Berlin. Etliche in den Himmel ragende Kräne künden davon: Es tut sich etwas in der Europacity. Vor wenigen Jahren noch eine einzige große Brache mitten in der Stadt ist zwischenzeitlich viel passiert auf Berlins aktuell größtem innerstädtischem Baufeld. Es ist ein Riesenprojekt. Rund 3000 Wohnungen werden auf dem etwa 40 Hektar großen Gebiet gebaut, dazu sollen 10.000 Arbeitsplätze entstehen. Mittlerweile sind auch die ersten Wohnprojekte in der Europacity fertig, die Mieter eingezogen. Es ist ein Leben in exklusiver Lage und zugleich an einer Riesenbaustelle ohne gewachsenen Kiez. Hier im Herzen Berlins könnte ein Top-Viertel entstehen, doch noch gibt es Schönheitsfehler.
Ruth und Mischa Schwerdtfeger sind dennoch „super happy“. Das Paar ist erst im Dezember mit ihrer einjährigen Tochter in die Europacity gezogen. Bereut haben sie es bisher nicht. „Für uns war die Lage entscheidend“, sagt Vielpendlerin Ruth Schwerdtfeger. „Die ist unschlagbar.“ Zudem sei die Wohnung toll. Der Neubau biete Annehmlichkeiten, die es so in Altbauten nicht gebe.
Kaltmieten bis 20 Euro pro Quadratmeter
Schicke Neubauwohnungen in zentralster Lage. Für solche Kriterien rufen Investoren auf dem aufgeheizten Berliner Immobilienmarkt entsprechende Preise auf. Die Nettokaltmieten in den ab Sommer 2019 beziehbaren Wohnkomplexen Prager Karree und Wiener Etagen liegen zwischen 14 und 20 Euro pro Quadratmeter. In den Eigentumswohnungen des Projekts „BUWOG The One“ kostet der Quadratmeter teils über 9000 Euro. Demgegenüber stehen 257 Sozialwohnungen mit Kaltmieten bis acht Euro, lediglich neun Prozent des kompletten Quartiers.
Als der Masterplan gemacht worden sei, habe man kämpfen müssen, dass überhaupt Wohnungen geschaffen werden, sagt Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD). Heutige Mittel wie die kooperative Baulandentwicklung, ein Instrument des Landes um Bauherren zum Bau von bis zu 30 Prozent Sozialwohnungen zu verpflichten, „gab es noch nicht“, als hier die Würfel gefallen sind“, so Gothe.
Neuanwohnerin: „Wenn man hier hinzieht, ist einem klar, dass es kein Kiez ist“
Doch welche Wohngegend bekommen die neuen Bewohner aktuell für die hohen Preise? In ihrem Haus gebe es eine Kita, die die einjährige Tochter besucht, sagt Ruth Schwerdtfeger. Im Innenhof liege ein wunderschöner Spielplatz. „Man fährt mit dem Rad keine zehn Minuten und ist an den Hotspots von Mitte“, ergänzt ihr Mann Mischa. Auch direkt vor Ort gebe es Leben, sagt die 32-Jährige. Viele junge Familien würden im Haus wohnen.
Die Schwerdtfegers leben schon lange in Berlin, zuletzt in Prenzlauer Berg. Natürlich wissen sie, was in ihrem neuen Quartier fehlt. „Wenn man hier hinzieht, ist einem klar, dass es kein Kiez ist“, sagt Ruth Schwerdtfeger. Wer erwarte denn volles Leben, wenn erst ein Haus fertig sei. Das entstehe erst mit den Menschen. Und mit weiteren Angeboten, die es bisher in der Europacity nicht gibt: „Wenn wir uns etwas wünschen würden“, sagt Schwerdtfeger, „wäre das ein Bäcker, ein Supermarkt und eine Eckkneipe.“ Die Hoffnung sterbe zuletzt.
Heidestraße soll zum Boulevard werden
Bei der Planung des Quartiers habe man sich bewusst dazu entschieden, die Heidestraße durch das Viertel zu legen, so Baustadtrat Gothe. „Die Idee war ein Boulevard wie die Kantstraße.“ Dafür gebe es entlang der Straße extra breite Gehwege und viele Bäume.
Beim Blick die Heidestraße hinunter fällt auf: Zwar bevölkern einige Passanten die Gehwege. Einen Ort, wo sie sich aufhalten könnten, sucht man bisher jedoch vergebens. Kein Café oder Restaurant entlang der Straße. Eine Sache die sich ändern werde, verspricht Gothe. „In allen Gebäuden sind attraktive Ladenlokalen mit hohen Geschosshöhen geplant.“ Auch um den geplanten Stadtplatz sollen Restaurants entstehen. Ein gemeinsames Straßenmanagement der Eigentümer werde sich zudem abstimmen, was wohin kommt. „Ich bin optimistisch, dass es eine vielfältige Ladennutzung geben wird.“ Bis es soweit ist, und es auch einen Supermarkt geben wird, werden jedoch noch Jahre vergehen.
Daneben fällt die Heidestraße bisher vor allem durch ihren dichten Verkehr auf. Kolonnen von Autos rauschen die zweispurige Straße entlang und verursachen einen gehörigen Lärm. Das räumt auch Gothe ein und hofft: „Wenn sich die Elektromobilität durchsetzt, müsste es ja eigentlich besser werden.“
In der Europacity gibt es Sonntags keine Busverbindung
Ein anderes Verkehrsproblem beschäftigt Ursula Reichelt. Die Rentnerin zog im vergangenen Jahr nach einer Eigenbedarfskündigung aus Charlottenburg mit ihrem gehbehinderten Mann in die Europacity. Der sei auf den Bus angewiesen, bisher verkehrt dieser jedoch nicht an Sonntagen. „Dass in der Heidestraße sonntags kein Bus fährt, finden wir unmöglich“, sagt sie.
Abhilfe soll künftig eine weitere Buslinie schaffen, heißt es im aktuellen Nahverkehrsplan. Bis spätestens 2035 soll zudem eine Tram über die Heidestraße rollen. Bis dahin sind die Reichelts sonntags abgehängt. Auch ein Bäcker fehle ihnen, genau wie ein Supermarkt. Abgesehen davon ist sie mit Blick in die Zukunft zufrieden. „Die Aussicht, dass man entlang des Schifffahrtskanals auf beiden Seiten laufen kann, ist toll“, sagt sie und zeigt auf das breite Kanalbecken mit seinem begrünten Ufer.
Auch Ruth Schwerdtfeger glaubt fest an die Zukunft des Viertels. Dass so etwas noch mitten in Berlin entstehen könne, sei toll. „Das ist ein Geschenk für die Stadt.“
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