Grünanlage

Lärm, gestrichene Feste, Baustellen: Mauerpark in der Krise

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Ungehobelt und wild: Stephen Paul Taylor fordern mit seinem Auftritt einen Schallschutz für den Mauerpark.

Ungehobelt und wild: Stephen Paul Taylor fordern mit seinem Auftritt einen Schallschutz für den Mauerpark.

Foto: Thomas Schubert

Zum 25. Geburtstag steckt die Grünanlage in Pankow in der Krise - und erzählt viel über den Zustand Berlins.

Pankow. Und wieder hallt ein schriller Popsong über den Park. Begleitet von den Klängen seines Pianos tobt Sänger Stephen Paul Taylor mit goldener Sonnenbrille und glitzerndem Mantel durch das Amphitheater. Irgendwo in der Ferne drischt eine Gruppe von Trommlern derweil ihren eigenen Rhythmus, der die tanzende Menge im Mauerpark in eine kurze Juninacht geleitet. Es ist einer dieser Abende, an denen Nachbarn des Park entnervt die Balkontüren schließen.

Aber für die Besucher dieses Überraschungskonzerts wäre Berlin ein trauriger Ort, wenn an einem Freitagabend um diese Zeit schon Stille herrschte. Stephen Paul Taylor ist jedenfalls angetreten, damit Musiker im Mauerpark laut sein dürfen ohne Reue. Damit es eine technische Lösung gibt für die Problematik, dass elektronisch verstärkte Musik gemäß den Regeln für öffentliche Grünanlage eigentlich zu laut ist.

+++ Kommentar: Für den Mauerpark muss eine Lösung gefunden werden

Dieser Auftritt ist ein Art Spendengala. Auf Einladung der Initiative „Save Mauerpark“ spielen im Atrium vier Bands, auf dass Geld in die Kasse kommt. Eine Anzahlung für die Schallschutz-Muschel – eine gewölbte Kunststoffschale, die den Klang von Wohnhäusern fernhalten und ihn dort bündeln soll, wohin man ihn richten will: zum Publikum.

„Wir prüfen jetzt, ob wir dafür Fördergelder beantragen können“, sagt Ulrich Schweizer, einer der Köpfe der Initiative „Save Mauerpark“. 1000 Euro Spendengeld will man selbst einsammeln – das wären wenigstens die Materialkosten für eine solche Muschel. Doch obwohl niemand die Idee schlecht findet – bislang haben sich weder das Bezirksamt Pankow noch der Senat bereit erklärt, das Experiment mit einer Dämmvorrichtung im Mauerpark zu bezahlen. Wäre eine Schallschutzschale nicht das passende Geburtstagsgeschenk für den Park? Vielleicht hängt es von dieser Investition ab, ob dieser Ort nach dem monatelangen Konflikt um allzu laute Konzerte wieder zur Ruhe kommt.

25 Jahre ist es her, seitdem der Mauerpark eröffnet hat. Ein 11.000 Quadratmeter großer Freizeitort da, wo früher der Todesstreifen verlief. Wo sich Stacheldraht und Schießanlagen befanden, zählt seit ab 1994 Lebensfreude und hemmungsloser Spaß. An dem Punkt, wo Prenzlauer Berg und Gesundbrunnen durch eine graue Schneise getrennt waren, erschuf der Architekt Gustav Lange einen begrünten Korridor, durchzogen von Wegen, gesäumt von Turmeichen. Ein Ort, an dem Ost und West zusammenwachsen, wo die Stadtgesellschaft Freiheit zelebriert – und seit 25 Jahren streitet über die Probleme des Zusammenlebens in der immer stärker verdichteten Stadt. Mal ging es um Neubaugebiete an der Nordkante des Parks, mal um die Kommerzialisierung des Trödelmarkts. Im Jubiläumsjahr streitet man über die Publikumsmassen von bis zu 40.000 Besuchern am Tag. Über Baustellen, die den Park an allen Ecken entstellen. Und vor allem über den Lärm.

