Berlin-Mitte

Neues Stadtquartier entsteht rund ums einstige Tacheles

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Isabell Jürgens
Blick in das neue Quartier von der Oranienburger Straße aus gesehen.

Blick in das neue Quartier von der Oranienburger Straße aus gesehen.

Foto: Bloomimages

Die Brache rund ums ehemalige Kunsthaus an der Oranienburger Straße wird bebaut. 2023 soll das Quartier fertig sein.

Berlin. Eine der letzten großen Lücken, die Kriegsbomben und anschließend Abrissbirnen in die Berliner Innenstadt gerissen haben, wird geschlossen. Das alleine wäre schon Grund genug, aufmerksam das Baugeschehen auf dem 25.000 Quadratmeter großen Areal zwischen Friedrichstraße, Oranienburger Straße und Johannisstraße zu beobachten, für das am Donnerstag der Grundstein gelegt wurde. Besonders im Fokus von Kritikern und Befürwortern steht das von der pwr development entwickelte Stadtquartier aber vor allem deshalb, weil das neue Stadtquartier unmittelbar neben dem legendären Tacheles entsteht.

Tacheles prägte den Mythos der wilden Berliner Nachkriegszeit

Die 2012 geräumte Kaufhaus-Ruine, die nach dem Fall der Mauer von Künstlern besetzt und als Atelierhaus genutzt wurde, hatte mit ihrem Graffiti-übersäten Subkultur-Charme maßgeblich das Bild der wilden Berliner Nachwendezeit geprägt. „Dass ein Projektentwickler diesen Mythos nicht wiederbeleben kann, ist klar und wäre wohl auch zu viel verlangt“, sagte der Baustadtrat des Bezirks Mitte, Ephraim Gothe (SPD), anlässlich der Grundstein-Feier mit mehreren Hundert geladenen Gästen.

Doch ein bisschen Wehmut könne er sich nicht verkneifen, unvergessen die Partys und Konzerte, die in den 90er-Jahren in den Ruinen und auf der dahinterliegenden Freifläche gefeiert wurden. Er werde, kündigte Gothe an, genau hinschauen, welche kulturelle Nutzung in die denkmalgeschützte Ruine einziehen werde. „Das ist schließlich auch im städtebaulichen Vertrag mit dem Bezirk vereinbart worden“, sagte der Baustadtrat weiter.

Tatsächlich sei noch offen, wer als Mieter in die Ruine einziehen werde, sagte pwr-Geschäftsführer Sebastian Klatt. Erst in dieser Woche war bekannt geworden, dass als potenzieller Nutzer die schwedische Fotogalerie „Fotografiska“ im Gespräch sei. „Spruchreif ist das aber noch nicht, wir prüfen auch noch andere Optionen“, sagte Klatt. Sicher ist bislang nur, wann wieder Leben ins Tacheles einzieht: „Spätestens 2023, wenn das gesamte Quartier fertig gestellt ist“, so Projektentwickler Klatt.

Miet- und Sozialwohnungen wird es nicht geben

Bis dahin sollen auf dem Areal zehn Neubauten entstehen, davon sieben Wohnhäuser, die sich überwiegend an der ruhigeren Johannisstraße wiederfinden, sowie drei Büro-und Geschäftshäuser, die entlang der Friedrichstraße und der Oranienburger Straße das Quartier prägen sollen. Ebenfalls Bestandteil des städtebaulichen Konzepts, das das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron geliefert hat, sind zwei denkmalgeschützte Altbauten an der Friedrichstraße, die wie das Tacheles seit Jahren leer standen. Insgesamt entstehen so 100.000 Quadratmeter Nutzfläche, davon 85.000 Quadratmeter neu errichtet und 15.000 in den Altbauten. Es entstehen 275 Eigentumswohnungen, zudem Büros auf 41.500 Quadratmetern, 12.000 Quadratmeter sind für den Einzelhandel reserviert.

Dass auf dem Areal keinerlei Miet- und Sozialwohnungen entstehen, die nach dem Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung eigentlich fester Bestandteil jedes größeren Neubauvorhabens sind, erklärt sich aus dem langen Vorlauf des Projektes. Der Bebauungsplan für das Gelände geht auf das Jahr 2003 zurück.

Anno August Jagdfeld hatte mit der Finanzierung kein Glück

1998 hatte die Fundus-Gruppe von Anno August Jagdfeld das Areal erworben und ambitionierte Pläne vorgelegt, wonach Neubauten im Wert von rund 400 Millionen Euro vorgesehen waren. Allerdings scheiterte damals die Finanzierung, nach mehreren Räumungsversuchen wurde das Freigelände mit der Ruine im September 2012 schließlich vollständig gesperrt. Im September 2014 veräußerte Jagdfeld das Gelände schließlich für rund 150 Millionen Euro an pwr, die sich dafür entschieden, bei ihren Planungen auf den alten Bebauungsplan zurückzugreifen. Rund 600 Millionen Euro will die Fondsgesellschaft in das Projekt investieren.

„Wir sind sehr glücklich, dass wir dieses spannende Grundstück bebauen dürfen“, sagte Ascan Mergenthaler vom Büro Herzog & de Meuron. Das Büro, nach dessen Plänen in Berlin auch das Museum der Moderne auf dem Kulturforum in Tiergarten errichtet werden soll, hat nicht nur das architektonische Konzept entwickelt, sondern auch die künstlerische Leitung bei dem Projekt. Zudem wurden weitere Architekturbüros beauftragt, einzelne Gebäude zu gestalten, damit eine möglichst abwechslungsreiche Architektur entsteht.

„Das Tacheles wird wieder seine Torfunktion zu dem Quartier einnehmen“, sagte Mergenthaler. Der Block solle entlang der Straßenzüge wieder geschlossen werden. Allerdings mit einer historisch begründeten Ausnahme, die ihr Vorbild in der 1909 eröffneten Friedrichstraßenpassage habe. Denn die Kulturruine sei ursprünglich nur der Kopfbau zur Friedrichstraßenpassage gewesen, einer wichtigen und damals spektakulär aufwendig gestalteten Fußgängerquerung von der Oranienburger zur Friedrichstraße. „Diese Verbindung wollen wir wieder schaffen“, sagte Mergenthaler. Herzstück der Passage sei damals eine gläserne Kuppel gewesen.

Auf eine Überdachung der Passage wurde verzichtet

Sowohl auf die Kuppel als auch auf die Überdachung der Passage soll im neuen Quartier aber verzichtet werden. Stattdessen ist im Knick der Passage ein offener, baumbestandener Platz in Form eines Oktogons vorgesehen. „Mit einer Überdachung hätte das Quartier zu sehr die Anmutung einer Shopping-Mall bekommen“, erklärte der Architekt. Dies habe man aber ausdrücklich vermeiden wollen. Entstehen solle vielmehr ein rund um die Uhr und an allen Tagen der Woche geöffneter öffentlicher Raum, der sich zu einer Abfolge kleinerer, begrünter Stadtplätze erweitere. Überhaupt solle das Quartier einen hohen Grünanteil bekommen. „Wir werden alle Dächer begrünen“, kündigte Projektentwickler Klatt an.