Habichte, Grauschnäpper, Bussarde, Grünspechte – das sind nur einige Beispiele der seltenen Vogelarten, die auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee heimisch sind. Mit einer stattlichen Größe von 42 Hektar und 116.000 Gräbern ist er der größte noch praktizierende jüdische Friedhof in Europa. Aber er hat auch eine beeindruckende biologische Vielfalt. Und die haben Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin (TU) akribisch erforscht und Leitbilder entwickelt, wie mit der Vegetation umgegangen werden sollte.
Anlässlich des jüdischen Neujahrsfestes der Bäume (Tubischwat) am Mittwoch hat das Bundesumweltministerium das Projekt „Naturschutz und Denkmalpflege auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee“ gewürdigt – und zwar als offizielles Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt. Eigentlich wollte Ministerin Barbara Hendricks (SPD) die Urkunde und den Vielfaltsbaum überreichen, doch sie war in den Koalitionsverhandlungen gebunden.
Deshalb überbrachte Christiane Paulus, Leiterin der Naturschutz-Abteilung beim Bundesministerium, die Grüße an die Jüdische Gemeinde zu Berlin, an die Friedhofsmitarbeiter und die Gäste. Der Rückzug von Tier- und Pflanzenarten schreite voran, deshalb sei es Aufgabe aller, nicht nur des Staates, die Vielfalt zu bewahren, mahnte sie. „604 wild lebende Tier- und Pflanzenarten, darunter fünf Fledermausarten und 34 Vogelarten sind auf dem Friedhof zu finden“, sagte Ingo Kowarik, Professor für Ökosystemkunde/Pflanzenökologie an der TU Berlin, in seinem Vortrag, den er in der Empfangshalle des Friedhofs in Weißensee hielt. Die Vielfalt sei eng mit der Grabkultur verbunden.
„Fast 7000 Bäume kartiert, bis zu 20 Prozent bruchgefährdet“
Zur Bestandsaufnahme der Wissenschaftler, die auch von Naturschützern wie dem Nabu unterstützt wurden, gehörte auch, dass fast 7000 Bäume kartiert wurden. Darunter sind nach Auskunft der Experten 10 bis 20 Prozent, die bruchgefährdet sind.
Bei einem der insgesamt 140 Grabfelder haben die Projektteilnehmer beispielhaft vorgemacht, wie eine Pflege aussehen kann: Elf Bäume wurden gefällt, vier Altbäume erhielten einen Kronenschnitt, Rhododendron-Sträucher einen Pflegeschnitt. Das kostete 10.000 Euro, bei 140 Grabfeldern sind entsprechend 1,4 Millionen Euro nötig.
Geld, das die Jüdische Gemeinde zu Berlin, dafür nicht hat. Deshalb hofft sie jetzt, dass die Auszeichnung des Projekts hilft, weitere Förderer zu finden, die helfen, das Erbe von Europas größtem Jüdischen Friedhof zu bewahren. Auch die wilde Natur soll dort weiter ihren Platz haben. Für den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, ist der Friedhof in Weißensee nicht nur der größte in Europa, sondern auch der schönste. Die Auszeichnung sei Ansporn, die biologische Vielfalt zu bewahren, den Friedhof aber auch als Bestattungs- und Erinnerungsort zu pflegen und gleichzeitig das überregional bedeutsame Garten- und Kulturdenkmal zu erhalten.
Auf den anderen Berliner Friedhöfen gibt es laut Professor Kowarik ähnliche Probleme. „Hier in Weißensee sind sie aber besonders gravierend wegen der vielen alten Bäume. Das Land Berlin ist gefordert. Das werde ich der Senatorin vortragen“, kündigte Kowarik an.
„Wir müssen dringend beginnen, neue Programme aufzulegen, und zwar im Bereich der Bau- und Gartendenkmalpflege zusammen mit dem Naturschutz“, forderte auch Klaus-Henning von Krosigk, der von 1978 bis 2013 im Landesdenkmalamt Berlin die Gartendenkmalpflege leitete. Niemand könne sagen, was es koste, solch einen Friedhof wie den in Weißensee zu sanieren. Klar sei nur, dass es eine Aufgabe von Jahrzehnten ist.