Reinickendorf
Interview

„So ein Bündnis ist natürlich nie ein Selbstzweck“

| Lesedauer: 9 Minuten
Dirk Krampitz
Reinickendorfs FDP-Fraktionsvorsitzender David Jahn

Reinickendorfs FDP-Fraktionsvorsitzender David Jahn

Foto: Dirk Krampitz

Vor der Wiederholungswahl gibt der Reinickendorfer FDP-Fraktionschef David Jahn Einblicke in die Zerbrechlichkeit der Bezirks-Ampel.

Berlin.  Nach mehr als einem Vierteljahrhundert mit CDU-Bürgermeistern regiert seit 2021 Uwe Brockhausen (SPD) mit der Reinickendorfer Ampel. Die FDP war da Zünglein an der Waage. Am 12. Februar wird wieder gewählt, und in kaum einen Bezirk wird es so spannend wie in Reinickendorf, wo die Mehrheitsverhältnisse sehr fragil sind. Ein Gespräch mit dem Reinickendorfer FDP-Fraktionsvorsitzenden David Jahn über Streit-Punkte in der Ampel, seinen Ärger über Vize-Bürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU), sowie den schleppenden Wohnungsbau und die Versorgung von Flüchtlingen im Bezirk.

Wie stabil ist die Reinickendorfer Ampel?

Wir arbeiten gut zusammen. Aber so ein Bündnis ist natürlich nie ein Selbstzweck. Uns als FDP ist es wichtig, dass wir unseren Bezirk modernisieren, dass wir unserer gesamtstädtischen Verantwortung nachkommen und nicht in bezirkliche Egoismen verfallen. Und so schauen wir natürlich auch nach der Wahl wieder: Wo können wir eine liberale Politik umsetzen.

Wie sieht diese aus?

Alle ärgern sich über die Verwaltung. Wir arbeiten daran, dass es besser wird. Oder beim Thema Wohnungsbau. In ganz Berlin sehen wir steigende Mieten. Reinickendorf war in den vergangenen Jahren immer Schlusslicht beim Wohnungsneubau in Berlin. Kein Bezirk hat weniger Wohnungen gebaut. Wenn Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg mehr Wohnungsbauprojekte haben als wir, stimmt etwas nicht. Wir arbeiten an einem Baulückenkataster, um überhaupt erstmal einen Überblick zu bekommen, Baupotenziale sind.

Wo sehen Sie Flächen?

Konkret das Tetra Pak-Gelände. Eine große Baufläche, wobei die Entwicklung von der CDU aktiv verhindert wurde. In der Vergangenheit wurde immer gesagt, Reinickendorf habe keine Flächen. Das ist falsch. In Reinickendorf sind sehr viele Flächen in Senatsbesitz und gehören nicht dem Bezirk. Der Bezirk muss die Akteure an den Tisch bringen und dann muss nach dem Berliner Modell gebaut werden.

Verärgern Sie damit nicht Ihre Wähler?

Wer bekommt schon gern seinen Hinterhof zugebaut? Das ist typisch für uns. Wir handeln gerne nach dem Sankt-Florians-Prinzip: Not in my backyard. Das kann nicht die Haltung sein. Das meinte ich auch mit gesamtstädtischer Verantwortung. Wir müssen allen Menschen, die eine neue Wohnung suchen, insbesondere auch Geflüchteten, ein Angebot machen können. Größere Neubauprojekte bringen nicht nur neue Wohnungen, sondern auch Infrastruktur wie Kitas, Kultur oder Supermärkte. Natürlich braucht es neben dem Neubau auch Investitionen in den Bestand. Wir als FDP setzen uns für die Modernisierung von Wohnungen, den Ausbau von Dachgeschossen und den Einbau von Fahrstühlen ein – gerade auch im Hinblick auf Barrierefreiheit für die alternde Gesellschaft. Das ist ein liberales Alleinstellungsmerkmal. Alle anderen Reinickendorfer Fraktionen verhindern diese Investitionen durch soziale Erhaltungssatzungen.

Gibt das keinen Streit innerhalb der Ampel?

Natürlich kommen in einer Koalition immer wieder unterschiedliche Meinung auf. Auch beim Thema Verkehr: Es kann nicht allein die Lösung sein, Durchgangsstraßen zu schließen, wir müssen auch berücksichtigen, dass wir Umlandgemeinden haben. Oder blicken wir auf Bus und Bahn. Gemeinsam mit den Grünen wollen wir den ÖPNV stärken. Aber dafür muss ich auch den Rahmen setzen. Wir Liberale wollen die U8 ins Märkische Viertel verlängern. Mit den Grünen streiten wir uns oft und leidenschaftlich über den Ausbau von Parkplätzen. Aus einigen Teilen Reinickendorfs, etwa Frohnau und Lübars, ist der Weg zum nächsten Bahnhof sehr weit. Diesen Menschen muss man ja auch die Chance geben, das Auto parken und auf die Bahn umsteigen zu können. Wir möchten den Weg der Modernisierung natürlich auch nach dem 12. Februar fortsetzen – mit einer starken liberalen Kraft.

Das klingt so, als würden Sie nicht sehr an der Ampel hängen?

Jetzt entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Wir arbeiten gut zusammen, aber jede Wahl ist wieder neu, Ich glaube, dass wir viele Menschen positiv überrascht haben mit unserer Politik und die jetzt überlegen, FDP zu wählen. Wir schließen die Zusammenarbeit mit keiner demokratischen Partei aus, die AfD steht überhaupt nicht zur Debatte, und wenn man ehrlich ist, sind die inhaltlichen Differenzen mit der Linkspartei wohl auch nicht überwindbar.

