Dröhnende Boxen, Lautsprecherwagen, deren Nebelmaschinen Qualm in eine tanzende Menge blasen, Bier am Mittag, Kostüme und kiloweise Glitzer. Das ist politisches Engagement in der Hauptstadt. Der Zug der Liebe ist trotz seines Erscheinungsbilds nämlich keine rein hedonistische Technoparade. Keinesfalls wollen die Veranstalter den Umzug als Nachfolgeevent der Loveparade betrachtet wissen. Im Gegenteil. Bei der Veranstaltung handelt es sich um eine Demonstration, um einen Umzug, der, wenn auch extrem lautstark, für mehr Liebe, soziale Gerechtigkeit und eine sozialere Flüchtlingspolitik demonstriert.
10.000 Menschen, so schätzt die Polizei, sind dem Aufruf gefolgt, um am Sonnabend mit dem Zug der Liebe von der Karl-Marx-Allee bis zur Elsenbrücke am S-Bahnhof Treptower Park zu marschieren. Und das, obwohl der Zug der Liebe wenn schon nicht politisch, dann zumindest als Party an diesem Sonnabend namhafte Konkurrenz hat. Im Reiterstadion am Olympiapark feiern zeitgleich Tausende beim Festival of Colours, wo, in Nachahmung des indischen Holi-Fests, im Stundentakt unzählige Farbbeutel die Massen in bunten Regen tauchen.

Weniger farbenfroh geht es bei der Demonstration in Mitte aber auch nicht zu. Schon mittags um zwölf Uhr, zwei Stunden vor dem Start des Umzugs, bilden Hunderte Demonstranten und Feierwillige einen krassen Kontrast zum Grau des Himmels und der Architektur der Karl-Marx-Allee. Da sind die bauchfrei gekleideten Damen, die vor einem Fahrradgeschäft Sekt mit Club Mate trinken, die Männer, die als Kondome verkleidet sind, Feen, Matrosen und Astronauten. Tatsächlich scheint der Spagat zwischen Techno und Politik, an dem sich der Zug der Liebe versucht, zu gelingen.
Politische Forderungen und leistungsstarke Lautsprecher
Ausdrücklich hatten die Veranstalter der Parade schon im Vorfeld darauf hingewiesen, der Zug wolle keine Plattform bieten für Religionen oder Parteien. Stattdessen gehört jeder Wagen der Demonstration zu einer Initiative, auf deren Forderungen aufmerksam gemacht werden soll. So steht neben dem Truck von „Jugend gegen Aids“ ein Lastwagen einer Organisation zur Flüchtlingshilfe, neben dem der Berliner Tafel das Gefährt einer Bürgerinitiative gegen den Ausbau der A100. Bunt geschmückt sind sie jedenfalls alle. Schließlich ist der Zug der Liebe keine normale Demonstration. Deswegen hat auch jeder der Wagen beides zu bieten: politische Forderungen und leistungsstarke Lautsprecher.
Angeführt wird die Demonstration bei ihrem Start um 14 Uhr vom Wagen des Bündnisses „Berlin gegen rechts“ und „Berlin – Nazifrei.“ Bunte Flaggen wehen im Wind, manche Menschen singen, manche tanzen. Aus den Lautsprechern dröhnt, sich überlappend, der Bass elektronischer Musik. Nur ganz vorne spielt man den obligatorischen Demo-Song „Deine Schuld“ von den Ärzten. An der Michaelbrücke verlässt der erste Wagen den Zug der Liebe, um sich am Hauptbahnhof der rechtspopulistischen Kundgebung entgegenzustellen. Der Rest des Umzugs zieht weiter. Feiernd – und demonstrierend – geht es über Mühlenstraße und Stralauer Allee bis zum Treptower Park. Auch am anderen Ende der Stadt wird derweil noch gefeiert. Am Olympiapark sollte das Festival of Colours noch bis zum Abend andauern. Gegen 22 Uhr sollten die letzten DJs ihr Programm beenden. Um diese Zeit sollte auch die Demonstration des Zugs der Liebe ihr Ende gefunden haben. Die Party allerdings noch lange nicht. Wer wollte, konnte im Club Magdalena bei der After-Party der Liebe feiern. Die letzten Demonstranten, davon darf man ausgehen, würden noch bis zum Sonntagmorgen weitermachen.
Demos von Linken und Rechten bleiben friedlich
Knapp 1000 Menschen haben am Sonnabendnachmittag in Berlin gegen einen zeitgleich stattfindenden Aufzug rechter Gruppen im Regierungsviertel demonstriert. Damit blieb die Teilnehmerzahl der Veranstaltung unter dem Motto „Für ein solidarisches Berlin – gegen rechte Hetze“ deutlich hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Zu der Demonstration hatten im Vorfeld Parteien, Verbände und Gewerkschaften aufgerufen.
Die Demonstranten waren mit knapp zweistündiger Verspätung vom Alexanderplatz bis zur Dorotheenstraße gezogen. Dort hatte die Polizei umfangreiche Absperrungen vorgenommen, da in unmittelbarer Nähe auch der Aufmarsch der rechten Gruppen vorbeiführte. Trotz einiger Aufrufe im Internet, die Absperrungen zu durchbrechen und sich der rechten Demo in den Weg zu stellen, blieb es bis zum Schluss ruhig. Dafür sorgte nicht zuletzt ein Polizeiaufgebot von 1700 Beamten.
An dem rechten Aufmarsch nahmen nach Angaben eines Polizeisprechers etwa 1300 Menschen teil. Sie zogen vom Hauptbahnhof über Reinhard- und Luisenstraße einmal um das Regierungsviertel. Auch hier blieben Zwischenfälle aus. Vereinzelte Rechte erhielten Anzeigen wegen Zeigens des Hitlergrußes. Aufgerufen hatte ein Bündnis „Wir für Berlin & Wir für Deutschland“, der Aufzug stand unter dem Motto „Merkel muss weg“. Unter den Teilnehmern befanden sich auch viele Mitglieder von Neonazi- und Hooligangruppen, unter anderem aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Mehrere Redner kritisierten massiv die Flüchtlings- und Asylpolitik der Bundesregierung.

Im März dieses Jahres hatte das rechte Bündnis für seine erste Demon- stration in Berlin noch 3000 Anhänger mobilisieren können. Bei einer zweiten Demonstration waren es im Mai noch 1800 Sympathisanten. Wegen der Aufzüge kam es am Sonnabendnachmittag in Mitte zu zahlreichen Verkehrsbeeinträchtigungen.