Berlin. Beim Politischen Podium im Stadtteilzentrum Kreativhaus auf der Fischerinsel stand ein sich zuspitzendes Problem gleich oben auf der Agenda: Die Verwaltung reagiert oft zu spät, zumindest in Mitte stellen das die Bewohner vermehrt fest. Uwe Mehrtens, seit kurzem Anwohner, schilderte den fünf Politikern in der Runde seine Nöte. Reagiert die Verwaltung nicht sofort, könne er obdachlos werden. Der Vermieter dränge auf die Kaution, er werde auf die Straße gesetzt, wenn nicht endlich das Zeichen von der Verwaltung komme, dass das Sozialamt die Mietkaution übernehme. „Es heißt, die Verwaltung ist überlastet. Aber es kann doch nicht sein, dass sie so ins Hintertreffen gerät.“
Obdachlosigkeit – das dürfe man nicht unterschätzen, man rutsche schnell hinein, komme aber nur mit großen Schwierigkeiten wieder heraus, sagte Mehrtens. Er sprach aus Erfahrung. Er hat die Wohnung auf der Fischerinsel erst seit September. Vorher war er zwei Jahre obdachlos, lebte mal hier mal dort, bei Bekannten, im Wohnheim, in einer Wohngemeinschaft, die zwangsgeräumt wurde. Früher hatte er gemeinsam mit seinem Lebenspartner in einer Wohnung gewohnt. Nach der Trennung war es schwierig geworden für Uwe Mehrtens, der eine kleine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht.
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Uwe Mehrtens wird wohl seine Wohnung behalten, auch weil er kein Blatt vor den Mund nahm vor den Wahlkämpfenden. Christoph Keller (Linke), der einzige Stadtrat (für Jugend, Familie und Gesundheit im Bezirk Mitte) in der Runde, sicherte sofort zu, seinen für Soziales zuständigen Stadtratskollegen im Bezirk Mitte informieren.
Alle sind für eine Verwaltungsreform
Aktuell ist Wahlkampf: Die anderen von den Kreativhaus-Stadtteilarbeitern auf das Podium Geladenen wollen wieder ins Abgeordnetenhaus: Der Stadtplaner und Grünen-Politiker Stefan Lehmkühler war anwesend, er gilt als einer der Initiatoren der autofreien Friedrichstraße. Lukas Schaal (CDU), Kreisvorsitzender der Jungen Union in Mitte, wohnte mal im 18. Stock auf der Fischerinsel und plädiert für eine Verkehrspolitik für alle – „auch für diejenigen, die sich noch nicht ganz vom Auto getrennt haben“. Astrid Hollmann (SPD), die den Erhalt der Vielfalt und Lebendigkeit der Stadt in den Mittelpunkt stellt. Michael Bahles (FDP) setzt sich für Sauberkeit und Sicherheit ein, und dafür, „dass alle Verkehrsteilnehmer sich bewegen können“.
Natürlich plädierten alle dafür, die Verwaltung besser aufzustellen. Versuche und Vorstöße dafür gab es in der Vergangenheit bereits viele, teils behinderten sich die Fraktionen gegenseitig. „Wir pfeifen aus dem letzten Loch“, konstatierte Lehmkühler auf dem Podium. Er brenne für „Prozessoptimierung“.
Denn in einigen Jahren fehlten noch mehr Arbeitsplätze. Man müsse Mittel finden, mit den knappen Ressourcen umzugehen und, ihm sehr wichtig, „sie technisch zu unterfüttern“. Die CDU sei bereit für eine Optimierung der Verwaltung, pflichtete Lukas Schaal bei. Mehr „artificial intelligence“, darauf hofft Bahles von der FDP.
