Berliner Wohnungsbaugesellschaften halten die Sozialquote, mit denen insbesondere Geringverdiener und Bezieher von Transferleistungen eine Wohnung finden sollen, für zu hoch. Sie sorgen sich um die soziale Mischung in den Hochhaussiedlungen am Stadtrand. Im April hatte der rot-rot-grüne Senat mit den sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften beschlossen, dass in den Beständen der Unternehmen 60 Prozent aller frei werdenden Wohnungen an Mieter mit Berechtigungsschein vergeben werden müssen.
Bisher lag die Quote außerhalb des S-Bahnringes bei 33 Prozent. Zudem müssen von diesen Wohnungen 25 Prozent an „besondere Bedarfsgruppen“ – dazu zählen vor allem Obdachlose, Geflüchtete oder das betreute Wohnen – vergeben werden. Doch nun schlagen die ersten Wohnungsbaugesellschaften Alarm: In Quartieren mit ohnehin problematischer Sozialstruktur sei diese Quote viel zu hoch, heißt es.
Einer, der sich Sorgen um die soziale Mischung in seinen Wohnungsbeständen macht, ist Jörg Franzen. Der Chef der kommunalen Gesobau hat Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) um eine deutlich niedrigere Sozialquote für das Märkische Viertel, der Großsiedlung am nördlichen Stadtrand Berlins mit rund 39.000 Einwohnern, gebeten.
„Es ist wichtig, dass wir die bewährte ,Berliner Mischung‘ möglichst in allen Kiezen erhalten“
„Die auffälligen sozialen und wirtschaftlichen Probleme, durch die das Märkische Viertel in der Vergangenheit gekennzeichnet war, konnten weitgehend zum Stillstand gebracht werden“, sagte Franzen der Berliner Morgenpost. Immer noch aber würden alle drei Untersuchungsbereiche des Märkischen Viertels (MV) nach Angaben des Berliner Sozialmonitorings 2015 zu den insgesamt 43 Planungsräumen Berlins gehören, die als „Gebiete mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf“ gelten, weil Kinderarmut und Arbeitslosigkeit sowie weitere Indikatoren besorgniserregend hoch sind.
„Es ist wichtig, dass wir die bewährte ,Berliner Mischung‘ möglichst in allen Kiezen erhalten“, begründete Franzen seinen Vorstoß. Nur dauerhaft stabile Quartiere sicherten ein gutes und friedliches Zusammenleben. „Daher sollten zu starre und pauschale Belegungsvorgaben vermieden werden“, so Franzen weiter.
Die Degewo hofft für Marzahn auch auf eine Sonderregelung
Die Gesobau ist mit rund 15.000 Wohnungen der größte Vermieter im MV. Sie hat nach eigenen Angaben seit 2008 rund 560 Millionen Euro in die Modernisierung der Siedlung investiert. Mehrere Hunderttausend Euro fließen zudem jährlich in die soziale Quartiersentwicklung der Großsiedlung. Dies alles habe zu einer Stabilisierung des Quartiers und der Mieterzufriedenheit in den Beständen beigetragen.
„Wir geraten dennoch in die Gefahr, trotz all unserer Bemühungen, durch die Belegungsvorgaben die gewonnene Stabilisierung zu verlieren“, so der Gesobau-Vorstandsvorsitzende. Das Märkische Viertel sei daher „nicht geeignet, im größeren Umfang weitere Haushalte mit Transferleistungsbeziehenden, Obdachlosen, Geflüchteten oder betreutes Wohnen aufzunehmen“.
Im Senat ist Franzen auf offene Ohren gestoßen. Sein Vorschlag, im MV nur noch 40 Prozent aller frei werdenden Wohnungen an WBS-berechtigte Haushalte und davon wiederum lediglich zehn Prozent an besondere Bedarfsgruppen zu vergeben, hat jetzt grünes Licht aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bekommen.
Auf eine ähnliche Entscheidung hofft auch Berlins größter kommunaler Vermieter, die Degewo. Das Unternehmen mit mehr als 73.000 Wohnungen im Bestand hat im Juni ebenfalls eine Ausnahmeregelung von der Sozialquote beantragt – für Marzahn.
In der Hauptstadt gibt es derzeit nach Angaben der Bauverwaltung noch 106.000 Sozialwohnungen. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren waren es noch mehr als 208.000. Ohne den Bau neuer Sozialwohnungen wird der Bestand durch auslaufende Belegungsbindungen bis zum Jahr 2026 weiter sinken – auf nur noch 79.000.
