Berlin. Die Zionskirche steht wie wenige andere Kirchen für Widerstand. Bedeutung erlangte die Kirche unter anderem als Wirkungsstätte von Dietrich Bonhoeffer, der hier kurz als Pastor tätig war. Kurz vor dem Ende der DDR war die Zionskirche ein Zentrum der Opposition mit Kirche von unten und der „Umweltblätter“. Die DDR-Regierung gab, kurz nachdem sie Oppositionelle in den Gemeinderäumen inhaftieren und ein Banner vom Kirchturm abhängen ließ, der Protestbewegung bei, daher gilt die Zionskirche als zentraler Ort der Bürgerrechtsbewegung.
5000 Besucher erklimmen jährlich die 104 Stufen auf den Turm
Die evangelische Zionskirche steht in allen Reiseführern, 300 bis 500 Menschen besuchen sie am Wochenende. Beim Bau stand sie auf dem höchsten Punkt im Weinbergpark, eine richtige Anhebung erkennt man heute nicht mehr. Fünf Straßen gehen auf sie zu. Etwa 5000 Besucher jährlich erklimmen die 104 Stufen auf den Turm.
Pfarrer Matthias Motter ist stolz darauf, dass er ausgerechnet in dieser Kirche arbeiten darf. Ein Lebensereignis mit viel Verantwortung sei das, sagt er. Es gebe viele Menschen, die diesen Ort schätzten. Was ihn neben der Verantwortung an der Zionskirche reizt, sei, dass sie zum Zeichen des Widerstands wurde, dass von ihr immer wieder Widerstand ausging. „So eine widerständige Geschichte, das verknüpft sich immer wieder.“
Von finsteren Gesellen und Spelunken ist in Chroniken die Rede
Für das historische Einordnen der Kirche ist der Vorsitzende des Fördervereins der Zionskirche Andreas Pflitsch zuständig: Er hat ein fast 200-Seiten-Buch über die Kirche „Der Dom des Nordens – die Berliner Zionskirche und ihre Geschichten“ verfasst, es ist zum Jubiläum erschienen. Widerständig war vor Baubeginn zunächst eher die Umgebung. Von finsteren Gesellen und Spelunken ist in alten Chroniken die Rede. Der nahe Exerzierplatz an der Eberswalder Straße – heute der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark – war während der Märzrevolution 1848 ein Sammelplatz aufständischer Arbeiter gewesen.
Dass an so einem Ort einer der größten, prachtvollsten und teuersten Kirchneubauten der Zeit entstehen sollte, passte dem Magistrat nicht. Schon die Grundsteinlegung verzögerte sich um mehr als ein Jahrzehnt. König Wilhelm I. persönlich bestand schließlich auf den projektierten Platz, nach dem 16. Oktober 1866 konnten die Bauarbeiten beginnen. Baumeister August Orth wollte einen Backstein-Terracotta-Bau im Stil des Berliner Historismus anlegen – mit einer großzügigen Empore im Innenraum.
Kaiser Wilhelm I. war der Standort auf dem Weinberg wichtig
Zwei Jahre später wurden der Bau wieder unterbrochen: Das Geld war ausgegangen. Erst am 2. März 1873 wurde die Kirche eingeweiht – in Anwesenheit von Wilhelm I., nunmehr Kaiser. In den Annalen geht es um nie aufhörende Bemühungen, Geld bei Kirche oder Staat einzutreiben. Die Inneneinrichtung und das Inventar wurden größtenteils von privaten Spendern finanziert. Der ständige Geldmangel für Bau und Erhaltung der Zionskirche ist geblieben – bis heute.
Dietrich Bonhoeffer wurde im November 1931 als junger Pfarrer zur Vertretung an die Kirche gerufen. Er engagierte sich für eine Konfirmantengruppe, meist Kinder von arbeitslosen Vätern – für Bonhoeffer ein einschneidendes Erlebnis. Er klagte das Versagen der Kirche an angesichts der zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit der sozialen Verhältnisse. Später ging Bonhoeffer in den Widerstand. Auf der West-Seite der Zionskirche steht ihm zu Ehren eine Bronzeplastik.
Die Zionskirche befand sich permanent im Bauzustand
Im Zweiten Weltkrieg wurde auch die Zionsgemeinde schwer getroffen, das Dach brannte aus. Erst 1949 begann man mit dem Wiederaufbau. Die Kuppeln waren zwar erhalten geblieben, doch überall war Putz abgefallen, schließlich war die Kirche mehrere Winter der Nässe ausgesetzt. Auch nach dem Wiederaufbau befand sich die Kirche fast permanent im Bauzustand.
Unter der DDR-Regierung fand das kirchliche Leben mehr in Nischen statt. Die Mangelwirtschaft hinterließ an der Zionskirche weitere Schäden. Pfarrer Hans Simon öffnete sein Pfarrhaus für eine Gruppe junger Menschen, die nach dem Atomunfall von Tschernobyl aus Protest gegen die Atomenergie eine Umwelt-Bibliothek eröffnen wollten. Diese entwickelte sich zum oppositionellem Zentrum, sorgte mit den „Umweltblättern“ für Vernetzung.
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Element of Crime kam mit der U-Bahn
Dann fanden Konzerte statt, getarnt als „musikalische Andacht“, berichtet Pfarrer Matthias Motter. Die Bandmitglieder von Element of Crime fuhren am 17. Oktober 1987 mit der U-Bahn in den Osten, ohne Instrumente. Dass Neonazis beim Konzert protestierten, sei nur in den Westmedien erwähnt worden, erzählt Motter. Im Osten habe man von „Rowdies“ gesprochen, Neonazis habe es ja offiziell nicht gegeben. Ende November 1987 wurden Versammlungen und Mahnwachen abgehalten, man traf sich zum Malen der Protestbanner.
Die Bilder vom Abhängen eines Transparents durch die Feuerwehr gingen um die Welt. Spuren der Farbe, die sich beim Malen des Banners durch den Stoff gedrückt hatte, sind bis heute auf der Orgelempore der Zionskirche zu sehen – konserviert unter Acrylglas. „Wir wollen es erhalten, sagt Pfarrer Motter. „Es ist ein Ort des Widerstands und der Freiheit.“
Wie üblich, wird in der Zionskirche derzeit gebaut. Eine Fußbodenheizung, CO2-neutral mit Erdwärme betrieben, ist schon installiert. Als nächstes will man die Wände und Gewölbe angehen. „Behutsam, ohne dass es schick und neu aussieht. Wir wollen nicht so tun, als ob die Kirche nicht 150 alt wäre und nicht schon vieles erlebt hätte.“ Eine neue Orgel haben Förderverein und Pfarrer schon seit Jahren im Blick. Dafür fehlt allerdings noch das Geld.
Heute leben Bienen auf der Zionskirche
In den Nischen des Kirchturms wurden inzwischen Bienen angesiedelt – auch für ihren Honig ist die Zionskirche heute bekannt. Andreas Pflitsch, der Vorsitzende des Fördervereins, Islamwissenschaftler und Autor literaturkritischer Texte, ist eigentlich über die Bienen in die Zionskirche gekommen. Er hatte vor zwölf Jahren Orte für sie gesucht, der Dom hatte noch ein paar Plätzchen.
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