Stresst Sie der zweite Wahlkampf in anderthalb Jahren?

Für mich ist es eine sehr große Ehre, dass ich Politik gestalten darf. Es macht mir sehr viel Spaß. Aber natürlich würde man sich wünschen, dass so ein Ergebnis fünf Jahre Bestand hat. Dass diese Wahl wiederholt werden muss, ist letztendlich nur ein weiteres Symptom einer völlig dysfunktionalen Stadt. Wir sehen es beim fehlenden Wohnungsbau, wir sehen es beim Lehrermangel und bröckelnden Schulgebäuden und dem Schuldenstand.

Auch in Reinickendorf?

Reinickendorf ist grundsätzlich ein intakter Bezirk – hier läuft vieles gut. Wir wollen hier nicht wie in Friedrichshain-Kreuzberg die Planwirtschaft einführen. Hier gilt Recht und Ordnung. Reinickendorf ist ein vielfältiger Bezirk mit 260.000 Einwohnern und einer breiten Gesellschaft zwischen Märkischem Viertel und Frohnau. Hier macht man nicht Klientelpolitik für eine kleine Gruppe, sondern man muss den Konsens, den man im gesamtgesellschaftlichen Großen bildet auch hier im Kleinen, auf der kleinsten politischen Ebene finden.

Und doch läuft nicht alles gut. Nehmen Sie nur die Messerstecherei an der Jean-Krämer-Schule.

Ich bin schockiert nicht nur von der Tat selber sondern auch von den Reaktionen der Schülerinnen und Schüler. Wenn diese die Tat sehen und wissen, wer zugestochen hat und nicht benennen, wer das war, spricht das dafür, dass da eine Struktur dahinter steckt, die unsere Regeln und den Rechtsstaat gar nicht mehr achtet. Gerade im Kontext der Silvesternacht finde ich das sehr, sehr bedenklich. Daher wäre es jetzt auch fatal zu sagen, das ist ein Einzelfall.

Ist da auch der Bezirk in der Pflicht?

Ja. Das ist nicht nur eine Aufgabe der Senatsverwaltung, der Bezirk muss auch dabei sein. Es gibt vom Senat und Polizei aber noch keine Aussage zum Täter – so kann der Bezirk noch nicht aktiv werden.

Auch um den MUF-Bau am Paracelsus-Bad gibt es Streit im Bezirk.

Reinickendorf macht bereits sehr viel. Wir haben die Ukraine-Flüchtlinge auf dem ehemaligen Flughafen Tegel und auch das Ankunftszentrum auf dem Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Jeder Bezirk ist bei der Flüchtlingsunterbringung gefragt. Neue modulare Unterkünfte müssen entstehen, das Land Berlin ist an der Kapazitätsgrenze. Positiv an der MUF ist, dass sie nach der Nutzung in den normalen Wohnungsmarkt übergehen können. Da muss jetzt der Senat schauen, ob man den Standort Paracelsus-Bad realisiert. Zuletzt hat die SPD-Innen- und Sportsenatorin ein Planschbecken favorisiert. Ich bin mal gespannt, wo sie die die Menschen dann unterbringen will. Wir als FDP wollen einen Erweiterungsbau mit einem ordentlichen 25 Meter langen Schwimmbad, damit Schwimmunterricht stattfinden kann und oben drüber Wohnungen schaffen, die in den ersten Jahren wie modulare Unterkünfte genutzt werden. Damit käme der Bezirk gleich beiden Verpflichtungen nach.

Lassen Sie uns noch einmal über die politische Zusammenarbeit sprechen. Vize-Bürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) warf ihrer FDP nicht gerechtfertigte Forderungen nach Posten vor. Darum sei in 2021 keine Zusammenarbeit mit der CDU zustande gekommen.

Ich wundere mich manchmal, was in der CDU so erzählt wird. Frau Demirbüken-Wegner war – im Gegensatz zu mir – bei den Gesprächen gar nicht dabei. Uns war wichtig, dass wir eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe hinbekommen. Das ist uns in der Ampel gelungen.

Ein weiterer Vorwurf gegen die Ampel: Personalaufwuchs nur in eigene Abteilungen des Bezirksamts zu stecken und die Sanierung der Residenzstraße zu verschleppen.

Diesen Punkt muss ich bei aller Zuspitzung im Wahlkampf zurückweisen. Ich finde es unredlich wie da wider besseren Wissens argumentiert wird. Es ist richtig, dass wir im Bezirk zusätzliche Stellen schaffen konnten. Diese Stellen kamen von Landesebene und waren in sehr beschränktem Rahmen auf die Abteilungen verteilbar. Wir haben dort, wo es möglich war, auch Stellen in Abteilungen der CDU umgesetzt geschaffen. Die Entwicklung der Residenzstraße steht in keinerlei Zusammenhang damit, auch da handelt es sich um Landesmittel.

Das klingt zerrüttet.

Politik auf Bezirksebene muss Kompromisse finden. Diese Form des Miteinanders wollen wir im Sinne der Bürgerinnen und Bürger fortführen. Die CDU ist eine große Fraktion und in der Ausschussarbeit und im bilateralen Austausch gibt es durchaus auch verlässliche Gesprächspartner bei der CDU.

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