Reinickendorf
Bernauer Straße

Flüchtlinge gut im Kiez integriert

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Janine Richter

Foto: joerg Krauthoefer

218 Menschen wohnen im Modularbau an der Bernauer Straße. Der Zaun um das Gelände soll durch Grün-Bepflanzung verschönert werden.

Tegel.  Ghanim Khudida und Zarifa Shamo sitzen mit ihren sechs Kindern im Spielzimmer der Gemeinschaftsunterkunft an der Bernauer Straße. Die Kleinsten robben über den bunt-gestreiften Teppich und bauen mit Legosteinen. Die Älteren schauen sich mit ihren Eltern Fotos auf dem Handy an. Zu sehen: die Trümmer eines Hauses und Bilder von Verletzten. Kampfjets der türkischen Luftwaffe hatten kürzlich ihre Stadt Sindschar im Irak angegriffen. Momente, die die jesidische Familie immer wieder bedrücken. Doch vieles hat sich für die Familie im Vergleich zur Flüchtlingsunterkunft vorher verbessert. „Wir sind sehr zufrieden und glücklich hier in Ruhe leben zu können. Alles ist gut hier und die Leute sind sehr nett“, sagt Khudida.

Die Hälfte der Bewohner sind Familien

Vor viereinhalb Monaten ist die Familie mit anderen Geflüchteten und Asylsuchenden in die neu errichtete Modulare Unterbringung für Flüchtlinge (MUF) eingezogen. Die meisten lebten zuvor in den vier Reinickendorfer Turnhallen. Der neungeschossige Modularbau wurde von der Gewobag im Auftrag des Senats nach zehnmonatiger Bauzeit fertiggestellt und dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) übergeben. Als Interimsbetreiber wird der Internationale Bund Berlin-Brandenburg (IB) die Einrichtung sechs bis neun Monate betreuen. Dann findet eine europaweite Ausschreibung durch die Senatsverwaltung statt. Khudidas Familie wurden zwei Drei-Bett-Zimmer im MUF zugeteilt. Am Umzugstag hatten alle nur 30 Minuten pro Haushalt Zeit für den Einzug. „Das war sportlich, aber alles hat super geklappt und alle waren sehr gelassen. Das ist nicht selbstverständlich“, sagt Stefan Ehrhardt, Leiter der Gemeinschaftsunterkunft vom IB. Überhaupt habe es in der Unterkunft unter den Geflüchteten bisher keinerlei gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben. Ein arabischer Familienvater würde beispielsweise die jungen, männlichen Geflüchteten anleiten und sei ihr Ansprechpartner.

Kinder müssen für Eltern oft übersetzen

Derzeit leben in der Unterkunft 218 Menschen – Platz wäre für 225. Der Familienanteil liegt, laut Ehrhardt, bei 50 Prozent. 66 Kinder wohnen dort. 90 Prozent der Bewohner kommen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan. „Wir haben das Problem, dass viele Kleinkinder bisher keinen Kita-Platz haben und beispielsweise ein Mädchen jeden Tag einen Schulweg von drei Stunden auf sich nehmen musste“, sagt der Unterkunftsleiter. Die Probleme sollen nach den Sommerferien gelöst sein.

Insgesamt sei die sprachliche Integration der Eltern am schwierigsten, weil die Kinder oft übersetzen. Die junge Generation wisse jedoch, dass Sprachkenntnisse der Schlüssel zu guter Bildung seien, sagt Ehrhardt. Viele Geflüchtete waren zum Großteil schon in Reinickendorf integriert und konnten ihre Vertrauenspersonen über das Netzwerk „Willkommen in Reinickendorf“ behalten. Deren Ehrenamtsarbeit sei vor Ort Gold wert.

Leiter vermittelt bei Missverständnissen

Der Unterkunftsleiter ist froh, dass die MUF nach ersten Anfeindungen in sozialen Netzwerken doch so gut in Tegel-Süd angenommen wurde. So seien am Tag der offenen Tür 600 Nachbarn vorbeigekommen, und auch das Sommerfest war ein voller Erfolg. „Keiner unserer Bewohner wurde im Kiez fremdenfeindlich angegriffen“, sagt Ehrhardt. Manch diffuse Ängste und Vorurteile bestünden dennoch fort. Beispielsweise störte einige Nachbarn das Shisha-Rauchen durch Bewohner im nahe gelegenen Park. Dies sei als Drogenkonsum wahrgenommen worden. „Wir vermitteln bei diesen kulturellen Missverständnissen“, sagt Ehrhardt. Im Gegenzug müssten sich die Flüchtlinge an die partielle Nacktbadekultur der nahegelegenen Seen gewöhnen und wurden aufgeklärt, wie sie Missverständnisse vermeiden können. „Durch den Zuzug hat sich die soziale Situation im Kiez nicht verschärft“, resümiert Richard Palm, Ansprechpartner im Stadtteilladen.

Den Bewohnern stehen in der Unterkunft 62 Zwei-Bett-Zimmer, 32 Drei-Bett-Zimmer und ein barrierefreies Zimmer zur Verfügung. Es gibt nach Geschlechtern getrennte Etagen und getrennte Bäder sowie eine Küche mit Aufenthaltsraum auf jedem Stockwerk. Im Erdgeschoss befindet sich ein Spielzimmer und Personalräume. „Nur freies Wlan ist noch eine großes Problem, weil es baulich schwer umsetzbar ist“, sagt Ehrhardt. Zudem müsste noch geklärt werden, wer die Kosten trägt. Bewohnern wie Ghanim Khudida und Zarifa Shamo würde ein Wlan-Zugang die Kommunikation mit den Verwandten in der Heimat erleichtern. Deshalb hoffen sie, dass dieser bald kommt. Die Flüchtlingskinder erfreuen sich seit neuestem an der vom Bezirk aufgestellten Soccer-Arena auf dem Gelände.

„Der Zaun sollte weichen“

Stephan Schmidt (CDU), Mitglied des Abgeordnetenhauses, zu dessen Wahlkreis Tegel-Süd gehört, kritisierte bei seinem Besuch in der Unterkunft den „martialisch wirkenden Zaun“ um das Gebäude. „Der Zaun sollte weichen, weil er Menschen voneinander abgrenzt, die zusammenfinden sollen“, sagt er. Im Integrationsausschuss teilten alle Parteien Schmidts Eindruck. Doch dieser Zaun ist vom LKA vorgegeben. Um dem „Gefängnis“-Gefühl entgegenzuwirken, wird der IB den Zaun im Herbst durch seine Auszubildenden der Fachrichtung Garten- und Landschaftsbau bepflanzen lassen. Ein Konzept werde gerade erarbeitet.