„Es gibt in diesem Bezirk Gebiete, die sozial so angespannt sind"
Vermieter der Hochhaussiedlungen am Stadtrand sind in Sorge um die soziale Mischung. Nach der Gesobau, die im Märkischen Viertel bereits eine Ausnahme von der „Sozialquote“ bewilligt bekommen hat, erhofft sich dies nun auch die Degewo – für ihre Bestände in Marzahn – rund 17.000 Wohnungen. Die Degewo hat beantragt, dass dort lediglich nur 50 Prozent aller Neuvermietungen an Menschen mit Wohnberechtigungsschein gehen und davon 20 Prozent an besondere Bedarfsgruppen, wie Obdachlose und Flüchtlinge.
„Es gibt in diesem Bezirk Gebiete, die sozial so angespannt sind, dass die Verpflichtung, 60 Prozent der frei werdenden Wohnungen an Menschen mit WBS-berechtigten Haushalten zu vermieten, unsere Quartiersarbeit noch erschweren würde“, sagte Degewo-Sprecherin Regine Zylka auf Anfrage der Berliner Morgenpost.
Tatsächlich hatte es auch mit dem rot-schwarzen Vorgängersenat bereits Vereinbarungen zur Höhe der Sozialquote gegeben. Allerdings hatten diese eine Differenzierung nach Innenstadt und Randbezirken enthalten, die unter Rot-Rot-Grün nun weggefallen ist. Im alten Mietenbündnis galt innerhalb des S-Bahnringes eine 50-Prozent-Quote, außerhalb lag sie jedoch nur bei 33 Prozent. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Großsiedlungen am Stadtrand nicht erneut zu Problemvierteln werden, aus denen diejenigen wegziehen, die es sich leisten können.
Für die Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) ist es allerdings kein leichter Schritt, die Abweichung von der neuen Quote zu gestatten. Schließlich ist ihre Partei mit dem Versprechen angetreten, dass sich für die Sozialmieter die Situation in Berlin verbessert. Ohne den Bau neuer Sozialwohnungen wird der Bestand durch auslaufende Belegungsbindungen bis 2026 auch weiter sinken – auf nur noch 79.000. In der Senatsverwaltung geht man jedoch davon aus, dass durch die derzeitigen Anstrengungen beim Wohnungsneubau bis 2025 ein Anstieg auf 120.300 preisgebundene Mietwohnungen erreicht werden kann.
Angesichts des dramatischen Schwundes stößt es auf Unverständnis bei Sozialmieterverbänden, wenn in den landeseigenen Beständen auch Besserverdienende bedacht werden sollen. Statt die wenigen Wohnungen, auf deren Mietpreis der Senat noch Einfluss hat, für diejenigen zu reservieren, die sich im boomenden Berlin nicht selbst mit Wohnraum versorgen können, werde „Gentrifizierung von oben“ betrieben, so ihre Kritik.
Kritiker fühlen sich durch die Ausnahmen verschaukelt
„Wir haben kein Verständnis dafür und fühlen uns verschaukelt, wenn die im April noch als Fortschritt gefeierte Erhöhung der Sozialquote drei Monate später einfach unterlaufen wird“, rügt Sebastian Jung von Sozialmieter.de. Eine Gefährdung der sozialen Mischung sei zudem bei einer Quote von 60 Prozent nicht gegeben. „Das impliziert doch immerhin eine Vermietung von 40 Prozent der Wohnungen an Besserverdienende“, so Jung weiter.
Bei der Opposition stößt der Versuch, das Problem der Wohnraumversorgung über Quoten zu regeln, ohnehin auf Unverständnis. „Die sozialistische Planwirtschaft trifft auf die Realität und es zeigt sich, dass Lösungen immer nur vor Ort gefunden werden können – und der Senat eine Wohnungspolitik zulasten der Mitte der Gesellschaft betreibt“, sagte Marcel Luthe (FDP).
Doch die Bausenatorin steht sowohl zur Quote, als auch dazu, Ausnahmen zu gewähren. „In der Koalitionsvereinbarung haben wir ausdrücklich vereinbart, dass Ausnahmen in sozial schwierigen Gebieten möglich sind“, betonte Lompscher. Es lägen auch bereits weitere Anträge auf Ausnahmegenehmigungen vor, darunter auch aus Neukölln, sagte die Senatorin weiter. Auch hier handele es sich um Großsiedlungsbereiche. Welche genau dies sind, wolle sie aber noch nicht sagen.
Berliner Großsiedlungen brauchen auch Besserverdiener