Fairplay

Was Jugendliche beim Sport fürs Leben lernen

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Nicole Dolif
Bei Stern Britz treffen sich die Jugendlichen zum Fußballspielen – oder auch einfach zum Quatschen.

Bei Stern Britz treffen sich die Jugendlichen zum Fußballspielen – oder auch einfach zum Quatschen.

Foto: Sergej Glanze / FUNKE Foto Services

Jugendgewalt ist seit den Silvester-Krawallen ein großes Thema. Ein Neuköllner Fußballverein zeigt, wie Jugendliche Fairplay lernen.

Berlin.  Es gab eine Zeit, da hat Omar (14) seine Freizeit vor allem mit Zocken verbracht. „Ich habe eigentlich immer allein zu Hause vor dem Computer gesessen“, sagt der Achtklässler aus Neukölln. Auch seine Mitschülerin Lea wusste nicht viel mit sich anzufangen. „Ich habe mich einfach immer mit Leuten in den Gropius Passagen getroffen und da herumgesessen“, sagt die 15-Jährige. „Das war manchmal auch ganz schön langweilig, weil wir gar nicht richtig wussten, was wir machen sollen.“ Mittlerweile verbringen die beiden Teenager ihre Freizeit vor allem auf dem Fußballplatz. Sie gehören zu den 16 Jugendmannschaften des Fußballvereins SV Stern Britz.

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„Eigentlich bin ich fast jeden Tag hier“, sagt Omar, „auch an den Tagen, an denen ich gar kein Training habe.“ Im Stadion An der Windmühle am Buckower Damm, dem Vereinssitz von Stern Britz, trifft Omar seine Freunde. Dilay (14), Zara (15), Lea (15), Milo (14), Kerim (15) und viele andere. „Irgendwer ist immer da, mit dem man ein bisschen kicken oder auch einfach quatschen kann“, sagt er.

Stern Britz ist der zweitälteste Amateur-Verein Deutschlands, hier trainieren Fußballbegeisterte aus 60 Nationen. „Ich trainiere mit Jugendlichen aus Syrien, der Türkei, Serbien, Marokko, Deutschland und vielen anderen Ländern“, sagt Oliver Kerßebaum, der bereits seit mehr als 30 Jahren in unterschiedlichen, ehrenamtlichen Funktionen im Berliner Sport aktiv ist.

In seiner Jugend hat Kerßebaum selbst bei Stern Britz gespielt, wechselte dann für eine Weile zum Handball, heute trainiert er am Buckower Damm die A-Jugend. Und außerdem arbeitet er noch an Konzepten, wie Fußball Jugendlichen dabei helfen kann, den richtigen Weg im Leben zu finden.

Auf dem Fußballplatz von Stern Britz sind alle Jugendlichen gleich

„Natürlich gibt es bei so vielen unterschiedlichen Menschen auch hier mal Konflikte und Streit“, sagt er, „ich hatte hier auch schon Jugendliche, die mir Prügel angedroht haben oder richtig ausgeflippt sind.“ Doch das sieht Kerßebaum recht gelassen. „90 Prozent der Jugendlichen sind völlig in Ordnung“, sagt er, „es sind immer nur wenige, die richtig über die Stränge schlagen, und gerade um die müssen wir uns dringend kümmern.“

Das habe auch Silvester gezeigt, als an einigen Orten in Berlin die Gewalt eskalierte, Jugendliche Polizisten und Rettungskräfte angriffen und Autos in Brand steckten. „So etwas ist immer schlimm“, sagt Kerßebaum, „aber ich bin mir sicher, das waren Jugendliche, die keinen Halt haben und nichts zu tun. Auf solche Ideen würden meine Jungs hier nicht kommen, da bin ich mir sicher.“

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Grundsätzlich gehörten Aggressionen für ihn aber zum Erwachsenwerden auch dazu und es müsse auch möglich sein, sie mal herauszulassen. Allerdings nach bestimmten Regeln. „Auf dem Fußballplatz können die Kinder das wunderbar lernen“, sagt Kerßebaum. „Hier sind alle Jugendlichen gleich, finden Anerkennung, werden kritisiert, lernen mit einer Niederlage umzugehen und freuen sich gemeinsam über einen Sieg.“ Es gelte immer Fairplay. „Solche Erfahrungen können Kinder in Sportvereinen sammeln, sie sind wichtig für das ganze Leben“, sagt er.

