Wohnen in Berlin

Neukölln ist im Norden hip und im Süden kinderfreundlich

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Stefan Kirschner

Foto: Christian Kielmann

Neukölln ist ein Bezirk der Gegensätze. Der Norden zieht Kreative aus aller Welt an und gilt als Szene-Hochburg. Die Mieten steigen stetig. Der beschauliche Süden ist günstiger und zieht Familien an.

Der U-Bahnhof Schönleinstraße ist nicht gerade das, was man sich gemeinhin unter einem hippen Entree vorstellt: Die blassblauen Kacheln haben schon bessere Zeiten erlebt, einige Fliesen sind abgefallen, die Löcher nicht mal notdürftig kaschiert.

Ein Paar geht beherzt in die Hocke und greift zum Kinderwagen, der samt Nachwuchs die Treppe hochgetragen wird. Am Ausgang gibt es keine aktuellen Informationen, hier hängen nur noch Fetzen von Plakaten.

Oben, auf dem Kottbusser Damm, sind dann aber deutliche Anzeigen einer Gentrifizierung zu sehen: Ein Sushi-Restaurant, das an dieser Stelle zwar schon lange existiert, länger, als es den Trend zu japanischer Kost gibt, aber so schick aufgemacht war „Musashi“ früher nicht.

Ein Reformhaus ganz in der Nähe wirbt im Schaufenster mit einer Kuh, die in einer Sprechblase verkündet, dass sie Vegetarier liebt. „99 % unserer Produkte sind vegetarisch oder vegan!“, steht daneben.

Gegenüber, in unmittelbarer Nachbarschaft des Bruno-Taut-Hauses mit seiner wunderbar weiß-dunkel strukturierten Fassade, kontert der Edeka-Markt mit dem mehrfachen Hinweis auf „Bio“.

Das ist zwar schon die Kreuzberger Seite, der Damm trennt beide Bezirke. Doch die gehen hier ineinander über – in vielfacher Weise.

>> Interaktive Grafik: So stark steigen die Mieten in Berlins Kiezen <<

Als Kreuzkölln wird dieser Bereich bezeichnet. Der Norden wird vom Kanal begrenzt und anders als das gegenüberliegende Maybachufer weniger von der Sonne verwöhnt. In Kreuzkölln gibt es Galerien, charmante Cafés und sympathische Designläden mit Namen wie „Kollateralschaden“, aber auch noch Geschäfte mit „internationaler Mode“, in denen Röcke, Jäckchen und Pullover für fünf bis zehn Euro angeboten werden.

Auf dem Kottbusser Damm/Ecke Bürknerstraße stehen drei junge Männer. Sie sprechen Englisch und tragen gepflegte Vollbärte, sehen ein bisschen so aus wie die Musiker von The National in ihren haarigsten Zeiten. Gibt man den Namen dieser Seitenstraße bei Google ein, bekommt man als erstes ein Mitwohnangebot angezeigt: „A room in a 3 room-apartment (3 rooms in a shared flat) 85 sq.m. at the corner of Kreuzberg/Neukölln. Lovely neighbourhood. W-LAN internet. Nice guestroom...“

Mieten im Neuköllner Norden steigen seit Jahren

Dieser nördliche Bereich von Neukölln ist der teuerste des Bezirks. Bei Neuvermietungen liegt die durchschnittliche monatliche Kaltmiete mittlerweile bei 10,37 Euro pro Quadratmeter, ausgewertet wurden 295 Angebote. Das geht aus dem Wohnmarktreport Berlin hervor, den der Immobiliendienstler CBRE und die Berlin Hyp vorgestellt haben. Darin vergleichen Analysten für jeden Bezirk, wie sich die Mieten entwickeln: „Neuköllns internes Gefälle verstärkt sich weiter: In den meisten Altbauquartieren im Norden des Bezirks stiegen die Angebotsmieten 2014 genau wie in den Vorjahren stärker an als im stadtweiten Durchschnitt“, schreiben die Autoren. Kaltmieten um zehn Euro pro Quadratmeter werden „nunmehr auch um die nördliche Sonnenallee sowie um die Hermannstraße West erreicht“. Gleichzeitig gehören die Wohnungen im gesamten Nordneuköllner Gebiet mit „mittleren Größen von 49 bis 54 Quadratmetern“ zu den kleinsten im Berliner Vergleich. Die Haushaltskaufkraft, also das Geld, das ein Haushalt zur Verfügung hat, liegt mit Werten zwischen 2400 bis 2700 Euro „deutlich unter dem Berliner Mittelwert“.

