Ausstellung

„Bitte alles anfassen“ schafft neue Räume

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Birgit Lotze
Gedanken spielen Verstecken: Die Ausstellung – hier mit Kuratorin Rebecca Raue (im lila Kleid) – fordert dezidiert zum Mitmachen auf.

Gedanken spielen Verstecken: Die Ausstellung – hier mit Kuratorin Rebecca Raue (im lila Kleid) – fordert dezidiert zum Mitmachen auf.

Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services

Es ist wie ein Spielplatz, doch es sind keine Metallgeräte, sondern Kunstobjekte, mit denen man spielt. Perspektiv-Wechsel im „Haus Kunst Mitte“.

Berlin.  „Bitte nicht anfassen“, heißt es für gewöhnlich in Museen. Das Kulturteam Ephra macht das Gegenteil. 22 international renommierte Künstlerinnen und Künstler wie Olafur Eliasson, Karin Sander, Tomás Saraceno bespielen aktuell das Ausstellungshaus „Haus Kunst Mitte“ über zwei Etagen. Das Besondere: Hier ist Anfassen erlaubt. Nah an den Werken und auf spielerische Art ermöglicht die Ausstellung einen lebendigen Zugang zur Gegenwartskunst. Kinder, Jugendliche und Erwachsene können mit allen Sinnen Kunst und aktuelle Kunstpositionen erfahren, erkunden und mitgestalten.

„Gedanken spielen Verstecken“ heißt die Ausstellung. Jeppe Hein beispielsweise fordert Besucher und Besucherinnen auf, ihre momentane Gefühlsstimmung als Selbstporträt an die Wand zu malen. Die Umrisse von Einzelhaftzellen von Nadia Kaabi-Linke hinterfragen Strafsysteme in der Gesellschaft. Die Wegbeschreibungen auf den Teppichen von Christian Jankowski zeichnen die Pfade seiner Reisen nach und Ayumi Paul lädt zum Singen ein, um die Wechselwirkung von Klang und Raum zu messen.

Die Ausstellung wendet sich explizit auch an Kinder als Mitmachende

Ausdrücklich wendet sich die Ausstellung an Kinder und Jugendliche als Publikum und Mitmachende. Was das heißt, konnte man bei der Vorabpräsentation miterleben. Zehn Kinder zwischen acht und zwölf Jahren, sie hatten bereits die Künstler und ihre Arbeiten kennengelernt, ließen einfach los wie auf dem Spielplatz. Die Buchstaben-Landschaft „History“ von Christian Jankowski wurde als begehbares, betanz- und bespringbares Objekt genutzt. Der Kommentar einer Ephra-Mitarbeiterin dazu: „Für die Theaterbühne designt, jetzt bespielt.“

Auch die anderen Objekte luden die Kinder ein, kreativ, mutig und glücklich zu werden: Timur (12) rappte als Teil des Spiegelkunstwerks „Limelight“ von Ulrich Vogl am imaginären Mikrofon spontan los, wie auch Emmanuel (10) und Leya (9) – unterstützt vom Klatschen der anderen Kinder. In einer heimeligen Jurte von Paula Anke erzählten sie ausgedachte Geschichten von „Amazonen“, die Inspirationsgeber dafür hingen an Rosmarinzweigen von der Jurte-Decke. Auf einem Tatami zu sitzen und zu singen, während sich die Lichtfrequenz im Raum erhöhte – „das ist wie im Zauberwald“, sagte Marie (9) nach dem Ausprobieren eines weiteren Kunstwerks.

„Sie erkennen unmittelbar, wie viel Kunst mit ihrem Alltag zu tun hat.“

In den letzten fünf Jahren hat Ephra 240 Kinder aus 13 Berliner Schulen in die Ateliers von 64 Künstlern und Künstlerinnen begleitet. Fragen stellen, zuhören, eigene Erfahrungen in Worte fassen, all das üben die Kinder. „So erkennen sie ganz unmittelbar, wie viel Kunst mit ihrem Alltag zu tun hat“, sagt Ephra-Gründerin Rebecca Raue, die auch Kuratorin der Ausstellung ist. Die Begegnungen auf Augenhöhe öffneten sowohl den Kindern als auch den Künstlern neue Gedankenwelten und Perspektiven. „Ja, es ist wie ein Spielplatz. Aber es geht viel tiefer.“

Rebecca Raue erinnerte auch daran, dass angesichts von Pandemie und Krieg auch die Kinder merkten, wie schmerzhaft die Welt gerade sei. Gerade da hätten sie „Seelenhunger nach einem Austausch“, wollten einbezogen werden. Die Themen seien „innen so nah“ und sie bekämen im normalen Leben „zu wenig Raum“.

„Hier wird nicht gebastelt. Hier werden Räume geschaffen.“

Isabell von Stechow, Lehrerin und Vorstandsmitglied der Stiftung Andreas Gerl, erzählte, dass sie Ephra im Schulalltag in Form eines Ausflugs nutze. Das Projekt mache die Kinder kreativer und bereit für die Zukunft. Das Non-Verbale, das Bildnerische könne Horizonte öffnen. Kunst zu betrachten, zu erleben, sei verbindend. „Hier wird nicht gebastelt, sondern hier werden Räume geschaffen.“ Kunst mache etwas mit den Kindern.

So ein Projekt sei einmalig, hörte man beim Rundgang. Und so haben sich schon viele Sponsoren um Ephra gescharrt. Da ist unter anderen die Andreas Gerl Stiftung, die die Potenziale von Kindern und jungen Menschen entfalten will, die Bao Stiftung, die „hauseigene“ „Asyl der Kunst Stiftung“, ehrenamtlich geleitet von Anna Havemann, die im vergangenen Jahr das „Haus Kunst Mitte“ an der Heidestraße wiederbelebt hat. Und da sind auch größere Mitmischende wie die Berliner Sparkasse und die Volkswagen AG.

Geöffnet ist die Ausstellung bis 11. Juni von Donnerstag bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr. Bis 18 Jahre ist der Eintritt kostenfrei, Ältere zahlen fünf Euro. Dienstags bis freitags ist das Haus Kunst Mitte vormittags für Schulklassen geöffnet. Freier Eintritt gilt für alle am 26. März, 23. April, 21. Mai und 11. Juni.

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