perspektivisch verdoppeln wird“, glaubt der Vorstand. Sie haben alle Reinickendorfer Kulturpolitiker um ihre Unterstützung gebeten. „Wir meinen nehmen unser Vorhaben sehr ernst“, sagt Janke. Ende September wird die Sparkasse ihre Entscheidung bekannt geben.