Ukraine-Krise in Berlin

Ukrainische Flüchtlinge ziehen in Pankower Containerdorf

| Lesedauer: 5 Minuten
Alexander Rothe und Thomas Schubert
Anna (26) musste ihren Mann in der Ukraine zurücklassen und kam mit ihrer Tochter Alica (3) nach Berlin. In einem Pankower Containerdorf helfen sie anderen. Die Einrichtung wurde soeben reaktiviert.

Anna (26) musste ihren Mann in der Ukraine zurücklassen und kam mit ihrer Tochter Alica (3) nach Berlin. In einem Pankower Containerdorf helfen sie anderen. Die Einrichtung wurde soeben reaktiviert.

Foto: Thomas Schubert

Erstaufnahme in Buch geht mit 490 Flüchtlingen in Betrieb. Helfer wollen Ukrainer selbst in Wohnwagen unterbringen.

Berlin. Selbst ohne den Ukraine-Krieg hätte das frühere Refugium Buch im Norden von Pankow wieder eröffnen müssen. Mit Ankunft der ersten Flüchtlinge aus dem von russischen Truppen attackierten Land arbeitet die Containerunterkunft an der Groscurthstraße sofort an der Grenze seiner Kapazität. Rund 490 Bewohner sind vergangene Woche in die Erstaufnahmeeinrichtung eingezogen – ursprünglich hatte man nur mit der Aktivierung von 200 Plätzen gerechnet.

Nach Angaben des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin (LAF) sind zwei Drittel davon Menschen ukrainischer Herkunft, die keine Unterkunft in privaten Wohnungen finden konnten. Und diese Entwicklung führt nun dazu, dass sich das Stimmungsbild bei Anwohnern und Lokalpolitikern dreht.

Mütter, deren Männer in den Krieg ziehen, finden Zuflucht in Pankow

Bisher stand die Sorge im Vordergrund, dass die Containersiedlung mit der gleichzeitigen Nutzung als Corona-Testzentrum in einen Nutzungskonflikt gerät. Laut Sascha Langenbach, Pressesprecher des LAF, soll das landeseigene Testzentrum auch weiter in Betrieb bleiben. Tatsächlich wurde die Gefahr eines Durcheinanders aus Heimbewohnern und Besuchern, die auf einen Corona-Test warten, durch eine Umgestaltung des Eingangs entschärft. So nutzen die beiden Gruppen unterschiedliche Portale zum Gelände der Anlage.

Am Tor zeigt sich: Bedenken von Anwohnern und Lokalpolitikern zur Wiederinbetriebnahme des Containerdorfs weichen der Hilfsbereitschaft. Ständig erscheinen Anwohner mit Hilfspaketen – und treffen vor den Toren auf geflüchtete Frauen wie die Studentin Diana. „Wir mussten zwei Tage an der ukrainisch-polnischen Grenze warten“, beschreibt die 20-jährige Studentin die Beschwerlichkeit ihrer Reise nach Berlin. Ihr und ihren Brüdern David und Seravim sei die Flucht aus Kiew noch rechtzeitig gelungen.

Was dort geschehe, sei „schrecklich“. Die gesamte Familie sei in der ukrainischen Hauptstadt und in Charkiw zu Hause – jenen beiden Metropolen, die am schärfsten unter russischem Beschuss stehen. Nun sorgt sich Diana in einem Containerzimmer in Buch um Oma, Opa, ihre Cousine und ihre Hunde. „Es ist komfortabel hier“, lobt sie die neue Bleibe und die Hilfsbereitschaft im Norden Berlins.

„Ich habe meinen ganz persönlichen Krieg“

Dass die Betreibergesellschaft Prisod hier den Betrieb so schnell aufnehmen konnte, liegt auch an Freiwilligen, die ihre Hilfe anbieten. Denn wenn die Flüchtlinge weder Englisch verstehen noch den Google-Übersetzer auf ihrem Smartphone beherrschen, wird es mit der Verständigung schwer.

Dann sind die Dienste von Anna Busmakina besonders wichtig. Die Helferin aus Prenzlauer Berg zog vor sieben Jahren aus einer Stadt nahe Lwiw nach Berlin und versucht ihren flüchtenden Landsleuten nun beizustehen, wo sie kann – zum Beispiel als Dolmetscherin mit Ortskenntnis. Permanent steht sie in Kontakt mit eigenen Angehörigen, die zu Hause ausharren wollen. Auch wenn auf den örtlichen Flughafen ihrer Heimatstadt schon russische Bomben fielen. „Ich habe meinen ganz persönlichen Krieg“, beschreibt Busmakina ihre Situation.

Dolmetscher helfen Ukrainern bei der Verständigung

Sie widmet sich auch einem Kanal im Online-Netzwerk Telegram, in dem russische Familien erfahren sollen, wo ihre Männer geblieben sind. „Dort geht es auch darum, gefallene Soldaten zu identifizieren“, sagt sie zu dem Projekt, das sich gegen russische Desinformation richtet. Denn offiziell gibt es nach Auffassung der Putin-Regierung gar keinen Krieg, in dem Soldaten fallen könnten. „Die Russen wissen gar nicht, was geschieht“, sagt Busmakina.

Ins Gefecht zog auch der Mann der 26-jährigen Ukrainerin Anna, die mit ihrer dreijährigen Tochter Alica nach Berlin flüchten konnte. Zur abenteuerlichen Reise gehörte der Umstieg von einem Bus in den anderen, weil der erste wegen Bombenbeschuss nicht weiterfahren konnte. Zwar kam Anna in Berlin in einer privaten Wohnung unter. Aber weil im Pankower Containerdorf in Buch immer mehr Landsleute aufschlagen, schaut sie zusammen mit Anna Busmakina, wie sich dort helfen lässt.

Containerdorf in Buch: Heimbetreiber brauchen auch Helfer im Kinderclub

Für die pensionierte Lehrerin Ilona Vogel ist es Ehrensache, dass sie sich mit ihren Russischkenntnissen als Übersetzerin bei der Heimleitung meldet. „Na logo“, sagt sie auf die Frage, ob sie eine dauerhafte Aufgabe als Dolmetscherin übernehmen will. Russisch und Ukrainisch seien sich so ähnlich, dass die Sprachkenntnisse sehr weiterhelfen.

Das bestätigt auch eine Sprecherin der Prisod. Was man brauche, seien weniger Sachspenden, sondern ehrenamtlichen Beistand bei der Übersetzung, in der Kleiderkammer, bei der Begleitung von Behördengängen und im Kinderclub des Heims.

Gezielte Spende für Kriegsflüchtlinge: „Bitte geben sie das Ukrainern“

Bei den Spendenwilligen, die an der Pankower Einrichtung mit vollgepackten Autos vorfahren, zeigt sich, dass die Herzlichkeit speziell auf die Ukrainer zielt, weniger auf Moldauer, die eine große Zahl der Bewohner ausmachen. „Bitte geben sie das Ukrainern“, bat eine Dame dem Pförtner ganz explizit.

Auch der Bucher Abgeordnete Johannes Kraft (CDU) sammelt in seinem Wahlkreisbüro Spenden. Und will darauf drängen, dass Berlin und Pankow alle Ukrainer aufnehmen können, die noch kommen werden. „Wir müssen alles dafür tun, dass die Kriegsflüchtlinge hier ein Zuhause finden“, fordert er eine schnelle Prüfung von Standorten für Unterkünfte. Ihm seien Fälle bekannt, dass Bürger Zimmer zur Unterbringung freiräumen. Und selbst private Wohnwagen würden in Pankow schon angeboten, damit Ukrainer in einer sicheren Behausung schlafen.

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