Berlin. Trotz Wohnungsnot in Berlin fallen Tausende WBS-Wohnungen aus der Sozialbindung. Einige Mieter wollen das nicht kampflos hinnehmen.

Knapp 89.000 Sozialwohnungen gibt es in Berlin. Dazu muss gesagt werden: noch. Denn trotz zunehmender Wohnungsnot nimmt die Anzahl an mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen, die nur mit einem Wohnberechtigungsschein (WBS) bezogen werden können, immer weiter ab. Allein in diesem Jahr wird die Sozialbindung berlinweit bei 7257 Wohnungen auslaufen.

Grund ist das Fördermodell der Sozialwohnungen. Die Förderprogramme haben eine Laufzeit von 20 bis 30 Jahren, danach fallen die Wohnungen in den normalen Wohnungsmarkt zurück. Den Mietern drohen Eigenbedarfskündigungen und sprunghafte Mieterhöhungen.

Von den 7257 Wohnungen stammen 5343 Wohnungen aus gefördertem sozialen Wohnungsbau. Die restlichen 1914 Wohnungen dagegen sind das Ergebnis der weitreichenden Sanierungen in den 1990er- und 2000er-Jahren. Beide Zahlen gehen aus Anfragen des wohnungspolitischen Sprechers der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schenker hervor.

Damals konnten Eigentümer und Investoren Fördergelder aus dem Programm „Soziale Stadterneuerung“ von Bund und Ländern für die Sanierung von Wohnhäusern abrufen. Bedingung war, dass ein Teil der Wohnungen mit sozialverträglichen Mieten angeboten wird.

WBS-Wohnungen in Berlin: Plötzlich starke Mieterhöhungen

Am liebsten hätte sich Michael Wäser nie mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Doch nun ist der Mieter selbst betroffen. Mit dem 31. Januar 2023 läuft in seinem Haus in der Lychener Straße 50 in Prenzlauer Berg die Sozialbindung aus. Zur Mieterhöhung zum 1. Februar kommen für den 58-Jährigen noch die gestiegenen Betriebskosten hinzu. Von 350 Euro sei die Miete für seine Einzimmerwohnung auf 500 Euro warm gestiegen.

Bereits vor Wegfall der Sozialbindung sind in Sozialwohnungen Mieterhöhungen in Form von Staffelmieten und Indexmieten möglich. Die Miete darf lediglich den Mietspiegel nicht überschreiten. Haben Mieter einen Wohnberechtigungsschein und weisen nach, dass sie weniger als 12000 Euro im Jahr verdienen – bezogen auf einen Ein-Personen-Haushalt – können sie eine Mietminderung erhalten.

Prenzlauer Berg: Mieter droht bereits die zweite Verdrängung

„Ich wurde bereits einmal verdrängt“, erzählt Wäser. Vor sechseinhalb Jahren habe er wegen einer Mieterhöhung in Folge einer energetischen Sanierung seines Hauses eine neue Wohnung suchen müssen. So ist er in die Lychener Straße 50 gezogen, für die er einen Wohnberechtigungsschein vorweisen musste.

Da das Haus mit seinen 32 Wohneinheiten bereits zum Zeitpunkt der Sanierung in Eigentumswohnungen aufgeteilt wurde, greifen die für Milieuschutzgebiete geltenden Sperrfristen für den Weiterverkauf der Wohnungen nicht. Das macht sich bei Wäser bereits bemerkbar, mehrere Male habe ein Makler seine Wohnung mit Kaufinteressenten besichtigt. Die Befürchtung, wegen Eigenbedarfs gekündigt zu werden, ist nun groß.

Pankower Stadträtin Tietje: „Ich sehe diese Entwicklung mit großer Sorge“

In Pankow fallen in diesem Jahr 800 Wohnungen aus der Sozialbindung nach dem Förderprogramm „Soziale Stadterneuerung“, 2024 sind es noch einmal 400. Das teilte das Bezirksamt Pankow auf Anfrage mit. „Ich sehe diese Entwicklung mit großer Sorge“, sagt Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung Rona Tietje (SPD). Eine stärkere Beschränkung der Umwandlung in Eigentumswohnungen und bundespolitische Maßnahmen wie ein Mietenmoratorium sind ihrer Meinung nach nötig.

