Berliner Museen

Otto Weidt: Ein mutiger Kleinfabrikant in Berlin

| Lesedauer: 5 Minuten
Katrin Starke
Blick in die Ausstellungsräume an der Rosenthaler Straße, in denen sich auch die Werkstatt befand.

Blick in die Ausstellungsräume an der Rosenthaler Straße, in denen sich auch die Werkstatt befand.

Foto: Museum Blindenwerkstatt

Die Dauerausstellung im Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt an der Rosenthaler Straße in Mitte wurde nach Umgestaltung neu eröffnet.

Berlin. „Ich wünschte, ich könnte einmal, auch im Namen derjenigen, die nicht wiedergekommen sind, Herrn Weidt für alles danken, was er für uns getan hat.“ Ein Satz von Inge Deutschkron, geschrieben am 7. Mai 1946. Die deutsch-israelische Journalistin und Autorin, die im März 2022 im Alter von fast 100 Jahren in Berlin starb, überlebte den Holocaust. Großen Anteil an ihrer Rettung hatte der Kleinfabrikant Otto Weidt.

Während des Zweiten Weltkriegs beschäftigte Weidt in seiner Besen- und Bürstenwerkstatt im Hinterhof der Rosenthaler Straße 39 hauptsächlich blinde, seh- oder hörbehinderte Juden. Zwei Jahre lang arbeitete auch Inge Deutschkron dort. Was sie ein Jahr nach Kriegsende aufschrieb, ist jetzt in der Dauerausstellung im Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt zu lesen. Die in diesem Monat eröffnete neugestaltete Ausstellung erzählt am historischen Ort die Geschichte von Otto Weidt, der alles daransetzte, seine jüdischen Arbeiterinnen und Arbeiter vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu schützen.

Erzählt werden anhand von persönlichen Dokumenten aber auch die Lebensgeschichten von Menschen, die in seiner Werkstatt Zuflucht fanden. Einige überlebten dank seiner Hilfe die NS-Zeit, bei anderen scheiterte die Rettung.

Neue Forschungsergebnisse flossen in die Umgestaltung ein

Studenten der Berliner Fachhochschule für Technik und Wirtschaft hatten die seit dem Krieg nahezu unverändert erhalten gebliebenen Räume der Weidtschen Werkstatt in der Rosenthaler Straße 39 bereits 1998/99 wieder zugänglich gemacht. Seit 2005 ist das Museum eine Einrichtung der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand, 2006 wurde die Ausstellung bereits einmal überarbeitet, seinerzeit noch unter Beteiligung von Inge Deutschkron. Jetzt hat ein Projektteam unter Leitung von Gedenkstättenchef Johannes Tuchel und Karoline Georg die Ausstellung noch einmal grundlegend umgestaltet. Dabei sind neue Forschungsergebnisse zum Wirken von Otto Weidt, zu seinen Hilfsaktionen für Deportierte im Ghetto Theresienstadt und zu den Biografien der von ihm Unterstützten eingeflossen

Otto Weidt, der sich selbst als „individualistischen Anarchisten“ bezeichnete, war ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. Der gelernte Maler und Vergolder wurde nach seiner fast vollständigen Erblindung Bürstenmacher. 1939 eröffnete er mit Geschäftspartner Gustav Kremmert die „Blinden-Werkstätte Otto Weidt“ in Kreuzberg, ein Jahr später bezog die Werkstatt die deutlich größeren Räume in der Rosenthaler Straße 39. Für seine jüdischen Beschäftigten und ihre Angehörigen war die Werkstatt oft der einzige Zufluchtsort. Weidt versorgte sie mit Lebensmitteln, besorgt ihnen falsche Papiere. Doch irgendwann halfen auch List und Bestechungen nicht mehr, um die Deportation seiner Arbeiter zu verhindern. Also suchte er Verstecke für einige von ihnen – eines davon befindet sich in den Räumen des heutigen Museums.

Es ist ein kleiner, fensterloser Raum. Wie mag sich die Familie Horn gefühlt haben, als sie 1943 dort ihr Nachtlager bezog? Mit einem vor die Tür geschobenen Kleiderschrank hatte Weidt gehofft, die Existenz dieses letzten Raumes seiner Werkstatt vor den Nationalsozialisten verbergen zu können. Mehrere Monate diente der enge Raum der vierköpfigen Familie als Schlafplatz, tagsüber arbeiteten Vater und Sohn Horn in der Werkstatt. Doch Anfang Oktober 1943 erfuhr die Gestapo durch einen Informanten von dem Versteck. „Bei einer Razzia in den Werkstatträumen werden Chaim, Machla, Max und Ruth Horn festgenommen, am 14. Oktober 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet“, ist in der Ausstellung zu lesen. Ebenso erfährt man, dass Otto Weidt danach von der Gestapo in der Burgstraße 28 verhört, aber nicht bestraft wurde. Vermutlich, weil er Gestapo-Beamte bestochen hatte.

Auch der Geschäftspartner nahm heimlich Verfolgte auf

Als Beispiel einer geglückten Rettung wird die Geschichte von Inge Deutschkron beleuchtet. Otto Weidt hatte ihr unter anderem das Arbeitsbuch einer Nichtjüdin beschafft. Außerdem können sich Ausstellungsbesucher ihren gefälschten Werkausweis in einer Vitrine anschauen, ausgestellt auf den Namen Inge Richter. Mit Ausweisen auf den Namen Richter erlebten Inge Deutschkron und ihre Mutter schließlich das Kriegsende in Potsdam. Nachgezeichnet ist in der Ausstellung zudem die Geschichte von Alice Licht, die Weidt 1941 als Sekretärin eingestellt hatte. Als sie deportiert wurde, reiste er ihr nach bis ins Außenlager Christianstadt des KZ Groß-Rosen und deponierte in der Nähe Zivilkleidung, Geld und Medikamente für sie. Als das Lager Ende Januar 1945 aufgelöst wurde, gelang ihr auf dem Todesmarsch die Flucht. Das Kriegsende erlebte sie in der Wohnung von Otto Weidt und dessen Frau Else in Berlin.

Erinnert wird in der neuen Dauerschau auch an einige der Helfer Weidts wie seinen Geschäftspartner Kremmert, der Verfolgte in seiner Wohnung aufnahm, oder an Hedwig Porschütz, die Nahrungsmittel auf dem Schwarzmarkt besorgte und 1943 durch Vermittlung von Weidt vier untergetauchte Jüdinnen in ihrer Wohnung nahe dem Alexanderplatz aufnahm.

Die Ausstellung belegt eindrucksvoll, was das Projektteam in einem seiner Begleittexte formuliert: „Otto Weidts Mut und Unerschrockenheit bleiben einzigartig.“

Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt in der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Rosenthaler Straße 39, Mitte, Tele. 28 59 94 07, Mo.–Fr. 9–18 Uhr, Sbd.+So. 10–18 Uhr, Eintritt frei, www.museum-blindenwerkstatt.de