Kerßebaum würde gern noch viel mehr Jugendlichen diese Möglichkeit geben. „Unsere Warteliste ist lang“, sagt er, „aber wir können nicht mehr Jugendliche aufnehmen, dafür fehlen uns einfach die Gelder und die Betreuer.“

In der gemeinnützigen Gesellschaft sollen auch Sozialarbeiter arbeiten

Ein Problem, das fast alle Berliner Fußballvereine haben, vor allem in den Innenstadtbezirken. Um mehr Gelder vom Bezirk bekommen zu können, will Kerßebaum den Fußballverein Stern Britz nun erweitern und eine GgmbH gründen. „Die Britzer Sterne wird sie heißen“, sagt Kerßebaum. „Dadurch können wir dann auch Sozialarbeiter einstellen und die Jugendlichen viel umfänglicher betreuen“, erläutert Kerßebaum. „Die Jugendlichen können hier dann Sport ohne Leistungsdruck machen, finden aber auch Unterstützung in anderen Bereichen wie zum Beispiel mit der Schule oder auch im sozialen Miteinander. Wir verbinden also sportliche und pädagogische Kompetenz miteinander.“

Unterstützung für diese Idee findet Kerßebaum bei Nina Lerch, SPD-Direktkandidatin in Britz und Buckow und Mitglied des Abgeordnetenhauses. Sie hat in ihrer Jugend selbst aktiv Basketball gespielt. Das Vorhaben, Sportvereine weiterzuentwickeln, gefällt ihr gut. „Wenn wir die Jugendlichen erreichen wollen, müssen wir dahin gehen, wo sie gerne sind“, sagt Lerch, „das klappt über Sport meistens sehr gut.“ Ihr ist wichtig, dass die Sportvereine bei der Diskussion um Integration und Jugendgewalt nicht vergessen werden. „Sie brauchen Unterstützung bei dem was sie leisten“, sagt Lerch, „manchmal reichen da schon Kleinigkeiten.

Verein Stern Britz fühlt sich oft wie im Kampf gegen Windmühlen

So hat Lerch sich zum Beispiel dafür eingesetzt, dass die Bäume am Fußballplatz beschnitten werden, damit das Flutlicht zum Training ausreicht. Auch um die verrotteten Bänke auf dem Gelände hat sie sich gekümmert, damit die Jugendlichen auch mal irgendwo sitzen können.

„So etwas hilft uns schon“, sagt Kerßebaum, „denn wenn wir allein mit den Verantwortlichen im Bezirk reden, ist es ein Kampf gegen Windmühlen“, sagt er. Das zeigen auch die Umkleidekabinen, die seit Jahren in einem Zustand sind, dass sie kaum benutzt werden können.

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Auch Jugendliche des Vereins Stern Britz bringen gern Ideen ein

Noch schlimmer sind die Duschen: In einem der Duschräume wurde alles herausgerissen, um zu sanieren. Doch dann fehlte das Geld und die Baustelle blieb einfach so – mittlerweile seit Jahren. In den anderen Duschen gibt es auch nur kaltes Wasser, wenn überhaupt. „Es ist schon schwer, den Kindern Wertschätzung beizubringen, wenn sie solche Bedingungen vorfinden“, sagt Kerßebaum, „dabei ist das Gelände hier eigentlich toll und bietet viele Möglichkeiten.“

Auch die Jugendlichen selbst haben viele Idee, wie ihr Lieblingsort noch schöner werden könnte. „Wenn wir einen gemütlichen Raum hätten, das wäre toll“, sagt Dilay zum Beispiel. „Dann müssten wir uns im Winter nicht immer so viel draußen treffen.“