Berlin. Fast 20 Jahre hat es niemanden gestört. Lothar Heer ließ auf einem Spielplatz an der Ecke Stargarder Straße und Senefelderstraße gleich neben seinem Tapas-Restaurant „Alois S.“ Getränke servieren – auch Alkohol war auf dem Sandkasten neben der Fußball-Fankneipe kein Problem und wurde aus Rücksicht auf die Kinder lediglich in Maßen genossen.
Doch nun der Einschnitt. Seit kurzem drohen Heer und anderen Wirten in Pankow hohe Bußgelder, sollte sie das Ordnungsamt dabei ertappen, wie Mitarbeiter Eltern ein alkoholisches Getränk auf dem Spielplatz reichen. Selbst Radler und leichte Weinschorlen sind tabu, seitdem Stadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) die Berliner Spielplatzverordnung neu auslegt.
„Es gibt durchaus ein Alkoholverbot auf Pankower Spielplätzen, es ist im Berliner Grünanlagengesetz definiert“, versichert Kuhn. Aber Kaffee, Limonade und Kuchen könne es gerne weiterhin geben. „Ich würde mich insoweit freuen, wenn wir hier noch eine Einigung finden können“, bietet der Baustadtrat einen Kompromiss an.
Es bräuchte einen abgetrennten Ausschankbereich
Aber Heer verzichtete lieber ganz und bedauert den Bruch der 19 Jahre gültigen Übereinkunft von Seiten des Bezirks. „Wie sollen wir kontrollieren, dass sich jemand bei uns ein Bier bestellt und dann damit doch auf den Spielplatz geht?“, fragt sich der Wirt. Es bräuchte eine eigenen, abgetrennten Ausschankbereich und eine ständige Beaufsichtigung der Eltern. Weil der Aufwand dafür zu groß wäre, beendete Heer die Bewirtschaftung des Spielplatzes gleich ganz. „Wir hatten eine Win-win-Situation“, sagt er zu der früheren Regelung, dass Mitarbeiter des „Alois S.“ auf dem Spielplatz für Ordnung sorgten und dafür Getränke, ausnahmsweise auch Alkohol, ausschenken durften. Dank der Patenschaft für den Freizeitort war der Spielplatz einer der saubersten in Prenzlauer Berg. Mit der Übereinkunft, die für Sauberkeit und Ordnung sorgte, ist es nun endgültig vorbei.
So schien es jedenfalls bis zum späten Montagabend. Bezirkspolitiker aller Fraktionen stellten sich bei einer Sondersitzung des Ausschusses für Ordnungsangelegenheiten geschlossen auf die Seite des Wirts. Vor allem der SPD-Fraktionsvorsitzende Roland Schröder sprach von einem „großem Unverständnis über eine weitere Veränderung der Verhaltenspraxis“ vonseiten des Bezirks. „Dass sogar Bußgelder verhängt werden, können wir in keiner Weise nachvollziehen“, kritisiert der Schröder.
Für Irritation sorgt die Tatsache, dass ein Alkoholverbot nicht explizit in der Spielplatzverordnung steht. Trotzdem: Stadtrat Kuhn sieht genügend Indizien, die dafür sprechen, die Verordnung so zu deuten und das Verbot durchzusetzen. Er meint: „Man kann solche Auflagen anwenden, wenn es um den Schutz von Kindern geht“. Und der Schutz von Kindern sei sehr wohl als Zielvorgabe für Spielplätze definiert. Ein weiteres Argument: Zehn von zwölf Berliner Bezirken haben beschlossen, Alkohol auf Spielplätzen zu verbieten. Kontrolliert und geahndet wird das Trinken zwischen Schaukel und Rutsche aber so gut wie nie, da die Ordnungsämter mit anderen Aufgaben ausgelastet sind. Nur neben dem „Alois S.“, wo bekanntermaßen Bier getrunken wurde, war die Chance, Eltern in flagranti anzutreffen eben besonders hoch.
Grüne sind verwundert über die Entscheidung des eigenen Stadtrats
Selbst die Grünen-Fraktion sieht die Strenge ihres Stadtrats gegen das Traditionslokal und dessen Geschäftsgrundlage kritisch. „Das ist doch ausgerechnet einer der wenigen Spielplätze, wo Erwachsene wirklich auf das Wohl der Kinder achten“, betont die Bürgerdeputierte Patrizia Flores. Damit stehe der gepflegte Sandkasten in Obhut des „Alois S.“ im Gegensatz zu Spielorten in Prenzlauer Berg, auf denen Joints im Sandkasten liegen. Die wiederum gelten rechtlich als einwandfrei.
Aus Sicht der SPD-Fraktion ist die schroffe Reglementierung des Ausschanks umso verwunderlicher,
da in früheren Jahren das Bezirksamt Pankow selbst das Konzept der Spielplatzpatenschaft mit dem „Alois S.“ entwickeln ließ – und gerade deswegen eine Brandwand durchbrochen wurde, um Getränke auf dem Spielplatz zu servieren. Durchaus auch alkoholische. So lautete der Grundtenor im Ausschuss: Dass der Bezirk nicht in der Lage sei, gravierende ordnungspolitische Probleme zu regeln, aber bei einer Spielplatz-Bar hart durchgreift, könne man den Bürgern nicht vermitteln.
Linke und AfD vertreten im Fall „Alois S.“ die gleiche Position
Bei nur zwei Enthaltungen stimmten alle Mitglieder des Ausschusses für einen Antrag der SPD, wonach der alte Status des Ausschanks im „Alois S.“ sofort wiederhergestellt werden soll. Es war einer der seltenen Fälle, in denen Politiker der Linken, der CDU, FDP und AfD einer Meinung sind. Und Stadtrat Kuhn? Er bleibt bei seiner Sicht der Dinge und will dem Antrag zur Aufhebung der Beschränkungen keineswegs Folge leisten. „Wir werden das rechtlich prüfen lassen“, kündigt er an. Sollte Kuhn die Aufforderung des Ausschusses auf diese Weise tatsächlich über den Sommer hinauszögern, droht ihm die SPD mit einer weiteren Maßnahme: einer Sondersitzung der Bezirksverordnetenversammlung mitten in der Sommerpause.