Rechtsextremismus

Neonazi-Anschläge: U-Ausschuss kurz vor dem Start

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Auch auf das Auto eines Neuköllner Buchhändlers war im Februar 2018 ein Anschlag verübt worden – mutmaßlich von Neonazis

Auch auf das Auto eines Neuköllner Buchhändlers war im Februar 2018 ein Anschlag verübt worden – mutmaßlich von Neonazis

Foto: Berliner Morgenpost

Ein Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus soll die rechtsextreme Anschlagsserie in Neukölln aufarbeiten.

Berlin. Die Arbeit von Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft im Fall der rechtsextremen Neuköllner Anschlagsserie wird schon bald von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss geprüft. Wie Vertreter von SPD, Grünen und Linke auf Anfrage der Berliner Morgenpost bestätigten, einigten sich die Fraktionen auf einen Beschluss zur Einsetzung des Gremiums.

Die Koalition will den Antrag am Donnerstag kommender Woche in erster Lesung in das Plenum des Abgeordnetenhauses einbringen. Nach der weiteren Beschlussfassung könnte der Ausschuss im Mai oder Juni die Arbeit aufnehmen.

Rot-Grün-Rot hatte schon im Koalitionsvertrag verabredet, die Arbeit der Sicherheitsbehörden in einem Untersuchungsausschusses aufzuarbeiten. Die Fachpolitiker verständigten sich nun auf einen weit gefassten Untersuchungsauftrag. So beginnt der Untersuchungszeitraum bereits mit dem Jahr 2009. Die als Neuköllner Anschlagsserie bezeichnete Reihe dicht aufeinander folgender Straftaten begann dagegen erst Mitte 2016.

SPD-Führung ursprünglich gegen U-Ausschuss

Der weit gefasste Untersuchungsauftrag geht vor allem auf den Wunsch von Grünen und Linke zurück. Die Spitze der SPD, die mit Andreas Geisel in der vergangenen und Iris Spranger in der laufenden Legislaturperiode die Führung des Innenressorts stellte, hatte einen Untersuchungsausschuss dagegen ursprünglich gänzlich abgelehnt.

Nachdem die SPD-Basis auf einem Parteitag dafür votiert hatte, befürworten nun auch SPD-Fachpolitiker das Gremium.

Die elf noch zu wählenden Mitglieder des Ausschusses sollen dem Einsetzungsbeschluss zufolge auch von Medien aufgedeckte Versäumnisse der Behörden untersuchen, etwa die ausgebliebene Warnung des Linke-Politikers und Anschlagsopfers Ferat Koçak, die mutmaßlichen Verstrickungen von Polizisten in die rechte Szene oder den – von der Polizei dementierten – Verdacht, ein Beamter könne sich in einer Gaststätte mit einem der Hauptverdächtigen der Anschlagsserie getroffen haben.

Prüfen wollen die Parlamentarier auch etwaige Zusammenhänge zwischen der Anschlagsserie und bis heute unaufgeklärten Tötungsdelikten, denen im Jahr 2015 der damals 31-jährige Brite Luke Holland und 2012 der damals 22-jährige Burak Bektaş zum Opfer fielen.

Neonazis vermutlich bald vor Gericht

Die Neuköllner Straftatenserie umfasst mehr als 70 zwischen Juni 2016 und März 2019 verübte Straftaten gegen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Darunter waren auch diverse Anschläge auf Autos. Die Neoanzis Sebastian T. und Tilo P. müssen sich wegen einiger Taten als Hauptverdächtige vermutlich bald vor Gericht verantworten.

Die Behördenversäumnisse bei der Aufklärung der Serie waren bereits Gegenstand mehrerer Prüfberichte von Polizei und Innenverwaltung. Die Polizei hatte einen Bericht der Sonderkommission „Fokus“ veröffentlicht. Der einstige Bundesanwalt Herbert Diemer und die frühere Eberswalder Polizeipräsidentin Uta Leichsenring hatten im Mai vergangenen Jahres in einem Bericht im Auftrag der Innenverwaltung Defizite benannt.

Linke-Politiker: „Wird kein Wohlfühlausschuss“

Der SPD-Politiker Florian Dörstelmann, der voraussichtlich den Vorsitz des Ausschusses übernehmen wird, begrüßte den nun vorgelegten Antrag für den Untersuchungsausschuss. „Wir haben einen präzisen Einsetzungsauftrag formuliert“, sagte Dörstelmann.

Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Vasili Franco betonte, die Abgeordneten betrachteten sich nicht als die „besseren Ermittler“. „Mit der Einsetzung des Ausschusses zeigen wir den Betroffenen der Straftaten und der Zivilgesellschaft, dass wir nicht wegsehen“, sagte Franco.

Der Innenexperte der Linke, Niklas Schrader sprach von einem „breit angelegten Untersuchungsauftrag“, in dem Betroffene der Serie sich wiederfinden könnten. „Das wird kein Wohlfühlausschuss und für die Behörden wird es sicher nicht immer angenehm werden“, sagte Schrader.