Im Helmholtzkiez sind nach Recherchen der Gruppe „Kieztreffen Pankow“ 80 Häuser vom Wegfall der Sozialbindung betroffen. Auf einer Karte hat der Zusammenschluss aus Mietern und Mieterinnen alle Häuser in Pankow einzeichnet, deren Förderungen in den nächsten Jahren auslaufen oder bereits ausgelaufen sind. (Screenshot)
Im Helmholtzkiez sind nach Recherchen der Gruppe „Kieztreffen Pankow“ 80 Häuser vom Wegfall der Sozialbindung betroffen. Auf einer Karte hat der Zusammenschluss aus Mietern und Mieterinnen alle Häuser in Pankow einzeichnet, deren Förderungen in den nächsten Jahren auslaufen oder bereits ausgelaufen sind. (Screenshot) © Kieztreffen Pankow | Kieztreffen Pankow

Außerdem pocht sie auf den Wohnungsneubau. Um den Wegfall von etwa 20.000 Sozialwohnungen in den nächsten fünf Jahren auszugleichen, müsste Berlin jährlich 5000 Sozialwohnungen neu bauen. So lautet auch die Zielvorgabe des Stadtentwicklungssenators Andreas Geisel (SPD), allein um den Wegfall der ehemaligen geförderten Wohnungen auszugleichen. Doch das Land verfehlt Jahr für Jahr seine selbstgesteckten Ziele.

Sozialwohnungsbau in Berlin kommt nicht hinterher

2021 sind 1752 Sozialwohnungen fertig gestellt worden. 2022 waren es bis zum dritten Quartal 1148, das geht aus einer Antwort auf eine Anfrage des Pankower CDU-Abgeordneten Dirk Stettner (CDU) hervor. Wie viele Sozialwohnungen in diesem Jahr fertig gestellt werden können, das sei aktuell noch nicht vorauszusehen, heißt es aus der Senatsverwaltung für Wohnen. Aktuell gebe es rund 3500 Sozialwohnungen „mit angezeigtem Baubeginn“.

Die neugebauten Sozialwohnungen unterliegen jedoch dem gleichen Förderprinzip: In 30 Jahren werden so erneut etliche Wohnungen aus der Sozialbindung fallen, wenngleich Investoren und Eigentümer Förderbeträge in Millionenhöhe erhalten hätten. „Das ist ein Pulverfass“, so Niklas Schenker von der Linken.

Vorschlag der Berliner Linkspartei: Keine Förderungelder an Private mehr

Seine Partei machte kürzlich den Vorschlag, den Sozialwohnungsbau ausschließlich in die Hand landeseigener Bauunternehmen zu geben. Anstatt Förderungen an Privatinvestoren zu zahlen, sollte das Geld als Eigenkapital an die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen gehen, die damit dauerhaft gebundenen sozialen Wohnungsraum schaffen sollten.

Im Morgenpost-Interview sagte der Spitzenkandidat der Linken und Kultursenator Klaus Lederer, dass das im Landeshaushalt vorgesehene Budget für Wohnraumförderung auf eine Milliarde Euro aufgestockt werden solle. So könne man verlässlich 7500 Sozialwohnungen pro Jahr bauen. Momentan ist vorgesehen, die Mittel bis 2025 von 242 Millionen Euro auf 487 Millionen Euro zu erhöhen.

Berliner Mieter organisieren sich gegen Verdrängung

Läuft die Sozialbindung einmal aus, wie in der Lychener Straße 50, gibt es wenig, was die Mieter und Mieterinnen tun können. Dennoch haben sich dort einige Mietparteien zusammengeschlossen, um gegen die drohende Verdrängung zu protestieren. Dabei gehe es auch darum, ein Signal an andere Hausgemeinschaften in der Nachbarschaft zu senden, so Katja, eine beteiligte Hausbewohnerin. Sie will ihren echten Namen lieber nicht in der Zeitung lesen.

Den Mietern und Mieterinnen der Lychener Straße 50 ist es wichtig, nicht nur als Opfer wahrgenommen zu werden. „Wir wehren uns und wollen die Stadtgestaltung mit in die Hand nehmen“, sagt Katja, „es ist aber die Aufgabe der Politik, eine Lösung zu erarbeiten.“ Sie könne sich die nun gestiegene Miete höchstens noch ein paar Jahre lang leisten.