Ein Kiez verändert sich. Thomas Britzke gehört zu den Alteingesessenen. Er betreibt einen Zeitungskiosk an der Bürknerstraße. In den Ständern vor dem Laden stecken nicht nur deutsche Zeitungen, sondern auch mehrere Ausgaben der spanischen „El Pais“, der französischen „Le Monde“, außerdem Druckerzeugnisse aus Italien, den Niederlanden und weiteren Ländern. Die habe er schon lange im Angebot, sagt Britzke, weil die entsprechenden Käufer hier leben würden. Britzke selbst wohnt um die Ecke, er hat noch einen alten Mietvertrag, zahlt also einen vergleichsweise moderaten Zins. Über den Wandel ist er sehr froh. Es sei „viel sicherer geworden, die Jugendbanden sind weg“. Die hätten die Leute belästigt, da sei man abends nicht gern auf die Straße gegangen. So vor zehn Jahren habe sich der Wind gedreht, angeschoben durch das Quartiersmanagement.

Mit der U7 vom Hermannplatz Richtung Rudow

Auch Claudia Wiedemer hat den Wandel erlebt. „Als wir vor zwölf Jahren hergezogen sind, wurde auf der Straße viel Türkisch gesprochen, heute sind viel mehr Touristen da, man hört auch viel Englisch und Spanisch.“ Sie mag das internationale Flair, fühlt sich heimisch im Kiez. Klar, nach zwölf Jahren kennt man die Verkäufer im Supermarkt, den Imbissbuden-Betreiber und natürlich auch die „Ankerklause“, eine der angesagten Locations in Kreuzkölln, wo sich die freiberufliche Schauspielerin gelegentlich ein Frühstück gönnt, um sich auf eine abendliche Premiere vorzubereiten. Aber auch die Schattenseiten der Veränderung hat die Künstlerin kennengelernt. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in einer Dreizimmerwohnung. Sie hätten gern ein paar Quadratmeter und ein Zimmer zusätzlich gehabt, aber das hätte im Kiez gleich 400 Euro mehr gekostet, sei also nicht zu finanzieren gewesen, sagt Claudia Wiedemer.

Steigt man am Hermannplatz in die U-Bahn-Linie 7 Richtung Rudow, kann man eine kleine Weltreise unternehmen. Und bleibt doch im Bezirk. Auch die Endstation gehört zu Neukölln. Geht man noch ein bisschen weiter Richtung Stadtrand, kommt man an schmalen Straßen und vielen Einfamilienhäusern vorbei. In den 70er-Jahren boomte Rudow, viele West-Berliner verwirklichten hier ihren Traum vom Einfamilienhaus. Leben im Vorort. Mittlerweile zieht es auch bildungsnahe Schichten aus Nordneukölln in den Süden, Familien mit türkischen Wurzeln, die ihren Kinder die Integration erleichtern wollen, indem sie sie auf Schulen schicken, in denen deutsche Muttersprachler in der Mehrheit sind.

In 12355 Berlin liegt die Kaltmiete bei sieben Euro pro Quadratmeter

Ganz am Stadtrand, da dominieren die Frauen. Dort, wo früher die Rudower Kinder im Schatten der Mauer ihre Freifläche und damit eine Spielwiese zum Austoben hatten, steht nun ein Neubaugebiet. Das Frauenviertel, denn die neuen Straßen tragen weibliche Namen wie den der ehemaligen CDU-Politikerin Liselotte Berger, nach der auch der zentrale Platz benannt ist, der an diesem Donnerstagmittag ein wenig öde wirkt. Eine große Freifläche, auf der sich niemand austobt. Es gibt sehr viele Parkplätze.

Bei sieben Euro pro Quadratmeter liegt laut CBRE-Report hier, also im Postleitzahlenbezirk 12355, die durchschnittliche Nettokaltmiete. Das Spektrum reicht von 5,61 bis 9,78 Euro. Die Kaufkraft je Haushalt beziffern die Autoren auf knapp 3400 Euro, Platz 36 im Berliner Gesamtranking. Allerdings fließen in diesen Wert auch die Einfamilienhausbewohner ein, die wahrscheinlich über mehr Geld verfügen als die Mieter im Frauenviertel.

Neuköllns Süden ist besonders kinderfreundlich

Einen Wochenmarkt auf dem großen Platz gibt es nicht, bedauert Nicole Seidenberg, die seit ein paar Jahren als Mieterin im Frauenviertel lebt, das von drei- bis viergeschossigen Reihenhäusern geprägt ist. Auch den Anschluss ans öffentliche Nahverkehrsnetz findet sie verbesserungswürdig, der U-Bahnhof Rudow liegt doch ein Stückchen entfernt.

Dafür gibt es ortsnah: Kindertagesstätte, Grundschule, Gymnasium und sogar eine Musikschule. Und einen Abenteuerspielplatz, der zu den begehrtesten in Berlin gehört. Kiana, die sechsjährige Tochter von Nicole Sandberg, hat Ferien und tobt gerade in der Ritterburg herum. Auf dem kleinen Rodelhang war sie in den vergangenen Tagen auch schon, nun liegt dort zu wenig Schnee. Für Kinder eine Oase. Viele Freunde aber ziehen noch weiter raus, nach Brandenburg, sagt Nicole Sandberg. Denn die Mieten und die Nebenkosten, die würden auch hier weiter steigen.