Berlin. Der Eingang des Eckgebäudes an der Bahnhofstraße in Französisch-Buchholz liegt ein bisschen versteckt. Man muss erst einmal herumlaufen, um in den Hinterhof zu gelangen. Dort vor der Tür vereinsamt ein weinroter Kinderwagen, dahinter stapeln sich Müllsäcke in schwarz und weiß – sie sind gefüllt mit rußbedeckten Putzbröckeln. Daneben ist die Haustür geöffnet. Das kleine Fenster oben links ist zerbrochen, die Scherben liegen noch immer auf dem Boden. Niemand hat sich bislang die Mühe gemacht, sie wegzuräumen.
Im Innern gleicht das Treppenhaus einer Brandruine. Der Gestank von Rauch sammelt sich auch die Treppen hinaus, ohne abzuziehen. Über die Fliesen und den Putz kriecht der Ruß, dunkel bis schwarz. Im zweiten Stock stehen drei Polizisten und befragen jenen Mann, der um seine Ehefrau trauert. Die sechsfache Mutter starb an den Folgen des Brandes, der vor mehr als drei Wochen im Flur ausbrach und in der Unterkunft für geflüchtete Menschen gewütet hatte.
Zwei Menschen mussten ins Krankenhaus – eine Frau starb, ein Junge überlebte
Am 25. Januar kam das Feuer. Die Berliner Feuerwehr setzte damals einen Tweet auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ab. Es brannte vom Erdgeschoss bis zum ersten Obergeschoss, hieß es. Das Gebäude wurde evakuiert, 42 Menschen wurden in Notunterkünfte gebracht, zwei Menschen mussten ins Krankenhaus.
Darunter die Ehefrau und Adil Midani* – gerade einmal 16 Jahre alt. Sein Name ist der Redaktion bekannt und wurde anonymisiert. Ihn verfolgt diese Nacht in diesen Tagen bis in den Schlaf. Er erzählt in ruhigem Ton von dem Abend. 17 Uhr war es, als er das Treppenhaus hinabstieg und den Müll wegbrachte. Die Eingangstür, sagt er, sei wie an diesem Dienstag und eigentlich immer – offen gestanden. Er verschwand wieder in der Wohnung, in der er mit seinen acht Geschwistern und seinen Eltern wohnt, wollte essen und duschen.
Brand in Pankower Heim: Bewohner hatte Todesangst
Eine halbe Stunde später stürmten sein Vater und eine Schwester in sein Zimmer. „Es stank nach Rauch und sie dachten, ich habe vielleicht das Bügeleisen angelassen“, sagt er. Dann wurde es hektisch. Sein Vater öffnete die Wohnungstür, doch eine Rauchwolke rollte ihm entgegen. „Er knallte die Tür wieder zu“, sagt Adil Midani. „Dann haben wir uns im Wohnzimmer versammelt und die Feuerwehr gerufen“. Ein Feuerwehrmann oder eine Feuerwehrfrau – er kann sich nicht mehr ganz erinnern – am anderen Ende der Leitung sagte ihm, er solle ein nasses Handtuch an die Tür legen, um den Rauch aus dem Flur abzufangen.
Doch bis Hilfe kam, dauerte es Minuten. Sie seien panisch geworden und hätten nach Hilfe gerufen. Eine Schwester – acht Monate alt – hätte sie an das Fenster gehalten, damit sie nicht so viel Rauch abbekommt. Erst eine halbe Stunde später, so erzählt Midani es, habe die Feuerwehr die Familie mithilfe einer Drehleiter die Familie aus dem Wohnzimmerfenster im dritten Stock befreit. Midani selbst wurde dann mit einer Rauchvergiftung in ein Krankenhaus eingeliefert. Er habe zu dem Zeitpunkt Todesangst gehabt, sagt er.
Polizei: Bislang keine Anhaltspunkte für politisch motivierte Tat
Einen Tag später vermeldete die Polizei, dass da Brandkommissariat des Landeskriminalamts wegen schwerer Brandstiftung ermittelt. Medien griffen den Text auf, schrieben kurze Meldungen. Dann verschwand das Thema – bis zu diesem Wochenende als bekannt wurde, dass die 43-jährige Ehefrau verstorben war. Auf Twitter kursierten Vorwürfe, dass die mutmaßliche Brandstiftung politisch motiviert sei. Auch weil angeblich die Tür des Hauses an diesem Tag verschlossen wurde.
Und in dem Pankower Ortsteil brodelt es. Eine Frau, nur eine Seitenstraße entfernt, beschimpft die Menschen in der Unterkunft mit Worten, die an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden. Sie sagte auch: „Ich wäre froh gewesen, wenn das Haus unbewohnbar gewesen wäre.“ Auch in anderen Gesprächen mit Anwohnern vor Ort, sind ähnliche Aussagen kein Einzelfall.
Rechtsextremes Milieu, das sich früher in NPD organisierte
In der Umgebung ist die Situation auch bezeichnend: „Die Unterkunft in der Bahnhofstraße in Französisch Buchholz liegt nicht weit entfernt von Blankenburg, wo es in den letzten zwei Jahren vermehrt zu rechter Propaganda gekommen ist“, sagt der Sprecher von der Meldestelle Register Pankow, Andreas Ziehl, die rassistische und diskriminierende Vorfälle im Bezirk registriert. In Buch und Karow, zwei Pankower Ortsteile, die an Französisch-Buchholz angrenzen, gebe es außerdem ein rechtsextremes Milieu, das sich früher in der NPD organisiert habe. Laut Ziehl ist mittlerweile die Kleinstpartei „Dritter Weg“ der Hauptakteur, die zuletzt im November mit sogenannten Kiezstreifen für Aussehen gesorgt haben.
Rechte Personen habe bei der Auswahl der Unterkunft keine Rolle gespielt
Pankow wird auch zur Zielscheibe von Rechtsextremen, da der Bezirk seit längerem die meisten Geflüchteten aufnimmt. Von den über 32.000 Geflüchteten in Berlin kommen 5169 in Einrichtungen des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten in Pankow unter, etwa am Rande des Ortsteils in einem Tempohome. Dort entbrannte gar ein Streit während der Pandemie wegen der Eröffnung einer Corona-Station für die Geflüchteten.
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Dennoch hätten die Probleme mit rechten Personen und rechter Propaganda im Bezirksamt bei der Auswahl der Unterkunft an der Bahnhofstraße – die als Einrichtung für wohnungslose Menschen gilt – keine Rolle gespielt, erklärt ein Sprecher. Zumindest seien sie nicht bekannt gewesen.
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