Geflüchtete Hugenotten

Geschredderte Gräber: Pankows bizarres Friedhof-Drama endet

| Lesedauer: 4 Minuten
Aufgewühlte Gefühle nach dem Friedhof-Drama in Pankow: Bernd Kienast – ein Nachkomme der bekannten Berliner Hugenotten-Gründerfamilie Guyot – trauert um den Verlust der Gräber seiner Vorfahren.

Aufgewühlte Gefühle nach dem Friedhof-Drama in Pankow: Bernd Kienast – ein Nachkomme der bekannten Berliner Hugenotten-Gründerfamilie Guyot – trauert um den Verlust der Gräber seiner Vorfahren.

Foto: Thomas Schubert / Berliner Morgenpost

Pankow ließ 2020 irrtümlich wertvolle Grabsteine zu Asphalt zermahlen. Diese Lösung soll den Familien der Toten Versöhnung bringen.

Berlin.  Grabfrevel, Störung der Totenruhe, fehlende Achtung vor der Geschichte eines besonderen Berliner Ortsteils: Auch außerhalb von Französisch Buchholz dürfte man sich an die wütenden Protestrufe von Angehörigen erinnern. An einen Eklat um Abrissarbeiten auf dem örtlichen Friedhof vor zweieinhalb Jahren. Ausgerechnet in der Nacht nach Totensonntag hatte das Bezirksamt Pankow damals Baumaschinen auffahren lassen, um eine Friedhofsmauer zu zerstückeln, deren Sanierung zu teuer war. Samt der historischen Grabsteine von Buchholzer Gründerfamilien. Ohne Beachtung von Erinnerungen an geflüchtete Hugenotten. Was für den Bezirk zählte, war die fehlende Standsicherheit der Mauer.

Nur durch Mahnwachen und das Flehen von Angehörigen der Familien wie Chartron, Guyot und Matthieu, ließ das Amt Gnade walten. Es fand sich doch noch eine Lösung zur Stabilisierung der verbliebenen Wand mit Betonblöcken – da waren aber dutzende Grabsteine schon zerstückelt und zu Asphalt zermahlen. So konnte auch die Entschuldigung des damaligen Baustadtrats nichts daran ändern, dass am Friedhof Französisch Buchholz IX ein Stück Geschichte verschwand.

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Nun eine Szene der Versöhnung am gleichen Ort: Andächtig befestigen Rita Hengst und Bernd Kienast, zwei Nachkommen der Matthieus und Chartrons, Folien mit Erinnerungen an ihre Ahnen am Bauzaun vor den Überresten der Friedhofswand. Abendliches Sonnenlicht flackert auf die laminierten Lebensläufe von Persönlichkeiten, die durch den Abbruch 2020 keine Grabsteine mehr haben.

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Hengst, Kienast und Ortschronistin Anne Schäfer-Junker wollen mit diesem Provisorium zu Ehren der Toten Erinnerungen wieder Raum geben. Gleichzeitig plant das Bezirksamt Pankow als Wiedergutmachung eine Gedenkstelle mit einem Aufbau von noch geretteten Grabplatten, Vitrinen, Bänken und einem Durchgang im Stile alter Allee-Friedhöfe. Ist das endlich der Friedensschluss im Pankower Grabsteinstreit? Für Ortschronistin Schäfer-Junker lautet die Antwort: „Ja, das geschieht ganz in unserem Sinne.“

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Mit der Planung des Erinnerungsorts und der jetzigen Zurschaustellung von Informationen am Bauzaun gehe der Bezirk auf die Forderung ein, Friedhöfe als „nicht zu ersetzenden Bestandteil der Erinnerungskultur“ zu akzeptieren. Schäfer-Junker vertritt die Ansicht, dass es sich bei derartigen Friedhöfen insgesamt um ein „immaterielles Kulturerbe“ handelt. Was zum Schutz der Einrichtung verpflichtet, selbst wenn die Grabstätten nicht als Denkmäler eingetragen sind. Weil dies im Fall der 25 verlorenen Platten nicht der Fall war, kam der Bezirk zu dem Schluss, dass ein Abriss problemlos möglich ist.

„Das Amt hat Bockmist gebaut“: Wiedergutmachung im Grabstein-Streit Konsens

„Die Geschichte der Französischen Réfugiés, ihrer Flucht aus Frankreich nach Preußen und ihr Ankommen und Sesshaftwerden in Französisch Buchholz im 17. und 18. Jahrhundert, sind Bestandteil der Ortsgeschichte des heutigen Französisch Buchholz“, stellt die Chronistin klar. Aus der Geschichte der Glaubensflüchtlinge ergibt sich, dass die Bevölkerung hier besonders sensibel reagiert auf die Störung der Tradition – ob bewusst oder versehentlich.

Dass Wiedergutmachung im Grabstein-Streit Pflicht ist, gilt auch in Pankows Bezirkspolitik als Konsens. Von der Linken bis zur AfD stellten sich schon Ende 2020 alle Fraktionen hinter den Plan, die Buchholzer beim Heilen der Schäden zu unterstützen. „Da hat das Amt Bockmist gebaut“, verurteilte zum Beispiel damals Grünen-Politiker Oliver Jütting, der heutige Bezirksverordnetenvorsteher, den groben Eingriff auf dem Friedhof mit deftigen Worten.

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Auch wenn nun, im März 2023, zunächst nur provisorische Schautafeln an Bauzäunen hängen, sind die Ahnen der Hugenotten-Siedler von Buchholz optimistisch, dass nach der Klärung formeller Fragen ein endgültige Erinnerungsort Frieden stiftet. „Es ist tragisch, dass Grabsteine für immer verschwunden sind“, sagt der Guyot-Nachkomme Bernd Kienast, der einen Gedenkort für seine Großeltern verlor. „Aber es tut gut, dass man uns jetzt unterstützt.“