Berlin. Die Dralowid-Werke in Pankow kurbelten die Elektrifizierung Berlins an. Nach der Wende kam das Aus. Alle Infos zu dem Lost Place.
Der "VEB Elektrokeramik Berlin" in Pankow versorgte die DDR-Wirtschaft mit hochwertigen Isolatoren und Hochfrequenztechnik. Der Standort hatte eine lange Tradition: Bereits seit der Weimarer Republik belieferten die damaligen Dralowid-Werke die Industrie mit elektrischen Bauelementen und später die guten Stuben der Berliner mit Dralowid-Radios, Dralowid-Projektoren, Dralowid-Hochleistungsmikrofonen und Draloston-Selbstaufnahme-Platten. Nach der Wiedervereinigung verkam das Gelände an der Gaillardstraße zu einer Pankower Industriebrache. Alle Infos zu dem Lost Place.
Das sind die Fakten zum VEB Elektrokeramik Berlin im Überblick:
- Adresse: Gaillardstraße 34–38, 13187 Berlin-Pankow
- Geschichte: 1894 als Gasglühlicht-Fabrik der Firma Ernst Hildebrandt errichtet, ab 1927 Dralowid-Werk der Steatit-Magnesia AG (Stemag); Rüstungsfabrik im Krieg; ab 1947 produzierte die VEB Elektrokeramik Berlin (EKB) keramische Teile für Elektrowärme und Hochfrequenztechnik; Insolvenz nach der Wende und Leerstand ab 1995
- Führungen: keine
- Status: Ehemaliger Lost Place. 2010/2011 wurden die ehemaligen Werksgebäude für das Neubauprojekt "Floragärten" abgerissen
Wo liegt das ehemalige Industriegelände des VEB Elektrokeramik Berlin genau?
Das ehemalige Werksgelände liegt im Stadtteil Pankow des gleichnamigen Bezirks. Das Areal ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln am besten mit den Buslinien 250 und M27 (Haltestelle Gaillardstraße) zu erreichen. Von der Haltestelle ist es ein rund dreiminütiger Fußweg entlang der Flora- und Gaillardstraße bis zu dem Grundstück. Alternativ kann der S-Bahnhof Wollankstraße (S1, S25, S26) genutzt werden, von dem man etwa sechs Minuten benötigt.
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Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte der VEB Elektrokeramik Berlin:
Ausgangslage: Die Marke Dralowid eroberte Berlin
Das Gewerbegebiet an der Flora-/Ecke Gaillardstraße war Anfang des 20. Jahrhunderts Standort des Dralowid-Werks der "Steatit-Magnesia AG". Um die Jahrhundertwende hatte sich der Nürnberger Hersteller von Zündkerzen-Isolatoren "Schwarz & Stadelmann" mit der in der Pankower Florastraße ansässigen Firma Ernst Hildebrandt zusammengeschlossen, die keramische Gasglühlicht-Artikel herstellte.
Eine Traumkombination: Das ab 1921 als Steatit-Magnesia AG (Stemag) firmierende Unternehmen versorgte die elektrizitätshungrige Hauptstadt mit hochfeuerfesten Isolatoren, drahtlosen Widerständen ("Dralowid"), Zündkerzen und Zubehör für Hochfrequenz- und Radiotechnik. Mitte der 1920er-Jahre zog die Stemag in das Gewerbegebiet in der Pankower Florastraße und errichtete dort das neue Dralowid-Stammwerk. 1932 wurde das Werksgelände durch den Ankauf von Grundstücken an der Gaillardstraße erweitert, auf denen zuvor die Eisengießerei und Hutformfabrik Alexander Kremerer ansässig gewesen war.
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VEB Elektrokeramik Berlin: Steuerungselemente für die Wehrmacht
Das Pankower Unternehmen entwickelte sich bis in die 1930er-Jahre zu einem Global Player mit weltbekannten Qualitätsmarken und zahlreichen Vertretungen im In- und Ausland. Ab 1938 modernisierte die Steatit-Magnesia AG die Berliner Produktionsstätten in Teltow und Pankow –letzteres führte jetzt den Zusatz "Keramisches Werk".
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Produktion auf Rüstungsgüter für die Wehrmacht umgestellt. Unter anderem war das Unternehmen an der Produktion von Steuerungselementen für das Raketenprogramm der "Wunderwaffe" V-2 beteiligt und setzte dafür auch Zwangsarbeiter ein. Im Frühjahr 1945 wurde das Industriegebiet im Florakiez bombardiert und die Produktion kam zu einem Stillstand, wurde aber bald darauf unter alliierter Kontrolle wiederaufgenommen.
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VEB Elektrokeramik Berlin: Volkeigener Betrieb in der DDR-Zeit