Pankow will den Mauerpark vor dem Klimawandel schützen

Erst im letzten Moment entschied das Bezirksamt Pankow im Frühjahr, das sonntägliche Karaoke – eine Attraktion von internationalem Rang – wieder zu genehmigen. Und das nach einer Anhörung, bei der sich Nachbarn über das „Horror-Karaoke“ beklagt hatten. Andere Traditionsveranstaltungen wie die „Friedliche Walpurgisnacht“ am 30. April ließen sich nicht mehr ins Korsett von Regularien pressen – und fielen aus. Volksfeste und kommerzielle Events bekommen seit 2019 generell keine Genehmigung mehr. Denn der Bezirk sieht die Vegetation durch den Klimawandel bedroht und will die strapazierte Parkgewächse vor trampelnden Massen bewahren. Was jahrelang selbstverständlich stattfand, wird nun zum Problem. Aber warum?

Das fragt sich Alexander Puell, seines Zeichens Vereinsvorsitzender der Freunde des Mauerparks. An einem schwülen Nachmittag spaziert er nachdenklich über die holprige Kopfsteinpflaster-Straße vor dem Sonnenhügel – auch sie ist ein Politikum. Nicht einmal zur Frage, ob man das Pflaster für Radfahrer glatthobeln sollte, besteht Einigkeit. Puell möchte es so erhalten wie sie ist: ungehobelt und rau. So passe es zum Charakter des Parks.

Für den Streit über die Konzerte von Straßenmusikern sucht der Designer und Fotograf Erklärungen, die man von einem Soziologen erwarten könnte. „Es ist eine Frage der Philosophie, wie man damit umgeht, wenn man sich von etwas gestört fühlt“, sagt er zu den Lärmbeschwerden. Dass der Umgang mit urbanen Phänomenen wie der Straßenmusik empfindlicher wird, liege daran, dass es überall in Berlin enger wird. In der U-Bahn, im Kiez, im Park. „Der Stresspegel wird höher und höher“, beobachtet Puell. Manch einer sucht wegen dieser Gereiztheit die schnelle Abhilfe und ruft das Ordnungsamt oder die Polizei - „und auf einmal gehen Dinge nicht mehr, die immer gegangen sind“, bedauert Puell.

Als er 1996 nach Prenzlauer Berg zog, war ihm der Park herzlich egal. Erst als Puell Vater wurde und nördlich des grünen Korridors ein neues Zuhause fand, änderte sich das Verhältnis. Seit 2004 engagiert sich der Fotograf und Designer ehrenamtlich für die Weiterentwicklung des Erholungsgebiets. „Es ist ein Ort, in dem sehr viel Positives und Lebensbejahendes steckt. Ein Ort, an dem man sich ausprobiert und aufeinander zugeht.“ Gemessen an den Besucherzahlen sei die Kriminalitätsbelastung erstaunlich gering. Trotzdem laufe im Park vieles an den eigentlichen Regeln vorbei, gibt er zu. Aber nicht alle Anwohner sehen das so gelassen wie Puell.

Ein Freiraum, der in Bedrängnis gerät

Einer der Entscheider, der zwischen Unterstützern und Gegnern der Straßenmusiker zu vermitteln versucht, ist Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke). „Der Mauerpark atmet wie kaum ein anderer Ort in Pankow Freiheit“, beschreibt er die Atmosphäre. Doch es handele sich auch um einen Freiraum, der in Bedrängnis gerät. Zu viele Baustellen, zu viel Krach, immer weniger Freiraum für immer mehr Nutzer. Worunter Berlin im Allgemeinen leidet, meint Benn, zeigt der Mauerpark im Besonderen. „Hier manifestieren sich das Wachstum der Stadt und die Übernutzung der wenigen freien Flächen. Hier werden Konflikte wie in einem Brennglas sichtbar.“

Für diesen Sommer ist das Karaoke vorläufig gesichert. Und Straßenmusiker, die unabhängig vom Karaoke im Park spielen, dürfen immer noch laut sein: montags bis donnerstags von 11 bis 19.30 Uhr und an Freitagen, Wochenenden und Feiertagen von 11 bis 20.30 Uhr – unter der Bedingung, dass sie sich von der Wohnbebauung abwenden und nach Osten in Richtung des Sonnenhügels spielen.

