Berlin. Für die Anwohner zwischen Schwartzkopf-, Pflug- und Wöhlertstraße war die Überraschung groß. Als sich manche von ihnen am vergangen Donnerstag ins Auto setzten, kam ihnen dort, wo über 60 Jahre lang eine Einbahnstraße lang führte, plötzlich Verkehr entgegen.
Quasi über Nacht wurden die entsprechenden Verbotsschilder an den Querstraßen der Chausseestraße entfernt. „Es kam zu ganz gefährlichen Vorfällen“, erinnert sich Nora Erdmann, Anwohnerin und Sprecherin der Nachbarschaftsinitiative „Grüne Schleife“. Sie stört, dass der Bezirk die Bewohner vorher nicht informiert hat. „Es hätte eines Infoflyers in jedem einzelnen Briefkasten bedurft“, sagte sie.
Baufirma hatte eigenmächtig entschieden
Verwunderung löste die Nachricht auch im Bezirksamt aus. Die zuständige Bezirksstadträtin Sabine Weißler (Grüne) hatte die Demontage der Schilder genauso überrascht. Eigentlich habe die Maßnahme zusammen mit der Parkraumbewirtschaftung im Kiez am 1. Dezember in Kraft treten sollen. Das damit beauftragte Unternehmen wurde beauftragt, die neuen Schilder bis zum 23. November anzubringen.
Die günstige Wetterlage habe das Unternehmen jedoch dazu veranlasst, die Verkehrszeichen schon zwei Wochen zuvor zu ändern, teilte Weißler den verdutzten Anwohnern in einem Schreiben mit. „Wir hätten diese zwei Wochen gerne noch genutzt, um die Änderung mit einer Pressemeldung anzukündigen und Ihnen auch noch die weiteren Vorschläge zu vermitteln, die wir für eine gute Verkehrssituation im Kiez vorschlagen“, schrieb die Stadträtin darin weiter.
Bezirk führt Einbahnstraße bis Ende November wieder ein
Nachdem die neue Situation seit Donnerstag bestand – und offenkundig auch im Straßen- und Grünflächenamt Mitte für einiges Hin- und Her sorgte – gab Weißler am Montag die Änderung der Änderung bekannt. Die aufgehobene Einbahnstraßenregelung wird ab Dienstag temporär bis zum 1. Dezember wieder eingerichtet.
Mehr noch als die Überraschung vergangene Woche ärgert Erdmann jedoch, dass es überhaupt zu der Maßnahme kommt. Denn um die Zukunft des Einbahnstraßenbogens von der Schwartzkopf- über die Pflug- zur Wöhlertstraße gegenüber der neuen BND-Zentrale wird seit Jahren gerungen. Jahrzehntelang wurden die Straßenzüge als Wendeschleife der Straßenbahn genutzt. Die schmale Straßenbreite ließ nur den Verkehr in einer Richtung zu. Als die Tramlinie vor einigen Jahren eingestellt und die Schienen abgebaut wurden, begann die Diskussion um die Strecke.
Der Bezirk will die Einbahnstraßenregelung seitdem aufheben. Viele Anwohner, organisiert in der Initiative „Grüne Schleife“ sprechen sich jedoch dagegen aus. „Die Aufhebung der Einbahnstraße bringt keinen Mehrwert“, sagte Erdman. Obwohl in der Straße Tempo 30 gelte, rasten plötzlich auch aus der anderen Fahrtrichtung Autos durch die Straße, in der Hoffnung, damit Richtung Zentrum abkürzen zu können – was wegen eines Wendehammers am Ende der Schwartzkopfstraße jedoch gar nicht geht.
Initiative will Einbahnstraße beibehalten
Die Initiative setzt sich seit mehreren Jahren daher für eine weitere Verkehrsberuhigung der Schleife ein. Ideen seien eine Fahrradstraße oder eine verkehrsberuhigte Zone. Abwechselnd in die Straße hineinragende Bordsteinzungen und Bremsschwellen, sogenannte „Berliner Kissen“, könnten nach ihren Vorstellungen das Tempo weiter aus der Straße nehmen.
Ähnliche Töne schlug Stefan Lehmkühler vom Netzwerk Fahrradfreundliche Mitte an. „Es ist unverständlich, warum jetzt diese Änderung erfolgt, statt generell über die Entwicklung der Verkehrssituation vor Ort zu diskutieren“, sagte er. Man müsse gemeinsam überlegen, wie man den Straßenraum zu einem Bereich umgestalten könne, bei dem die Aufenthaltssituation im Vordergrund stände. Anschließend wäre es dann möglich, einen verkehrsberuhigten Bereich auszuweisen. Helfen könnte dabei ein Treffen mit Weißler am Dienstag vor Ort, so Lehmkühler.
Stadträtin Weißler sieht zur Änderung keine Alternative
Die zuständige Bezirksstadträtin Sabine Weißler (Grüne) hingegen sieht derzeit keine Alternative dazu, den Verkehr auch für die Gegenrichtung zu öffnen. Einbahnstraßen dürfen nur angeordnet werden, „wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht“, teilte Weißler auf Anfrage mit. Der häufigste Grund dafür ist eine Straßenbreite von weniger als 4,25 Metern. „Die vorherrschenden 5,60 Meter sind somit rechtlich als ausreichend anzusehen“, so die Stadträtin. Die Einbahnstraßenregelung hätte so schon längst aufgehoben werden können, man habe lediglich bis zum Abschluss der Bauarbeiten um die BND-Zentrale gewartet, teilte Weißler mit.
Anders als die Anwohner befürchten, geht die Stadträtin davon aus, dass sich der Verkehr nun weiter beruhigen wird. „Durch den Gegenverkehr wird in Zukunft der Verkehrsfluss deutlich verlangsamt“, teilte sie im Schreiben an die Anwohner mit. In den ersten Wochen werde es wahrscheinlich etwas eng, solange noch nicht alle von der neuen Regelung wüssten. Danach jedoch solle das Verkehrsaufkommen wie an vergleichbaren Stellen sinken, da Autofahrer solche Engstellen meiden würden.
Zu den Ideen der Anwohnerinitiative sagte Weißler: „Die Straßenverkehrsbehörde hat zu den Vorschlägen regelmäßig Stellung genommen. Es wurde aber nichts versprochen oder in Aussicht gestellt“, sagte sie. Die Vorschläge seien geprüft und beantwortet worden. Weiterhin würde jedoch die verkehrliche Entwicklung beobachtet, um sich zu einem späteren Zeitpunkt erneut zusammen zu setzen.
Wenn die Einbahnstraße Anfang Dezember wieder aufgehoben wird, sollen die Anwohner zudem nicht mehr überrascht werden, teilte Weißler mit. Das Bezirksamt werde sie zuvor per Flyer informieren.
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