Die SPD setzt auf eine Verwaltungs- und eine Strukturreform. Astrid Hollmann würde auch mehr Personal einstellen: „Es nützt ja nichts, wenn wir tolle Maßnahmen beschließen, die dann aber keiner umsetzen kann.“ Christoph Keller sprach sich für mehr Dezentralisierung aus. „Starke Bezirke sind wichtig, man ist vor Ort, ist näher dran.“
Susanne Schröder, Leiterin der Mehrgenerationenhauses auf der Fischerinsel, und eine der Organisatoren des Podiums, forderte mehr Barrierefreiheit, eine bessere Beleuchtung der Gehwege, bessere Aufenthaltsqualität für den Spittelmarkt.
Vorbereitung auf den Klimawandel
Eine Frage aus der Zuhörerschaft: „Und wie kann man Berlin pariskonform machen?“ Gar nicht mehr, antwortete Lehmkühler. Eine Erhöhung um maximal 1,5 Grad sei nicht mehr möglich. „Die nächsten 70 Jahre sind terminiert.“ Man werde jedes Jahr Hitzerekorde erreichen. Durchschnittlich werde es um sechs Grad wärmer auf der Erde, in Berlin um drei Grad. Darauf müsse man den Bezirk vorbereiten, nötig seien mehr Bäume, mehr Erholungsflächen, dafür müssten die Autos raus aus dem Zentrum. „Wir haben den öffentlichen Raum nur einmal.“
Nur zwölf Prozent der Wege in Mitte würden mit dem Auto zurückgelegt. Das Auto sei in Berlin das ineffektivste Verkehrsmittel. Und was das Parken angehe: „Geht das heute noch, so viel öffentliche Fläche in Anspruch zu nehmen, um sein Privateigentum abzustellen?“
Bahles forderte „mehr Realismus“. Auch er plädiert für Begrünung, doch „eher auf Mittelstreifen“. Ansonsten setzt er auf Autos, schließlich bräuchten viele sie für Arbeitswege, große Familien auch für Einkäufe. Er plädiert für Elektrofahrzeuge und die entsprechende Infrastruktur. „Man muss die Leute abholen.“ Ihn stört eine „Verschandelung des öffentlichen Raums“, doch nicht durch Autos: Der Monbijoupark sei immer stärker verdreckt, Mauern und Brücke seien mit vielen Millionen restauriert worden und niemand kümmere sich darum, dass sie zeitnah gesäubert werden.
Lukas Schaal hat kein Auto, er nutzt Sharing-Angebote. Er plädiert für den Ausbau der A100, „das würde den Verkehr aus der Stadt herausbringen“, auch weg von der Leipziger Straße. Den Klimawandel könne Berlin, auch nicht Deutschland aufhalten, angesichts eines Anteils von zwei Prozent an den weltweiten Emissionen. Schaal setzt auf die Zukunft. „Wir müssen Techniken entwickeln, wie wir CO2 wieder zurückgewinnen, wieder einfangen.“
Christoph Keller hielt dagegen. „Der klimafreundlichste Weg ist der, den man gar nicht zurücklegt.“ Das hieße, dass Kitas, Schulen und Ärzte möglichst wohnortnah liegen müssen. In Sachen Autos unterstützt er Lehmkühler. Es gebe wenig Platz, daher zunehmend Zielkonflikte, zum Beispiel, wenn man eine Freifläche als öffentlichen Spielplatz ausweisen wolle. „Wir müssen Mehrfachnutzungen hinbekommen. Und das geht nicht, wenn da nur Autos stehen.“
„Wenn die Stadt sich verändern soll, müssen wir die Menschen mitnehmen“
Astrid Hollmann forderte mehr Respekt im gegenseitigen Umgang zwischen Autobefürwortern und denen, die Autos aus dem öffentlichen Raum verbannen wollen. Mit Blick auf die Grünen stört sie deren Beharren auf eine autofreie Friedrichstraße ohne die Einbindung der anliegenden Geschäftsleute. Die Grünen wüssten, was für ein klimaneutrales Berlin zu tun sei. „Aber wenn wir wollen, dass sich die Stadt verändert, müssen wir die Menschen mitnehmen.“
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