Nach der Enteignung wegen kriegsunterstützender Produktion nannte sich das Werk seit 1947 VEB Elektrokeramik Berlin (EKB). In den Werkshallen an der Gaillardstraße wurden nun Produkte für die Hochfrequenztechnik – insbesondere Aufbaustreben aus Sinterglas für Bildaufnahme- und Bildwiedergaberöhren – keramische Teile für Elektrowärme, Lichtbogenschutz und Schaltgeräte sowie Spezialanfertigungen von Heizbändern für den Einsatz in Nachtspeicheröfen produziert.
Im Bereich seines Produktspektrums war die ehemalige Porzellanfabrik in Pankow der einzige Herstellerbetrieb in der DDR. In den 1980er-Jahren wurde das Unternehmen in VEB Elektrokeramik "Arthur Winzer" Berlin umbenannt. Der Betrieb gehörte zum Kombinat VEB Keramische Werke Hermsdorf. Das Produktionsprogramm umfasste nun "Keramische Teile für die Niederspannungstechnik, den Schaltfunkenschutz sowie für die Elektrowärme- und Gaswärmetechnik".
VEB Elektrokeramik Berlin: Lost Place nach der Wende

Nach den wirtschaftlichen Veränderungen im Osten Deutschlands wurde der Betrieb 1992 durch die Treuhandanstalt an einen Geschäftsmann mit der Auflage verkauft, mindestens fünf Jahre lang die 131 Dauerarbeitsplätze zu erhalten.
Nach der Wende wurde der Betrieb von der Treuhand 1992 an einen Geschäftsmann verkauft, der das Unternehmen als Elektrokeramik GmbH drei Jahre lang weiterführte. Im März 1995 wurden die Pankower Elektrokeramikwerke trotz guter Auftragslage geschlossen und die letzten 35 Mitarbeiter entlassen. Die Industriebauten auf dem Gelände an der Gaillardstraße standen in den Folgejahren leer und verfielen langsam zu modernen Ruinen.
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VEB Elektrokeramik Berlin: Der alte Betrieb verkam zur Ruine
Mit den Jahren wurden die sichtbaren Spuren des Verfalls auf dem Grundstück immer augenfälliger: An den Werkshallen blätterte der Putz, Holz vermoderte und verschiedene Gebäudeteile waren akut einsturzgefährdet. Pflanzen, Büschen und Bäumen eroberte sich das Gelände zurück, rankte sich an den Graffiti-besprühten Wänden empor und durchbrachen die Asphaltblöcke im Hof. Die Fenster waren eingeschlagen, Wasser drang in die Gebäude und durch die Eisenstreben fraß sich der Rost.
Einige Werkbänke und große Einbauten im Inneren hatten sich noch im Originalzustand erhalten. In den Schubläden fanden sich Drahtspulen, Kabel, Klemmen und anderes Baumaterial, aber auch Unterlagen, Bauzeichnungen und Abrechnungen. Die großen Anlagen der Gebäudetechnik und der maschinellen Produktion, Schaltschrankreihen, Kessel und Rohrsysteme blieben teilweise relativ lange in einem vergleichbar guten Zustand. Wo einst Arbeiter an den Vorgaben der Fünfjahrespläne werkelten, versuchten nun Metallsammler ihr Glück und auch für Abenteuerlustige und Lost Places-Kenner wurde die Industrieruine immer anziehender.
VEB Elektrokeramik Berlin: Abriss für ein Neubauprojekt in den 2010er-Jahren

Die Industriebrache der ehemaligen Elektrokeramikfabrik an Flora- und Gaillardstraße wurde Ende der 2000er-Jahre von der Projektgesellschaft Flora bestehend aus dem Unternehmer Kondor Wessels, der niederländischen Reggeborgh-Gruppe und der Immobilienfirma FOM Real Estate erworben.
Auf dem zirka 23.000 Quadratmeter großen Areal wurden zwischen 2010 und 2011 die alten Werksgebäude abgerissen. Nach Entwürfen der Berliner Architekten Stephan Höhne, Thomas Albrecht und Christoph Kohl entstand bis 2015 die Neubau-Wohnanlage "Floragärten" mit Lofts, Etagenwohnungen und Townhouses.
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