Berlin. Das Wohnexperiment mit Minihütten auf dem Mirbachplatz bringt auch dem Investor einen Gewinn: Die Baumeister bewachen sein Grundstück.

Wieviel Platz braucht das Wohlbefinden? Fragt man Kornelius Maurath, Pia Grüter, Max Warkentin und die anderen Häuslebauer vom Mirbachplatz lautet die Antwort: sehr wenig. Vor einer entweihten Kirche mitten in Weißensee erproben sie in diesem Sommer ein neues Wohngefühl.

In vier selbst gezimmerten „Tiny Houses“, allesamt kleiner als die Wohnzimmer der umliegenden Altbauten, genießen sie die große Freiheit des Verzichts. „Wir wollten selbstbestimmt sein und unsere eigenen vier Wände bauen, in denen wir walten können, wie wir wollen“, erklärt Maurath den Sinn einer Behausung, die weniger als zehn Quadratmeter Wohnfläche bietet.

„Es ist schon ein anderes Gefühl, als wenn man wegen jeder Kleinigkeit, die man zu Hause verändern will, erst seinen Vermieter fragen muss.“ Statt steigende Mieten zu bezahlen ermöglichen minimalistische „Tiny Houses“ Berlinern den Traum vom Eigenheim ganz ohne Grundstückskauf und Kredit.

Grundstückseigentümer freut sich über den „Wachschutz“

Dass die Minihaus-Bewohner das künftige Bauareal als Aufstellfläche für ihre Hütten zwischennutzen können, verdanken sie einer Vereinbarung mit dem Eigentümer. Die Häuslebauer erhalten bis zum Projektstart freie Hand – und sie bewachen im Gegenzug das Grundstück.

Bevor die Zwischennutzung begann, häuften sich Einbrüche in der leerstehenden Kirche. Sie befindet sich in der Mitte des Platzes und könnte später in das Bauprojekt des Investors einbezogen werden. „Mobile AIR - the tiny house Artist in Residence“ nennen die Aktivisten ihr Projekt offiziell.

Selbst Airbnb setzt auf „Tiny Houses“

Mit ihrem Experiment sind Maurath, Grüter und ihre Mitstreiter nicht allein. Die „Tiny House“-Bewegung findet derzeit überall auf der Welt Nachahmer und setzt steigenden Bodenpreisen und hohen Mieten einen neuen Minimalismus entgegen.

Auch beim Unterkünftevermittler Airbnb bieten Konstrukteure ihre Hütten an – das Internetportal verzeichnete laut Handelsblatt 2019 in diesem Segment eine Steigerung der Buchungen um 109 Prozent. Bei diesem Boom verwundert es nicht, dass man fertige Häuschen inzwischen auch in großen Online-Versandhäusern kaufen kann. Lösungen für Schlaf- und Waschstätte oder Küche und WC im Miniaturformat werden im gleichen Maße ausgefeilter, wie die Nachfrage zunimmt.

Experimente mit natürlichen Baustoffen

Während andernorts in Deutschland industrielle Fertighäuser hochgezogen werden, leisten sich die Wohnkünstler auf dem Mirbachplatz in Weißensee den Luxus, an Lösungen für Wände aus recyceltem Material zu tüfteln. „Wir verwenden natürlich Baustoffe und schauen, wie weit man damit kommt“, berichtet Maurath, der auch nebenbei auch einen festen Wohnsitz hat und als Landschaftsgärtner arbeitet.

Der Kiez soll am Geschehen teilhaben

Keiner der Wohnkünstler will sich dem Kiezleben in Weißensee verschließen. Und so kommt es, dass Nachbarn auf dem Mirbachplatz, der als Kreisverkehr von Autos und Bussen umkurvt wird, den Sommer genießen. Neben den Hütten schlecken Kinder ein Eis und erleben Seite an Seite mit den Bewohnern die Leichtigkeit des Seins. Pia Grüter will ihre fertig gebaute Behausung im August anderen Berlinern zur Verfügung stellen und lässt dann andere an ihrem Wohntraum teilhaben.

Neben den „Tiny Houses“ findet man in Pankow auch „Little Homes.“ Sven Lüdecke (r.) hatte die Idee, Obdachlose in den Hütten einzuquartieren.
Neben den „Tiny Houses“ findet man in Pankow auch „Little Homes.“ Sven Lüdecke (r.) hatte die Idee, Obdachlose in den Hütten einzuquartieren. © Thomas Schubert

Neben den „Tiny Houses“ gibt es im Bezirk Pankow auch eine andere Wohnform, die den Trend zum „Downsizing“ aufgreift: Die „Little Homes“ für Obdachlose, bereitgestellt vom gleichnamigen Verein in Köln. Für Verwunderung sorgte in diesem Sommer die Tatsache, dass drei der vier Hütten unter der Autobahnbrücke am S-Bahnhof Pankow-Heinersdorf verschwunden sind. Der Vereinsgründer Sven Lüdecke gibt Entwarnung: „Die ,Little Homes’ in Pankow wurden nicht abgerissen, wie es in Kreuzberg geschah“, teilt er mit. Sie stünden nur einige Meter weiter an der Straße Im feuchten Winkel. Unter der Autobahnbrücke war den Bewohnern das Rumpeln des Verkehrs zu laut.

Daran zeigt sich: Sowohl „Tiny Houses“ als auch „Little Homes“ haben etwas gemein: Ihr Standort ist nicht zementiert. Wenn die Duldung der Wohnprojekte vorübergeht oder sich die Vorlieben ändern, lassen sich die Häuser problemlos wegfahren und dort aufstellen, wo man ein solches Experiment akzeptiert.