Reinickendorf
Kahlschlag

Darum sehen die 100 Jahre alten Bäume so verstümmelt aus

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Dirk Krampitz
Die 100 Jahre alten Silberlinden im Ludolfingerweg mussten ungewohnt weit zurück geschnitten werden.

Die 100 Jahre alten Silberlinden im Ludolfingerweg mussten ungewohnt weit zurück geschnitten werden.

Foto: Dirk Krampitz

In Frohnau machen sich die Bewohner Sorgen um die Straßenbäume nach extremer Beschneidung. Die Umwelt-Bezirksstadträtin klärt auf.

Berlin. Wie abgestorbene Stümpfe ragen die alten Silberlinden in den grauen März-Himmel von Frohnau. Im Ludolfingerweg wurden am 6. März die ersten neun Exemplare des alten Baumbestands so extrem zurückgeschnitten, dass die Anwohner der im Sommer malerisch belaubten Straße begannen, sich darüber zu wundern, ob das auch alles wirklich seine Richtigkeit hat.

Schließlich sind die Silberlinden mit rund 100 Jahren gerade einmal in der Halbzeit ihres Lebens. Die südosteuropäische Lindenart hat eine beachtliche Wuchsleistung. Ihr Holz wird vielfältig genutzt. Der Baum ist eine wertvolle Nahrungsquelle für Bienen und Hummeln.

Die Umwelt-Bezirksstadträtin Korinna Stephan (Grüne) kann die Verwunderung und Besorgnis der Anwohner und Spaziergänger verstehen. „Die von Ihnen angesprochenen Baumpflegemaßnahmen sind in der Tat tiefgreifend. Sie sind in diesem Fall unbedingt erforderlich zum Schutz der Bäume“, sagt sie.

Hohle Kappungsstellen und Gefahr durch Äste

Im Rahmen von Routineüberprüfungen sind Baumkontrolleure aufmerksam geworden, da zahlreiche abgebrochene Äste in den Bäumen hingen und Gefahr durch herabfallende Äste drohte. Die Bäume wurden anschließend genauer untersucht. Es wurde festgestellt, dass die Bäume, die in den 1980er Jahren bereits einmal gekappt worden waren, an den Kappungsstellen hohl waren und die eng stehenden Stämmlinge gegeneinander drückten.

Als Stämmling bezeichnet man einen oder mehrere aufrechtwachsende, kronenbildende Triebe eines Baumes. „Offenbar wurde damals im Nachgang an die Kappung versäumt, den Astwuchs zu überwachen und mit gezielten Baumpflegemaßnahmen eine Rissbildung zu verhindern. Die Kappungsstellen waren entsprechend bei vielen Bäumen gerissen, sodass der Abbruch der Stämmlinge oder ganzer Kronenteile drohte“, so Stephan weiter.

Es wurde geprüft, ob eine Kronensicherung die Gefahr des Abbruchs minimieren könnte, doch waren die Schäden an den Bäumen zu groß, sodass die Bruchsicherheit nicht mehr gewährleistet werden konnte. „Da unseren Kollegen klar war, dass dies ein massiver Eingriff werden könnte, wurde bereits im Vorfeld der BUND e.V. ins Boot geholt und die möglichen Maßnahmen gemeinsam besprochen.“

Über Jahrzehnte keine vorausschauende Pflege

Im Ergebnis der Abstimmung wurden die Bäume nunmehr so gekappt, dass sie die Chance haben, wieder gesunde Äste auszubilden und damit in ihrer Vitalität langfristig gestärkt zu werden. Künftig wird bei den Baumpflegemaßnahmen im Bezirk vermehrt darauf geachtet, dass solche eng wachsenden Stämmlinge frühzeitig entfernt werden. „Da über Jahrzehnte diese frühzeitige vorausschauende Pflege nicht erfolgt ist, werden solche Eingriffe in der nahen Zukunft an mehreren Stellen in Reinickendorf notwendig werden“, warnt Stephan schon einmal vor.

Und auch im Ludolfingerweg gehen die Baumarbeiten schon bald weiter. Dienstag und Mittwoch sind die Parkplätze entlang der Straße wegen erneuter Baumarbeiten von 7 bis 17 Uhr gesperrt. Der Kranwagen der Firma Baumdienst Immergrün steht bereits vor Ort.

Reinickendorf ist einer der Berliner Bezirke mit den meisten Straßenbäumen. Nach Steglitz-Zehlendorf (59.650 Bäume), Marzahn-Hellersdorf (46.087) und Treptow-Köpenick (44.446) liegt Reinickendorf mit 44.105 Straßenbäumen auf Platz vier der zwölf Bezirke. Nimmt man die Parks und Grünanlagen Reinickendorfs dazu, sind es sogar mehr als 95.000 Bäume, die den Bezirk ergrünen lassen. Zum Gesamtbaumbestand tragen sechs Hauptgattungen bei – Linden, Ahorn, Eichen, Platanen, Birken und Robinien.

Straßenbäume machen Berlin Sorgen

Etwa 57 Prozent der Straßenbäume in Reinickendorf sind älter als 40 Jahre. Im Regelfall sollte jeder Baum einmal im Jahr auf Krankheiten und Schäden kontrolliert werden. Festgestellte Mängel werden durch die anschließende Baumpflege beseitigt.

Im letzten vorliegenden Straßenbaumzustandsbericht aus dem Jahr 2020 ist allerdings in fast allen Berliner Bezirken eine bedeutende Zustandsverschlechterung im Vergleich zu 2015 nachzuweisen. Während im Jahre 2015 insgesamt rund 52 Prozent der untersuchten Bäume als nicht geschädigt eingestuft wurden, waren es für 2020 nur noch 44 Prozent. Der nächste Zustandsbericht für die insgesamt 432.769 Bäume wird voraussichtlich 2025 erscheinen.

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