Liebesromane. Wer dächte da nicht an mittelalterliche Stallburschen mit offenem Leinenhemd und verwegenem Schlafzimmerblick auf abgegriffenen Heftchen, in ihren Armen sich aufbäumende Gazellen im flatternden Lagen-Look, mit vom Wind zerzaustem Haar und lüstern-schmerzverzerrtem Blick? Zielgruppe, ganz klar: frustrierte, gelangweilte Hausfrauen. „Da wären wir bei Vorurteil Nummer eins!“, widerspricht Kris Alice Hohls.
Eine, die es wissen muss: Hohls ist Initiatorin der Love Letter Convention (LLC). Das kleine, feine Treffen für etwa 800 Liebesroman-Fans findet an diesem Wochenende bereits zum sechsten Mal statt und bringt Leser, Autoren und Verlagsmitarbeiter des Genres auf dem Campus der GLS Schule in Prenzlauer Berg zusammen.
Hohls machte ihre Passion zum Beruf
Bis 2015 war Hohls Mitherausgeberin des „Love Letter Magazins“, eine Art Fanzine für Liebhaber des Genres, das der Convention seinen Namen vererbte. Selbst leidenschaftliche Leserin von Liebesgeschichten, machte sie ihre Passion zum Beruf und arbeitete als Verlagsberaterin und Agentin. „In den USA war ich dann auf einem Treffen für Liebesroman-Fans“, erzählt sie. „Und dachte, das wäre auch in Deutschland toll.“ So kam es 2012 zur ersten LLC. Zunächst zwei Jahre im Kulturhaus Spandau, seit 2014 in Prenzlauer Berg. Bei Lesungen, Meet & Greets und Workshops kommen Fans mit den Stars der Szene in Kontakt und stauben bei der Signierstunde Tausende Freiexemplare ab.
„Wir werden gerne abschätzig behandelt“, sagt Hohls, da führe die Hausfrauen-Keule nur eine lange Liste von Vorurteilen an. Doch im Publikum sei zwischen 16 und 70 Jahren alles vertreten. Mütter, die mit ihren Töchtern kämen, oder Gruppen von Freundinnen. Und immerhin zehn Prozent Männer. Auf das Hausfrauen-Vorurteil folgten: schlecht geschrieben, alle Geschichten gleich, Cover schrecklich. „Das Letzte stimmt teilweise“, gibt Hohls zu und lacht auf. „Aber das ist notwendig, um zu erkennen, was drin ist.“ Und die Geschichten seien alles andere als gleich, betont Autorin Miranda J. Fox. „Es gibt so viele Arten, eine Geschichte zu erzählen, so viele Schauplätze und verschiedene Schicksale, dass es einfach nie langweilig wird – weder Liebesromane zu lesen noch sie zu schreiben“, sagt die 28-Jährige Berlinerin, die ihre Romane wie „Zuckersüßes Chaos“ oder „L. A. Love Affair“ im Selbstverlag veröffentlicht.
Alles, wo Liebe vorkommt, darf sich Romance nennen
Schon die Unterkategorien weisen eine breite Palette auf. Da gibt es die Erotic Romance, wenn es mal etwas heißer sein darf. Das Gegenteil: die Christian Romance, wo Sex tabu ist. Fantasy Romance, SciFi Romance. Eigentlich darf sich alles Romance schimpfen, wo Liebe vorkommt. Für Veranstalterin Hohls gehören auch die geschmähten Groschenromane unbedingt dazu. „Man kann die Qualität eines Buches nicht an Länge, Verpackung, Cover oder Verlag ablesen.“
Unter den 40 geladenen Schriftstellern sind auch Bestsellerautoren, etwa Mona Kasten, die ihre jetzige Lektorin auf der LLC kennenlernte und deren letzte Bücher auf die „Spiegel“-Bestsellerliste fanden. Oder die in Berlin ansässige Corina Bomann, der 2012 mit „Die Schmetterlingsinsel“ der Durchbruch gelang. Auch für sie ist der Liebesroman das abwechslungsreichste Genre. „Liebe gehört zum Leben einfach dazu. Liebe kann Heilung bedeuten, manchmal auch Verderben“, sagt Bomann. „Sie kann eine Geschichte in Gang setzten, ihr eine andere Richtung geben und ihr ein Happy End bescheren.“ Auch wenn beim Happy End die Meinungen auseinandergehen, wie ein Panel zum Thema bei der LLC 2016 zeigte. Für Hohls gehört ein Happy End unbedingt dazu. „Ich weiß beim Buchaufschlagen, ich werde es mit einem beglückten Gefühl zuklappen.“
Dienen Liebesromane also als Glücksdroge, als Flucht, wenn es einem gerade im Berufs- oder Privatleben nicht gut geht? „Die Leserinnen, die ich kenne, stehen mit beiden Beinen fest im Leben und wissen zu unterscheiden, was das echte Leben ist und was eine Märchenwelt“, betont Corina Bomann. Außerdem sei jede Unterhaltung, ob Buch, Kino oder Netflix, eine kleine Flucht vom Alltag. „Unterhaltung ist das Salz in der Suppe des Lebens – oder im Falle von Liebesromanen die Sahnehaube auf einem leckeren Kuchen.“
Die Leser sehnen den nächsten Teil herbei
Für die Autoren sind Liebesromane das stressigste Genre, weiß Hohls. „Die Leser sind Vielleser, ungeduldig, lieben Serien und sehnen den nächsten Teil herbei, um diese fiktive Welt nicht zu verlassen.“ Davon kann Autorin Miranda J. Fox ein Liedchen singen. „Es gab bis jetzt keinen Roman, bei dem ich nicht wenige Tage nach Veröffentlichung gefragt wurde, ob es denn einen zweiten Teil oder gleich eine Serie geben wird“, sagt sie lachend. Das sei zwar stressig, aber auch sehr schmeichelhaft. Während die vergangenen Jahre vor allem von Mystery Romances à la „Twilight“ geprägt waren, scheint der Vampir-Hype nun abzuflauen. New Adult ist das neue Ding. „Das sind zeitgenössische Problembücher“, erklärt Hohls. „Geschichten über Anfang-20-Jährige in der Uni oder am Beginn ihres Berufslebens.“ Und natürlich deren Herzschmerz. Bücher dieser Art werden von allen Altersklassen verschlungen.
Leider sind manche Bücher noch in den 80er-Jahren verortet, sagt Hohls. „Frauen werden schlecht behandelt, Helden sind Arschlöcher.“ Das werde teilweise von Lesern so gewünscht. Doch während starke weibliche Charaktere mittlerweile Standard seien, findet seit einigen Jahren auch gleichgeschlechtliche Liebe Einzug in das Genre. Oft allerdings noch explizit, wenn einer der beiden Männer – es verlieben sich fast nie zwei Frauen ineinander – sich erst outen muss, was zu Konflikten führt. „Doch ich habe auch Bücher gelesen, in denen die Liebesgeschichte ganz selbstverständlich erzählt wurde. Ohne hervorzuheben, dass es sich um zwei Männer handelt“, freut sich Hohls. Sie freut sich auf die diesjährige LLC unter Gleichgesinnten. „Das ist eine nette, hilfsbereite Community ohne Vorurteile. Vielleicht weil man ständig mit Glückshormonen bombardiert wird.“
Love Letter Convention, GLS Sprachenschule, Kastanienallee 82 (Prenzlauer Berg), Sbd. 8–21 Uhr, So. 8–18 Uhr, Eintritt: Sbd. o. So. je 45 Euro, Wochenendticket 59 Euro (Studenten 55 Euro), Programm unter www.loveletterconvention.com