Prozess

Haftstrafe nach rechtsextremen Straftaten in Neukölln

| Lesedauer: 4 Minuten
Im Februar 2018 stand das Auto des Linke-Politikers Ferat Kocak in Flammen. Als tatverdächtig gelten Anhänger der Neuköllner Neonazi-Szene. Den Sicherheitsbehörden lagen Hinweise auf den Anschlag vor. Gewarnt wurde Kocak dennoch nicht.

Im Februar 2018 stand das Auto des Linke-Politikers Ferat Kocak in Flammen. Als tatverdächtig gelten Anhänger der Neuköllner Neonazi-Szene. Den Sicherheitsbehörden lagen Hinweise auf den Anschlag vor. Gewarnt wurde Kocak dennoch nicht.

Foto: Ferat Kocak

Ein 36-Jähriger wurde verurteilt. Jedoch blieb die Generalstaatsanwaltschaft erneut in einem zentralen Punkt ihrer Anklage erfolglos.

Berlin.  Einer der beiden Hauptangeklagten im Prozess um eine Serie rechtsextremer Straftaten in Berlin-Neukölln soll für eineinhalb Jahre in Haft. Das Amtsgericht Tiergarten hat den 36-Jährigen am Dienstag wegen Sachbeschädigung und Betrugs verurteilt. Vom Vorwurf der Brandstiftung - dem zentralen Punkt der Anklage - wurde aber auch er freigesprochen. Es gebe Indizien, sagte Richterin Ulrike Hauser am Dienstag. Für eine zweifelsfreie Verurteilung habe das dem Gericht aber nicht gereicht. „Es fehlt ein Indiz, dass das alles zusammenbringt“, so die Richterin.

Der zweite Hauptangeklagte (39) war bereits im vergangenen Dezember vom Hauptvorwurf der Brandstiftung freigesprochen worden. Ihn verurteilte das Gericht lediglich wegen Sachbeschädigung in neun Fällen zu einer Geldstrafe von 4500 Euro (150 Tagessätze zu je 30 Euro). Für eine Beteiligung an den Brandanschlägen auf zwei Autos von Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, hat das Gericht bei keinem der Männer genügend Beweise gesehen. An einer rechten Gesinnung der beiden - einer war früher in der NPD, der andere im AfD-Vorstand - hatte es aber keine Zweifel.

Gericht: 36-Jähriger verantwortlich für 27 Sachbeschädigungen mit rechtsextremistischen Inhalt

Überzeugt ist das Gericht auch, dass der 36-Jährige verantwortlich ist für 27 Sachbeschädigungen mit rechtsextremistischen Inhalt oder Bedrohungen, mit denen Menschen eingeschüchtert werden sollten. Zudem hat sich der selbstständige Gärtner laut Urteil des Betrugs schuldig gemacht. Der Staat habe die Miete für seine Wohnung gezahlt, weil er verschwiegen habe, dass er mit seiner Partnerin zusammenlebe. Außerdem bekam der 36-Jährige zu Unrecht Corona-Hilfe. Das Gericht ordnete die Einziehung von insgesamt rund 16.450 Euro an.

Angesichts des aus seiner Gesinnung resultierenden Verhaltens und früherer Vorstrafen sah das Gericht keinen Grund, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Es gebe keine günstige Sozialprognose, meinte Richterin Hauser. „Es geht so weiter. Da hat sich nichts geändert.“ Derzeit befindet sich der 36-Jährige auf freiem Fuß. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Linke-Politiker zeigt sich enttäuscht

Der Linke-Politiker und Nebenkläger Ferat Kocak, dessen Wagen in der Nacht zum 1. Februar 2017 in Flammen aufging, zeigte sich vom Prozess enttäuscht. „Ich will keinen Hehl daraus machen, dass dieses Urteil mich nicht überrascht“, sagte er am Dienstag. Von Anfang an habe es seitens der Strafverfolgungsbehörden Versäumnisse gegeben. Es sei „unerträglich“, dass niemand für den Anschlag zur Verantwortung gezogen worden sei. „Mein Vertrauen in Staat und Justiz ist schwer geschädigt.“

Die Generalstaatsanwaltschaft hat gegen das erste Urteil Berufung eingelegt. Im aktuellen Prozess hatte sie insgesamt vier Jahre Haft gefordert. Wie schon im Fall des mutmaßlichen Komplizen hatten die Oberstaatsanwältinnen Pamela Reinsdorff und Eva-Maria Tombrink detailliert ihre Indizienkette vor Gericht erläutert.

Ihre Erkenntnisse stützten sie vor allem auf die Auswertung von Daten aus sichergestellten Handys und Laptops. Eine Liste mit Daten von mehr als 500 Menschen galt etwa als Indiz dafür, dass die Angeklagten politische Gegner ausspionierten. Der Berliner Verfassungsschutz war den Männern damals auf den Fersen - doch kurz vor den Brandanschlägen hörte die Beobachtung auf.

Neukölln: Rechtsextremen Anschläge beschäftigen Polizei und Justiz seit Jahren

Die rechtsextremen Anschläge - vor allem zwischen 2016 und 2019 - beschäftigen Polizei und Justiz seit Jahren. Mehr als 70 rechtsextreme Straftaten hatten die Ermittlungsbehörden seit 2013 in Neukölln gezählt. Erst 2021 erhob die Generalstaatsanwaltschaft Anklage. Diese erfasste nur einen Bruchteil der Vorfälle, zentraler Vorwurf war die Brandstiftung auf die zwei Autos. Ursprünglich waren fünf Männer angeklagt. In den vergangenen Monaten waren diese bereits zu Geldstrafen wegen Sachbeschädigung verurteilt worden.

Mit den rechtsextremen Brandanschlägen, Hass-Parolen und Bedrohungen in Neukölln beschäftigt sich auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses.

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( dpa )