Berlin. Als Jugendlicher ist Jorge Luis García Vázquez, geboren 1959 in Havanna, überzeugt von der kubanischen Revolution. Doch während der Studienzeit wird seine Sicht auf die Regierung des Inselstaates zunehmend kritischer. In den 1980er-Jahren kommt der junge Germanist und Historiker als Dolmetscher in die DDR. 1987 soll er einen kubanischen Musiker bespitzeln. Doch statt dessen Fluchtpläne dem Geheimdienst zu melden, klärt er den Musiker über die Beschattung auf.
García Vázquez sucht selbst nach einer Möglichkeit zur Flucht, wird verhaftet, acht Tage lang von der Stasi verhört und dann nach Kuba geflogen. Fünf Jahre lang kann er das Land nicht mehr verlassen. Erst 1992 kehrt er zurück zu seiner Frau nach Berlin. Bis heute lebt er hier und arbeitet dort, wo er einst inhaftiert war – im damaligen Stasi-Knast, heute die Gedenkstätte Hohenschönhausen.
García Vázquez ist einer von zehn Männern und Frauen sowie deren Kindern, die in der neuen Ausstellung „ … bisschen anders, aber genauso.“ von ihrem Alltag in der DDR erzählen – und wie es für sie weiterging nach der deutschen Wiedervereinigung.
Ein Blick auf deutsch-kubanische Beziehungen in der DDR
Die Schau im Museum in der Kulturbrauerei, eine Leihgabe des großartigen Deutschen Auswandererhauses Bremerhaven, beleuchtet die kubanisch-deutsche Geschichte von 1964 bis heute. Einer Geschichte, in der die beiden sozialistischen Staaten DDR und Kuba enge Kontakte pflegten. 30.000 Kubaner kamen bis 1989 zum Arbeiten, Studieren oder für eine Ausbildung in die DDR.
„Doch im Kontext deutscher Migrationsgeschichte fand Kuba bisher kaum Beachtung“, sagt Kuratorin Lina Falivena. Ihr geht es aber nicht nur darum, einen Blick auf das Leben von Kubanern in der DDR und im vereinigten Deutschland zu werfen. Im Rahmen des Bremerhavener Bildungsprojekts „Deine Geschichte“, dessen Bestandteil die Ausstellung ist, will sie die Sehgewohnheiten der Museumsbesucher irritieren – indem sie Menschen mit kubanischer Wanderungserfahrung und deren Nachkommen als Zeitzeugen der ost- und gesamtdeutschen Geschichte auftreten lässt.
„Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Doch in Dokumentationen werden nur selten Menschen mit Wanderungserfahrung befragt – und wenn doch, dann meist nur zu ihrer persönlichen Migrationserfahrung“, sagt die Kulturanthropologin und Ethnologin. „Damit werden sie oft nicht als Teil deutscher Geschichte wahrgenommen.“
Das könnte Sie auch interessieren:
- Fotografie und mehr in der Villa Oppenheim
- So prachtvoll war das Berliner Schloss eingerichtet
- Ausstellung zeigt Frauen in früher Kunst
In Videosequenzen werden die Zeitzeugen lebendig
Filme, Video-Interviews, Fotos und persönliche Erinnerungsstücke lassen die Erlebnisse der Kubaner in Deutschland lebendig werden. Da sind unter anderem die Brautschuhe von Bettina Agüero Villegas ausgestellt. Im Februar 1989 heiratete die aus Großenhain stammende Lehrerin den Kubaner José Angel Agüero Villegas. Er war für ein Studium der Kybernetik nach Dresden gekommen. An der dortigen Pädagogischen Hochschule waren sich Bettina und José Angel Mitte der 1980er-Jahre begegnet und hatten sich ineinander verliebt. Sie heirateten, allen Widrigkeiten zum Trotz. Denn Ehen zwischen DDR-Bürgerinnen und Kubanern waren nicht gern gesehen.
„Internationale Solidarität ja, aber fang bloß nichts mit einem Ausländer an“, hätten auch ihre Eltern gesagt, erzählt Bettina Agüero Villegas in einer der 40 Videosequenzen, die an mehreren Stationen in der Ausstellung aufgerufen werden können. Die wichtigsten Inhalte der Videos sind auf Texttafeln nachzulesen, doch ist es ungleich eindrücklicher, die Menschen vor der Kamera agieren zu sehen.
Da ist zum Beispiel Yvette Arenas, 1975 als Tochter der Thüringerin Ursula und ihres kubanischen Mannes Juan Miguel Arenas Mestre in Saalfeld geboren. Mit tränenerstickter Stimme erzählt sie, dass sie und ihr Bruder damals in der Schule die einzigen Kinder mit dunkler Hautfarbe waren. Ja, sie habe Rassismus erfahren. „Aber wenn mir etwas gesagt wurde, das mir weh tat – an wen hätte ich mich denn wenden sollen?“, fragt sie im Interview. „An die Lehrer etwa? Die hatten kein Ohr dafür, Rassismus sollte es in der DDR nicht geben.“ In einem anderen Video erzählt Celina Höhne, geborene Mesa Gonzalez, die als Dolmetscherin in der Volkskammer der DDR arbeitete, dass sie sich ein Grinsen manchmal nicht verkneifen konnte, wenn von den wirtschaftlichen Erfolgen der DDR die Rede war.
Auch Zeitzeugen des Mauerfalls kommen zu Wort
In einem zweiten Bereich des Museums ist die Medieninstallation „ZeitzeugenFragen 1989“ aufgebaut, zusammengestellt von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.
Auf dem großen Monitor in der Mitte des Raumes laufen, von den Besuchern über QR-Codes aktiviert, Interviews mit Menschen, die ihre individuellen Erfahrungen rund um die friedliche Revolution in der DDR und den Mauerfall schildern – Menschen wie Barbara Sengewald, die sich in Erfurt in oppositionellen Kreisen engagiert, oder Albrecht Hoch, der als Soldat der Nationalen Volksarmee im Herbst 1989 in Dresden stationiert war und ängstlich auf seinen Einsatzbefehl wartete.
„Mit beiden Ausstellungen erkunden wir neue Wege, wie wir als Museum Zeitzeugenerinnerungen präsentieren und zu einer neuen Erzählkultur beitragen können“, sagt Birte Launert, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums in der Kulturbrauerei.
Museums-Info
- Museum in der Kulturbrauerei Knaackstraße 97, Prenzlauer Berg, Tel. 467 77 79 11, Öffnungszeiten: Di.–Fr. 9–18 Uhr, Sbd.+So. 10–18 Uhr, Eintritt frei, www.hdg.de
- „… bisschen anders, aber genauso“ Kubanisch-deutsche Geschichte in DDR und BRD – 1964 bis heute, bis 21. Mai
- ZeitzeugenFragen 1989 Interaktive Medieninstallation. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „späti! Kultur nach Feierabend“ gibt es am 4. Mai um 18 Uhr einen Rundgang durch die Sonderausstellung mit der Kuratorin Lina Falivena.
Mehr aus dem Bezirk Pankow lesen Sie hier.