Brandstiftung

Behörde hat kriminelle Clan-Strukturen im Visier

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Alexander Dinger und Nina Kugler
Mitarbeiter der Feuerwehr löschen die brennenden Fahrzeuge, die auf einem gesicherten Gelände geparkt waren.

Mitarbeiter der Feuerwehr löschen die brennenden Fahrzeuge, die auf einem gesicherten Gelände geparkt waren.

Foto: Morris Pudwell

Brandanschlag auf Neuköllner Ordnungsamt: Erst ein Knall, dann ein Großfeuer - in Mitte gibt es eine Debatte über das Polizeivorgehen.

Berlin. Bislang unbekannte Täter haben in der Nacht zu Montag einen Brandanschlag auf das Neuköllner Ordnungsamt an der Juliusstraße verübt. Bei der Attacke wurden neun Autos zerstört. Der Schaden beträgt laut Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) mehr als 200.000 Euro. Die Polizei hat inzwischen den Staatsschutz eingeschaltet und prüft, ob hinter dem Brandanschlag eine politische Motivation stecken könnte. Auch Bezüge zur Organisierten Kriminalität werden geprüft, denn seit Monaten geht der Bezirk in großen behördenübergreifenden Einsätzen gegen kriminelle Großfamilien und die Wettmafia vor.

Ein Anwohner hatte in der Nacht einen lauten Knall gehört und den Notruf gewählt. Als die Feuerwehr eintraf, standen die Fahrzeuge bereits in Flammen. Nach Informationen der Berliner Morgenpost müssen die Täter sehr schnell und zielgerichtet vorgegangen sein. Denn das Gelände ist nicht frei zugänglich, sondern von einer Mauer umgeben und mit Stacheldraht gesichert. Zudem gibt es einen Wachschutz, und die Polizei fährt regelmäßig Streife. Wie genau die Täter auf das Gelände gelangten, ist Gegenstand der Ermittlungen. Ein Polizeisprecher wollte mit Verweis auf mögliches Täterwissen keine weiteren Angaben machen. Gespannt warten die Ermittler auch auf die Auswertung der Brandursache. Denn noch ist unklar, wie es den Angreifern gelang, so viele Fahrzeuge in so kurzer Zeit in Brand zu stecken.

Die Feuerwehr, die mit 40 Kräften vor Ort war, hatte nach ersten Angaben Mühe, auf das Gelände zu kommen. Die Flammen drohten zeitweise auch auf ein Gebäude überzugreifen. Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) kam kurz darauf ebenfalls an den Ort des Geschehens. Er zeigte sich beim Anblick der ausgebrannten Wracks entsetzt. „Es handelt sich um einen gezielten Brandanschlag gegen das Ordnungsamt, den ich aufs Schärfste verurteile“, erklärte Hikel. „Uns liegen derzeit keinerlei Informationen zum Hintergrund und den Motiven dieses Anschlags vor.“

Von dem Brandanschlag ist der gesamte Fuhrpark des Ordnungsamts Neukölln betroffen. Es handelt sich um neun Fahrzeuge – darunter ein Transporter und ein E-Auto, das sich noch in der Testphase befand. Noch in der Nacht fing Hikel an, Ersatz zu organisieren.

Der Kreis möglicher Täter ist in Neukölln sehr groß

Die Ermittlungen könnten sich allerdings als schwierig erweisen. Von der Tat gibt es offenbar keine Videoaufzeichnungen. Und der Kreis potenzieller Täter ist in Neukölln sehr groß. Neben einer aktiven linksextremen Szene, die gegen die Schließung mehrerer Szeneobjekte mobilisiert, gab es in Neukölln in der Vergangenheit auch zahlreiche mutmaßlich rechtsextreme Brandanschläge auf Gewerkschafter, Buchhändler und Politiker. Ein Bekennerschreiben zu dem Brandanschlag war bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht aufgetaucht. Auch eine Attacke aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität wird in Betracht gezogen. Denn zuletzt gab es in Neukölln zahlreiche Razzien. Das Ordnungsamt gilt als eines der aktivsten in ganz Berlin, was auch erklären könnte, warum das Amt als Zielscheibe dient und nicht die Polizei, die oft Amtshilfe leistet.

So hatte das Neuköllner Ordnungsamt erst am vergangenen Wochenende mit der Polizei und der Steuerfahndung Einsätze durchgeführt, die sich gegen kriminelle Clan-Strukturen im Bezirk richten. Dabei wurden Lokale, Shisha-Bars und Wettbüros kontrolliert und zahlreiche Verstöße festgestellt. Diese Großeinsätze finden nahezu wöchentlich statt und sorgen für Unruhe in der Szene. Ermittler beobachten, dass Kriminelle bereits auf andere Stadtteile ausweichen, weil der Verfolgungsdruck in Neukölln derzeit zu groß ist.

Die Attacke bewegt unterdessen auch die Bundespolitik. Die frühere Bezirksbürgermeisterin und heutige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) reagierte mit Empörung auf den Brandanschlag: „Ich bin fassungslos, wieder einmal sind die angegriffen worden, die sich für Sicherheit und Ordnung in der Stadt einsetzen“, schrieb sie am Montag bei Facebook. Das Ordnungsamt setze jeden Tag vor Ort Regeln durch, die für alle gelten würden, „weil davon unser funktionierendes Gemeinwesen abhängt“. „Ich weiß, welchen harten und guten Job sie machen. Meine volle Solidarität gilt Euch. Lasst Euch nicht unterkriegen! Wir machen weiter – jetzt erst recht.“

CDU-Fraktionschef Burkard Dregger forderte eine schnelle Aufklärung der Brandattacke, weil der Verdacht naheliege, es könnte sich um einen Racheakt krimineller Clans handeln. „Wir müssen die Sicherheitsvorkehrungen dringend verbessern – vor allem durch die Stärkung der Polizeirechte wie die Telefonüberwachung gegen Clans und Videoaufklärung“, teilte er mit.

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