Berlin. Nun aber wirklich: Sieben Jahr nach der ersten Planung und nach mehreren Verzögerungen startet der fahrradgerechte Umbau der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg – allerdings im Herbst und nicht wie erhofft schon in diesem Sommer. Und erst zum Frühjahr 2023 soll das Werk vollendet werden. 150 Parkplätze entfallen dabei insgesamt auf beiden Fahrbahnseiten im Bereich zwischen den U-Bahnhöfen Eberswalder Straße und Schönhauser Allee ersatzlos zugunsten von 2,50 Meter breiten Radwegen.
Sie sind versehen mit völlig neuen Schutzelementen, denen Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) und Pankows Verkehrsstadträtin Manuela Anders-Granitzki (CDU) bei der ersten offiziellen Präsentation zum Umbau am Montag einen „Pioniercharakter“ bescheinigten. Auch aus Respekt für den Denkmalschutz des Viadukts der U-Bahnlinie 2 in der Mitte der Magistrale wollen die Planer des Bezirks auf markante rot-weiße Poller für den Schutz der Radfahrer verzichten und „einen völlig neuen Weg gehen“, wie Senatorin Jarasch betont. „Wir verbauen erstmals ein optisch unauffälliges Klebe-Betonbord“, beschreibt Stadträtin Anders-Granitzki die Sonderlösung der Pankower Radplaner für die Absicherung einer der meistbefahrenen Fahrradstrecken in Prenzlauer Berg, Pankow und ganz Berlin.
Verkehrssenatorin will „Fahrradstaus“ in Prenzlauer Berg beenden
Bis zu 10.000 Radfahrer pro Tag sollen breite Fahrspuren an den jeweiligen Fahrbahnrändern der Schönhauser Allee bekommen. Und räumen die bisherigen schmalen Streifen auf den Bürgersteigen für eine Verbreiterung und Veredlung dieser Flächen für Fußgänger. „Dort gibt es zu Stoßzeiten regelrechte Fahrrad-Staus“, beklagt Jarasch den Status quo. Auch Unfälle mit Fußgängern seien keine Seltenheit. Laut der Senatorin soll die Ausstattung der verbreiterten Bürgersteige der Aufenthaltsqualität des Boulevards zugute kommen. Auf ersten Simulationen zeigt ihre Senatsverwaltung nun ein neues Mobiliar aus Bänken und erweiterte Baumscheiben für eine reichere und langlebigere Straßenbegrünung.
Anders als erwartet fällt ein grüner Anstrich der neuen Radwege auf den heutigen Parkplatzstreifen allerdings weg. „Farbe ist hier nicht nötig“, verweist Jarasch auf die mutmaßlich hohe Schutzwirkung der neuartigen Betonborde, die man als eine Weiterentwicklung der Schwellen auf der Oberbaumbrücke in Friedrichshain-Kreuzberg betrachten kann. Sie sind 50 Zentimeter breit, bis zu 15 Zentimeter hoch und besitzen nach außen hohe Kanten, um Pkw abzuweisen.
Schönhauser Allee: Lange Ladezonen auf der Straße statt Entladen in zweiter Reihe
Tatsächlich bemerkt man beim Studium der neuen Pläne auf den beiden Informations-Stelen vor dem U-Bahnhof Eberswalder Straße: Der Umbau der Schönhauser Allee bringt für Autofahrer deutlichere Einschränkungen als erwartet. Zu bestimmten Tageszeiten werden sie sich pro Fahrtrichtung eine einzige Spur mit der Straßenbahnlinie M1 teilen müssen. Auf der zweiten Fahrspur sind nun weit ausgedehnte Lieferzonen geplant. Temporäre Stellflächen für Lastwagen und Transporter der ansässigen Händler, die derzeit meist illegal in zweiter Reihe parken.
Weil dieser Zustand mit der Umwandlung der Fahrspuren zu offiziellen Ladeflächen nun legalisiert wird, sieht Jarasch auch keine gravierende Einschränkung gegenüber dem heutigen Zustand. „Es wird dann legal geschehen, was bisher illegal geschieht“, sagt sie zur Umwandlung der Fahrstreifen in Ladeflächen auf Zeit. Zu Bedenken am Verlust an Platz für den Autoverkehr erklärt sie: „Raum ist knapp und wird bei einem Umbau nicht mehr. Die Verkehrswende funktioniert nur mit deutlich weniger Autos.“
Autofreie Planung wie am Times Square in New York war nicht umzusetzen
In welcher Ausdehnung sich diese neuen Ladeflächen über die auf beiden Seiten knapp 720 Meter lange Umbaustrecke hinziehen werden, ist aber laut der Radplanungsgesellschaft Infravelo noch nicht ganz klar. Auch in welcher Reihenfolge die Parkplatz-Abschnitte ab Herbst entwidmet und für Radfahrer teils neu asphaltiert werden, bleibt zunächst offen. Vom Tisch sind laut Stadträtin Anders-Granitzki jedenfalls die zwischenzeitlichen Pläne, Lieferzonen auch in den Nebenstraßen der Schönhauser Allee einzurichten. Nach Kritik an diesem Konzept habe man die Idee wieder verworfen.
Mit der Bekanntgabe des Plans erfüllt sich jedenfalls eine fast sieben Jahre alte Idee. Und selbst wenn der Wegfall der Parkplatzstreifen an den Straßenrändern eine fundamentale Veränderung bedeuten wird, ist der jetzige Plan von der 2015 präsentierten Maximallösung weit entfernt. Damals zeigte das dänische Planungsbüro Gehl, das bereits den Time Square in New York City vom Autoverkehr befreit hatte, eine Konzeption mit einer noch weitreichenderen Umgestaltungen.
Diese Variante sah vor, die östliche Hälfte der Schönhauser Allee komplett vom Autoverkehr zu befreien und diese stadtauswärts führenden Spuren allein für Radfahrer und Fußgänger zu reservieren. Das wäre Verkehrswende auf ganzer Breite – aber wegen der zu starken Konzentration des Verkehrsflusses für Pkw auf der westlichen Fahrbahnseite nicht praktikabel, entschied der Senat.
Radfahrer profitieren erst ab Frühling 2023 vom Umbau der Schönhauser Allee
So gesehen ist der Eingriff beim „ruhenden Autoverkehr“ auf den Parkplatzspuren Plan B, nachdem Plan A, mit dem kompletten Wegfall von Fahrspuren für Pkw, nicht zustande kam. Selbst die jetzige Kompromisslösung bedurfte mehr als drei Jahre Vorplanung. Mehrfach kündigte das Bezirksamt Pankow den Umbau an, zog dann aber wieder zurück. Immer wieder herrschte Streit um Details wie die Lage von Lieferzonen und die veränderten Ampelschaltungen auf der Magistrale, wo man immerhin für Straßenbahn, motorisierten Verkehr, Radfahrer und Fußgänger Signale setzen muss. Auch mehrfache Protestkundgebungen, zuletzt 2021 mit einer Demonstration des Verkehrswende-Vereins Changing Cities mit „lebenden Pollern“, vermochten den Umbauprozess nicht zu beschleunigen.
Nun ist das Ziel gesetzt: Zur Radsaison 2023 startet auf der wichtigsten Straße in Prenzlauer Berg der Versuch mit Betonleisten für breite Radwege, temporären Lieferzonen auf der Fahrbahn und einem Umbau, der den Einklang will von Sicherheit, Aufenthaltsqualität und Denkmalschutz.
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