Berlin. Bezirk, Senat und Anwohner einigen sich beim Großprojekt auf einen Zeitplan. Erst in 16 Jahren sollen die Wohnungen fertig sein.
Es gehört zu den größten innerstädtischen Wohnungsbauvorhaben Berlins. Es wird vorbereitet in einem neuartigen Beteiligungsverfahren zwischen Anwohnern, Bezirksamt und Senat. Und nach acht gemeinsamen Planungsrunden ist das Projekt Michelangelostraße jetzt fast reif für das endgültige Modell.
Doch nun wird auch klar: Der aufwändige Bürgerdialog und die schwierigen Verkehrsbedingungen vor Ort haben ihren Preis. Erst gegen 2035 wird das Quartier mit 1200 Wohnungen zwischen die Hausfronten von Elfgeschossern der DDR-Epoche fertiggestellt. So berichtete es am Donnerstagabend Pankows Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) zur Eröffnung einer Sitzung des Runden Tisches zu diesem Thema. Das heißt: Erst 22 Jahre nach der Bekanntgabe des Plans im Jahre 2013 kommt hier eines der wichtigsten Wohnungsneubauprojekte Berlins zum Abschluss. Frühestens.

„Wir werden eine lange Zeitschiene haben“, sagte Kuhn gleich zur Begrüßung des jüngsten Treffens. Bevor der Wohnungsbau beginnen könne, müsse man erst die Straße umbauen und den Stadtraum für das neue Quartier vorbereiten. Konkret ist Folgendes beschlossen: Die Trasse im Süden von Prenzlauer Berg wird mitsamt von Kabeln und Leitungen um einige Meter und von 42 auf 46 Meter verbreitert. Acht bis zehn Jahre wird allein diese Maßnahme in Anspruch nehmen. „Ziel wird es sein, dass wir auf der neuen Michelangelostraße Boulevardcharakter bekommen“, beschreibt Kuhn die Anpassung. Dazu gehöre eine üppige Begrünung, die Aufenthaltsqualität schafft und den Effekt der Nachverdichtung im Quartier dämpft. Parallel zum Straßenumbau entsteht innerhalb von sieben Jahren eine neue Schule.
„Wir wollen eine gute Stadt bauen“
Ein weiterer Vorteil der Lösung laut Kuhn: Wenn man die Straße fertig verlegt hat, bevor der Wohnungsbau beginnt, könnte man an der Straße temporäre Parkplätze schaffen. So hätten Anwohner die Chance, ihre Autos weiter im Kiez abzustellen, während auf dem ursprünglichen Parkplätzen gebaut wird. Um das Quartier an das Schienennetz anzuschließen, entsteht ab 2035 außerdem eine neue Straßenbahntrasse. „Wir wollen eine gute Stadt bauen.“ Sie solle auch in 80 bis 100 Jahre ein würdiges Zuhause abgeben, erklärt er die Gründlichkeit bei der Planung.
Dass Bezirk und Senat die Bedenken von Anwohner zu Verkehrs- und Platzproblemen ernst nehmen, wertet der Verein für Lebensqualität an der Michelangelostraße als richtiges Zeichen. „Es ist nicht so, dass wir das Vorhaben verhindern wollten, aber es muss so sein, dass die alten und die neuen Bewohner eine vernünftige Lebensqualität haben werden“ sagt Sprecher Hans-Joachim Freund auf Anfrage. Eine solche Lebensqualität sieht der Verein mit dem aktuellen Kompromiss als gegeben an. "Bürger und Verwaltung sind jetzt in großem Umfang aufeinander zugegangen", lobt Freund die neuen Entwicklungen. Inzwischen habe man drei Varianten herausgearbeitet, von denen zwei eine Chance zur Umsetzung haben. Er stellt aber auch klar: Der jahrzehntelange Vorlauf bis zum Baustart ist nicht dem Widerstand aus der Nachbarschaft geschuldet, sondern den Planungsabläufen der Berliner Verwaltung. "Das sind normale Vorgänge", sagt der Sprecher zur Trennung von Verkehrsplanung und Wohnungsbau.
Auch aus Sicht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geht beim Projekt Michelangelostraße Qualität vor Geschwindigkeit. Gritt Schade, seit fünf Jahren Leiterin der Wohnungsbauleitstelle des Senats, sieht das Beteiligungsverfahren für den Kiez an der Michelangelostraße als „bislang einzigartig“ an. „Es ist ein Geben und Nehmen. Wir haben ein sehr gutes Ergebnis nach einem langen Planungsprozess“, sagte die Vertreterin der Institution, die gegründet wurde, um Hemmnisse bei Wohnungsbauvorhaben aus dem Weg zu räumen, beim Runden Tisch.
Zahl der Neubauwohnungen auf 1200 gesenkt
In mehreren Workshops konnten Anwohner selbst an der Zukunft ihrer Umgebung mitplanen und mehrere „Vorzugsvarianten“ entwerfen. Dabei wurden kritische Rückmeldungen mehrfach in die Modelle eingearbeitet, bis der Konsens mit dem Anwohnerverein weitgehend hergestellt war. „Für mich ist das ein Pilotprojekt für Bürgerbeteiligung an anderen Orten“, lobt Gritt Schade das Verfahren.
Aber kann es sein, dass 22 Jahre vom Beginn der Planung bis zur Erbauung eines der 14 größten neuen Wohnquartiere Berlins vergehen? Christian Gräff, der bau- und wohnungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, gibt sich überrascht. „Dialogverfahren mit den Anwohnern sind zwingend notwendig und wichtig“, zeigt er zwar Verständnis für die Bürgerbefragung. Zugleich warnt er vor einem falschen Signal und sagt: „Damit die Mieten in Berlin nicht weiter steigen brauchen wir dringend Wohnungsneubau, um den Druck vom Markt zu nehmen. Die Verzögerungen der Senats sind daher unfassbar. Und die Berliner leiden darunter“.
„Prozess der gegenseitigen Annäherung“
Für Bezirk und Senat ist die Einigung mit den Anwohnern ein Erfolg, der lange auf sich warten ließ. Eine ursprünglich geplante Präsentation der „Vorzugsvarianten“ im vergangenen November scheiterte, weil Anwohner ihre Auffassungen zu Lebensqualität und Verkehr noch nicht genügend berücksichtigt sahen. Zuvor gab es ein jahrelanges Ringen um die Zahl der Wohnungen im neuen Quartier. Bei einer ersten Untersuchung war von mehr als 2500 Einheiten die Rede. Nach hartnäckiger Kritik an der Überbauung von Park- und Rasenflächen und der hohen Baumasse, senkten die Verantwortlichen diese Zahl auf 1500, dann auf 1400, und zuletzt auf 1200.
Jetzt sei man auf der „Zielgeraden angelangt“ sagte Stadtrat Kuhn beim Runden Tisch. Zwischen diesen wiederstreitenden Interessen habe es einen „Prozess der gegenseitigen Annäherung“ gegeben. Nach mehreren Standortwerkstätten, bei denen die Anwohner Bauklötze auf Modeltische setzen konnten, soll das Dialogverfahren nun zum Ende kommen. Voraussichtlich im Frühjahr will das Bezirksamt ein Bebauungsplanverfahren starten, das etwa drei Jahre läuft und eine erneute Bürgerbefragung umfasst. Nur der Baubeginn für die Wohnungen ist dann noch nicht in Sicht. Das Projekt Michelangelostraße wird ein Generationenwerk.
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