Berliner Stadtentwicklung

Ein Wolkenkratzer für die Karl-Marx-Straße

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Christine Eichelmann
Auf dem lange brachliegenden Areal zwischen Bahngleisen, Hertabrücke, Ringbahnstraße und Karl-Marx-Straße könnte ein Häuserriegel mit rund 500 Wohnungen entstehen

Auf dem lange brachliegenden Areal zwischen Bahngleisen, Hertabrücke, Ringbahnstraße und Karl-Marx-Straße könnte ein Häuserriegel mit rund 500 Wohnungen entstehen

Foto: Hans Wehrhahn Architekten / BM

Eine städtebauliche Studie sieht Wohnen und Gewerbe auf dem ehemaligen Güterbahnhof Neukölln vor. Der Bezirk ist aufgeschlossen.

Als 1969 das Ideal-Wohnhaus von Walter Gropius in der gleichnamigen Großsiedlung fertiggestellt war, wurde Neukölln damit Halter eines Berliner Rekordes: Das fast 100 Meter hohe Gebäude galt als das höchste Wohnhaus der Stadt. Jetzt könnte der Bezirk einen neuen Wolkenkratzer bekommen, in dem auch gewohnt werden soll. Mit 25 Stockwerken – sechs weniger als im Ideal-Wohnhaus und so viele wie im Kollhoff-Tower am Potsdamer Platz – plant das Architektenteam Hans Wehrhahn und Stephan Niewolik einen Turm am Rande eines Neubauensembles, das dem Gelände des früheren Güterbahnhofs Neukölln eine neue Bestimmung soll.

Auf dem lange brachliegenden, rund zwei Hektar großen Areal zwischen Bahngleisen, Hertabrücke, Ringbahnstraße und Karl-Marx-Straße könnte laut einer städtebaulichen Studie ein Häuserriegel mit rund 500 Wohnungen entstehen. Mindestens ein Viertel würde entsprechend den Vorgaben des Landes Mietern mit schmalem Budget vorbehalten. Im östlichen Bereich an der Karl-Marx-Straße ist Raum für Büros, Dienstleistung und Handel vorgesehen. So soll der bestehende Biomarkt im Neubau wieder Platz finden.

Hochhäuser bisher nur an drei Standorten in Berlin

Bei der Präsentation im Stadtplanungsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ernteten die Entwürfe grundsätzlich Zustimmung. Umstritten ist aber die Bauhöhe: Neben dem mit etwa 100 Meter Höhe konzipierten Büroturm an der Karl-Marx-Straße, in dem in den oberen Etagen auch gewohnt werden soll, sieht der Plan am Westende des Ensembles einen weiteren vertikalen Akzent vor. 15 Stockwerke oder rund 50 Meter hoch, würde sich ein reines Wohn-Hochhaus an der Hertabrücke deutlich über der angrenzenden Bebauung erheben.

„Städtebaulich vorstellbar“ nennt Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann den Turm an der Karl-Marx-Straße. „Mit dem Hochhaus an der Hertabrücke tue ich mich deutlich schwerer“, so der Grünen-Politiker zur Berliner Morgenpost. Ähnlich die Resonanz im Stadtplanungsausschuss: Ein derart exponierter Bau werde als zu wenig in die Umgebung integriert empfunden, resümiert der stellvertretende Vorsitzende Peter Scharmberg (SPD). Er gehe von einem „großen Interesse und Gesprächsbedarf im Kiez aus, auch hinsichtlich der Frage, ob die Türme ins Stadtbild passen“, sagt auch Scharmbergs Neuköllner Parteigenosse im Abgeordnetenhaus, Joschka Langenbrinck.

Ganz alleine entscheiden kann Neukölln eine solche Veränderung des Stadtraumes ohnehin nicht. Wolkenkratzer wie der 100-Meter-Turm an der Karl-Marx-Straße müssen vom Baukollegium des Landes abgesegnet werden. „Derzeit gibt es in Berlin drei klare Hochhausstandorte: den Potsdamer Platz, die City West und den Alexanderplatz“, sagt Katrin Dietl, Sprecherin von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke). Ein neues Hochhaus-Leitbild befinde sich im frühen Entwicklungsstadium, „sodass zu weiteren potenziellen Hochhausstandorten keine Aussage getroffen werden kann“.

Auf Landesebene sei der Entwurf allerdings bereits vorgestellt worden, sagt Architekt Hans Wehrhahn. Sein Büro zeichnet für etliche Bauten in Berlin verantwortlich, darunter Teile des Columbia-Quartiers in Tempelhof und der Wasserstadt Spandau oder das nachts auffällig leuchtende Gebäude der Ideal-Versicherung am Checkpoint Charlie. Verhandlungen mit Berlins Baubehörden sind für ihn somit kein Neuland.

Mix preisgebundener sowie höherpreisiger Wohnungen

Mit den Neuköllnern wollen die Planer, die im Auftrag der Berliner ENCA Group Development GmbH als Investoren arbeiten, frühzeitig das Gespräch suchen. Marlis Fuhrmann (Linke), Vorsitzende des Neuköllner Stadtplanungsausschusses, findet bereits die Riegelbauten zwischen den Hochhäusern diskussionswürdig. „Auch das parallel zu den Gleisen verlaufende Gebäude würde die Gründerzeitbebauung deutlich überragen“, gibt Fuhrmann zu bedenken. Sieben Etagen plus Staffelstockwerk soll die zur Bahn hin geschlossene Baulinie bekommen. Gegenüber, wo sich die Häuserfront durch sechs Wohnhöfe zur Ringbahnstraße öffnet, sollen es fünf Etagen plus Staffelgeschoss sein. Die acht bis 25 Meter Abstand zu den Gleisen sollen begrünt und eventuell öffentlicher Fahrradweg werden. Noch unbekannt ist, ob die Bahn einen Schallschutz errichtet.

Wichtig sei ihnen ein Mix preisgebundener sowie höherpreisiger Wohnungen, sagt Hans Wehrhahn. Eigentumswohnungen solle es nicht geben, geplant sei dagegen eine Kita. Wie wichtig der Mietwohnungsbau gerade im niedrigpreisigen Segment für Neukölln sei, betonen ebenso der Stadtrat und die BVV-Vertreter. Der Bezirk war vom Land bereits gerügt worden, dort gehe es mit neuem Wohnraum nicht schnell genug voran. Das Wehrhahn-Konzept, das auch die Verkehrsinfrastruktur oder Aspekte wie den Sonneneinfall einbezieht, sei sehr umfassend, lobt SPD-Politiker Scharmberg. „Durch die günstige Lage“, sagt Architekt Wehrhahn, „wird selbst von den Hochhäusern kein Gebäude verschattet.“

Neue Arbeitsplätze, aber auch ein Ärztezentrum im Büroturm könnten für Nord-Neukölln eine positive Entwicklung sein, so Scharmberg. Erstmals öffentlich vorgestellt wird das Konzept für den Güterbahnhof am 12. Juli, 18 bis 20 Uhr, in der Silbersteinschule, Silbersteinstraße 42–46, Neukölln.