Berlin. Es geht ein Riss durch Mitte. Auch fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist der Bezirk entlang der einstigen Grenze sozial tief gespalten. Das zeigen neue Daten, die Mittes Sozialstadtrat Ephraim Gothe (SPD) am Freitag veröffentlicht hat. Die Zahl der Hartz-4-Empfänger etwa liegt im Bereich Brunnenstraße-Süd, der zum ehemaligen Ostteil der Stadt gehörenden Gegend rund um den Zionskirchplatz, bei lediglich 5 Prozent.
Direkt angrenzend auf der nördlichen Seite der Bernauer Straße im Gesundbrunnen sind hingegen 37,7 Prozent aller Einwohner auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Ähnlich hoch liegt der Anteil der Hartz-4-Empfänger mit 33,8 Prozent im Zentrum von Wedding. „Dazwischen liegen Welten“, sagt Gothe.
In Gesundbrunnen und Wedding ist der Anteil von Hartz-4-Familien hoch
Wie schlecht die soziale Situation in Teilen von Gesundbrunnen und Wedding ist, zeigen auch andere Zahlen: Rund um die Osloer Straße leben zwei von drei Kindern in einer Hartz-4-Familie. Im Rest von Gesundbrunnen und im Wedding ist die Lage kaum besser. Auch in Moabit lebt mehr als jedes dritte Kind in einer Familie, die auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist.
Auch bei der Bildung zeigen sich starke Kontraste. Einerseits haben 56,4 Prozent aller Einwohner Abitur, berlinweit der viertbeste Wert. Andererseits schafften 9,3 Prozent nie einen Schulabschluss. Erneut nach Neukölln der schlechteste Wert.
Einkommen sind nur in Charlottenburg-Wilmersdorf noch ungleicher verteilt
Entsprechend unterschiedlich sind auch die Einkommen. 7,4 Prozent der Einwohner verdienen mehr als das Doppelte des Durchschnitts. Doch gleichzeitig leben 27,9 Prozent der Bewohner in Armut. Ungleicher als in Mitte ist die Einkommensverteilung nur in Charlottenburg-Wilmersdorf, zeigen die Daten. Die schlechte Nachricht des Sozialstadtrats: „Der Bezirk driftet immer weiter auseinander.“
Mitte ist einer der ärmsten Bezirke
Im Bezirksvergleich steht Mitte damit meist schlecht dar. Im Gesamten Bezirk leben 43 Prozent der Kinder in Hartz-4-Familien. Nur in Neukölln sind anteilig noch mehr Kinder von Sozialleistungen abhängig (45 Prozent). Auch beim durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen liegt Mitte mit 1075 Euro nur knapp hinter Neukölln 1025 Euro am Ende der Rangliste.
Ganz anders hingegen die Entwicklung in Pankow. Mitte und sein Nachbarbezirk driften sozial immer weiter auseinander. Nirgendwo in Berlin liegt das Pro-Kopf-Einkommen höher als dort (1475 Euro). Mit 12 Prozent wachsen nirgendwo weniger Kinder in Hartz-4-Familien auf. „Man muss sich verabschieden von der Idee, es gebe den ‘reichen Westen’, so Gothe. „Pankow ist der neue Spitzenbezirk.“ Trennten Mitte und Pankow in dieser Statistik 2001 nur 100 Euro ist die Differenz mittlerweile auf 400 Euro angestiegen. Man denke, von der guten wirtschaftlichen Lage profitierten alle, so Gothe. Doch die Bezirke entwickelten sich nicht gleich.
Keine Chancengleichheit in Mitte
„Die Zahlen zeigen, dass von Chancengleichheit nicht die Rede sein kann“, sagt Gothe. Werde ein Kind in Wedding geboren, habe es beim Schulabschluss oder Zugang zum Arbeitsmarkt viel schlechtere Chancen als ein Kind in Alt-Mitte. Oder eben Pankow.
Dabei werde das Wohnungsproblem zur neuen sozialen Frage im Bezirk, so Gothe. Es könne nicht sein, dass sich auch in früher als schlecht geltenden Lagen in Wedding sich die Preise in den letzten Jahren verdoppelt hätten. Zwar liegt bei 70 Prozent der Haushalte die Netto-Kaltmitte noch unter 6 Euro pro Quadratmeter. Dennoch geben bereits mehr als die Hälfte der Haushalte mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus. Schon jetzt bezuschusse das Sozialamt des Bezirks die 40.000 Bedürftigen mit 240 Millionen Euro im Jahr. Für Gothe eine unbefriedigende Situation. „Das Geld reicht man so nur durch an die Immobilienbesitzer.“
Parkplätze nehmen in Mitte so viel Platz ein wie der Große Tiergarten
Der Sozial- und Baustadtrat will das Problem unter anderem über die Ausübung des Vorkaufsrechts und durch den Ankauf von Boden am Stadtrand und dessen Bebauung gemeinsam mit Brandenburg bekämpfen.
Daneben müssten die Flächen in der Stadt viel effizienter genutzt werden. Parkplätze nähmen in Mitte mit bis zu 200 Hektar eine Fläche ein, die fast so groß ist wie der Große Tiergarten. Gothe schwebt deshalb eine Verkehrswende vor. Der automobile Individualverkehr soll dabei stark zurückgedrängt werden. „Wenn man Parkstreifen abschafft, können da Radwege hin oder Bäume, die wegfallen, wenn man an anderer Stelle Flächen bebaut.“
Gothe schlägt als eine Lösung statt Hartz-4 das vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller ins Spiel gebrachte „solidarische Grundeinkommen“ vor. Dem sozialpolitischen Sprecher der Grünen im Bezirk Taylan Kurt ist das zu einfach: „Mitte hat immer noch kein Konzept, um Schulabbrüche zu vermeiden.“ Wenn man dort nicht ansetze, züchte man die Altersarmut der kommenden Generationen.
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