Seit 125 Jahren trainieren Sportler im Verein für Leibesübungen Tegel. Am 1. und 2. Oktober ist die Meisterschaft im Twirling
Der Winter 1949 war streng, viele Öfen in den Wohnungen blieben kalt, weil es nicht genug Holz und Kohlen gab. Aus dem Küchenfenster konnte Uschi Kolbe auf die Turnhalle sehen. Dort war es warm. Ihre Eltern entschieden, das Kind im Sportverein anzumelden. Mit sechs Jahren fing sie im Kinderturnen an. Heute, 67 Jahre später, ist sie immer noch aktiv im VfL-Tegel 1891, der den etwas antiquierten Namen Verein für Leibesübungen trägt. „Der Verein und der Sport sind mein Leben“, sagt die 73-jährige Reinickendorferin.
Mehr als 2700 Mitglieder begehen in diesem Jahr das 125. Bestehen des Sportvereins. „In der mit weit über 2000 Vereinen großen und vielseitigen Sportlandschaft Berlins sind solche Jubiläen immer etwas Besonderes und ein guter Anlass zum feiern“, sagt Klaus Böger, Präsident des Landessportbundes Berlin. Der VfL feiert das ganze Jahr. Ein Höhepunkt ist die Ausrichtung der Deutschen Meisterschaft im Twirling und Cheerleading am 1. und 2. Oktober. Die Wettbewerbe finden an beiden Tagen ab acht Uhr in der Romain-Rolland-Schule am Place Molière 4 statt. Twirling ist eine relativ junge Abteilung im Verein. Bei dem Sport wird das Jonglieren eines Metallstabes mit gymnastischen Darbietungen verbunden.
Mit einer Turnabteilung für Männer fing es 1891 an. Nach der Jahrhundertwende durften auch Frauen mitmachen. Nach und nach kamen andere Sportarten dazu, darunter Badminton, Judo, Tischtennis, Leichtathletik und Tanzen – heute sind es etwa 20 Sportarten. Mehrere Deutsche Meister hat der Verein hervorgebracht, vor allem im Judo. Michael Utpott wurde 1967 sogar Europameister bei den Junioren.
Mittlerweile trainieren die Mitglieder des Vereins in mehr als 20 Reinickendorfer Sporthallen. Dort sind zum Beispiel die jüngsten Geräteturnerinnen beim Training zu erleben. Sie sind zwischen fünf und acht Jahre alt und machen Rad auf einem Schwebebalken und Salto auf der Matte. Melina hat das Rad besonders gut geschlagen und strahlt, als sie gelobt wird. Ob Johanna, Sophia, Luisa oder die anderen kleinen Turnerinnen: Sie alle betonen den Spaß am Turnen und das „schöne Gefühl, beim Wettkampf einzulaufen und bei der Siegerehrung auf der Treppe zu stehen“. Sie sind die Zukunft des Vereins.
Am Anfang stand die Vorturnerin auf dem Klavier
Viele haben wie Uschi Kolbe ihr ganzes Leben im Verein verbracht. Dazu gehört auch Helga Mischak. Sie fing mit elf Jahren an. Ihre Mutter sei die treibende Kraft gewesen, sagt die 78-Jährige. Denn die turnte bereits im Verein. Die ersten Erfahrungen waren ernüchternd: Die Halle voll, laut und die Vorturnerin stand auf dem Klavier und hatte Mühe, die Kinder unter Kontrolle zu halten. In die Riege der Besten schaffte sie es nie, erzählt Mischak. Sie sattelte um zur Gymnastik und zum Volkstanz und leitet heute noch, trotz Wirbelsäulenproblemen, die Hocker-Gymnastik-Gruppe.
Auch Felix Kunst ist mit seinen 83 Jahren immer noch im Verein aktiv. 1967 trat er ein, weil er mit drei Kollegen der Borsigwerke das Sportabzeichen machen wollte. Mittlerweile hat er 50 Stück zu Hause. Der Sportplatz – das bedeute für ihn Lust, Laune, Bestätigung und das Gefühl, immer noch drahtig und sportlich zu sein, sagt er.
Uschi Kolbe, Felix Kunst, Helga Mischak – sie alle mögen den Spaß in der Gemeinschaft im Verein, gemeinsame Veranstaltungen. Sie schwärmen heute noch von den Maskenbällen und Familienfesten. Sie schätzen den Zusammenhalt, die Wanderungen und die Fahrten und natürlich die Bewegung.
Der Vereinsname hat Tradition. Einen Grund, den Namen zu ändern, gebe es nicht, sagt der Präsident des Vereins, Stefan Kolbe. Er umfasse einfach alle Sparten vom Turnen bis zur Leichtathletik. Wenn er sich etwas für den Verein wünschen könnte, dann wäre das der Abbau der Bürokratie. 1966 seien die Mitglieder bei einem Festumzug einfach losmarschiert, erzählt der 48-jährige Jurist. Heute bräuchte man dafür unzählige Genehmigungen. Zu viel Bürozeit gehe für Anträge drauf.