Eine Lösung im Sinne der Künstler, bei der sich das Bezirksamt wohl auch von Mehrheitsverhältnissen leiten ließ. Über 8000 Unterschriften sammelten Initiativen wie „Save Mauerpark“ in den letzten Monaten für das Recht zum Musizieren. Lärmgeplagte Nachbarn trugen auf ihrer Liste rund 100 Unterschriften zusammen. Aber wenn auch nur einer von ihnen wegen Ruhestörung und der Untätigkeit des Bezirksamts vor Gericht zieht, könnte der Kunstfreiheit ein jähes Ende beschieden sein. Das weiß auch Sören Benn.

Trotzdem setzt er nicht auf Verbote, sondern auf Freiheit. Ein weit gefasstes Regelwerk mit bestimmten Zeit- und Ortsangaben für das Musizieren im Park, dazu sechs Parkläufer, die Künstler im Zweifelsfall um Ruhe bitten – das ist alles, was es 2019 an Regulierung gibt. 25 Jahre nach der Eröffnung ist der Mauerpark in einen Sommer der Experimente eingetreten. Bürgermeister Benn, der den Park als Platzhalter für die Berliner Streitthemen sieht, will herausfinden, wie weit er kommt ohne strikte Verbote.

Besonders große Sinnzusammenhänge stellt jemand her, der zu den prominenten Anwohnern des Parks zählt: der Schriftsteller Wladimir Kaminer. Er sagt: „Der Park ist herausragendes Beispiel für den Zustand unserer Welt.“ Dies sei einer dieser Orte des 21. Jahrhunderts, wo in der Öffentlichkeit alles auf einmal stattfindet: das Essen, das Trinken, das Toben und Tanzen. „Aber viele Menschen finden sich in dieser tollen, neuen Welt nicht zurecht“, beobachtet Kaminer, wenn er als Jogger den Park durchquert oder über den Trödelmarkt schlendert. „Der Mauerpark ist auch ein Denkmal einer zu Ende gegangenen Zeit. Es ist nicht verwunderlich, dass dort das Archaische und das Moderne so aneinander geraten“, analysiert der Literat das Spannungsverhältnis von Vergangenheit und Gegenwart.

Lust an der Freiheit und der Drang zur Begrenzung

Kaminer nutzt den Mauerpark gerne als Fundgrube der Inspiration. „Ich gehe hin und schaue mir die Menschen an“, sagt der Autor. „Da kann man an einem guten Tag die ganze Welt versammelt sehen. Anscheinend kommen die Leute gut miteinander klar, ohne die Sprache des anderen zu verstehen“. Umso verwunderter nahm Kaminer Anfang Juni die Idee zur Kenntnis, den Park einzuzäunen und von Besuchern, die nicht aus Berlin stammen, Eintritt zu verlangen. Es war nur eine Handlungsempfehlung aus dem Pankower Tourismuskonzept – und doch führte diese Überlegung zu einem Aufschrei.

„Es liegt doch im Wesen des Parks, dass das eine freie und offene Fläche für alle ist“, wundert sich Kaminer. Die Idee einer Problemlösung durch Eingrenzung, durch den Bau von Mauern und Zäunen sei eben überall auf der Welt wieder modern. Sogar in Berlin. Aber Kaminer meint, man könne globale Entwicklungen nicht eindämmen, ebenso wenig wie Länder einmauern.

So kommt im Mauerpark beides zusammen: überbordende Freiheit und der Wunsch nach Begrenzung. Alexander Puell ist ein Mann, der auf der Seite der Freiheit steht. Er sagt: „Es gibt Regeln, die bei genauerer Betrachtung nicht zu unserer Lebenspraxis im Park passen“. Dann könne man entweder die Lebenspraxis einschränken. Oder die Regeln anpassen. Der Mauerpark im Jahre 2019 ist in beide Richtungen offen.