Der Mann steckt in der Krise. Von dem New Yorker Komponisten Steven Lauddem (Peter Dinklage) wird eine große Oper erwartet. Aber seit Jahren hat er nichts geschrieben, fehlt ihm jegliche Eingebung. Aus Frust trinkt er sogar tags in Kneipen. Dort lernt er eine Schlepperkapitänin, Katrina (Marisa Tomei) kennen, die ihn, so eindeutig sind die Anspielungen hier, wirklich abschleppt. Nach einem Quickie auf ihrem Boot überkommen den Mann Schuldgefühle. Aber auch eine Eingebung. So entsteht wirklich eine große Oper: über eine Schlepperkapitänin, die Männer auf ihr Boot lockt und dann dahinmeuchelt. In der Premiere der Oper sitzt dann aber auch – Katrina. Die sich nun sogar als Muse von Steven sieht. Und sich in sein Leben drängt.
Die Berlinale steckt auch in der Krise. Die ist nicht selbstverschuldet, sondern hat mit der Pandemie zu tun. Zwei Jahre lang gab es nur Sparauflagen mit schmerzlichen Einschränkungen. Jetzt soll das Festival wieder wie früher, vor Corona, abrollen. Auch von den beiden Festivalchefs wird da ganz große Oper erwartet. Also ein Festival voller Stars, guter Filme, politischer Haltung. Und einem Eröffnungsfilm, der Lust auf die nächsten Tage macht.
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Auf der Richter-Skala der Berlinale-Eröffnungsfilme rangiert dieses Werk weit oben
Letzteres ist nicht selten ein Problem. Wir haben hier schon großartige Eröffnungsfilme erlebt wie das Musical „Chicago“ oder den Piaf-Film „La vie en rose“, aber auch schon ganz schwermütige wie das eisige Polardrama „Nobody Wants the Night“, das keine Festivalstimmung aufkommen ließ. Eine Komödie wie Rebecca Millers „She Came To Me“ als Eröffnungsfilm scheint da erst mal eine schräge Wahl. Aber dann auch wieder eine goldrichtige. Weil es keine bloße Feelgood-Komödie ist. Es geht durchaus um schwierige Themen.
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Denn der Komponist in der Schreibblockade ist nur ein Strang von vielen, die hier puzzleartig zusammenkommen. Seine Gattin Patricia (Anne Hathaway) leidet unter Ordnungswahn und ist es leid, als Psychiaterin nur Gutbetuchte auf ihrer Couch zu behandeln. Der Fehltritt ihres Gatten ist ein Anstoß für sie, eine Zäsur zu setzen und ihr Helfersyndrom besser einzusetzen. Und da ist noch Julian (Evan Ellison), ihr Sohn aus erster Ehe, der ausgerechnet mit Tereza (Harlow Jane) zusammen ist.
Regisseurin Rebecca Miller ist zum vierten Mal mit einem Film auf der Berlinale
Deren Mutter (Joanna Kulig) ist die Putzfrau bei den Lauddems. Und deren rassistischer Stiefvater will die Beziehung der minderjährigen Tereza mit dem schon 18-jährigen Schwarzen unterbinden, und das sogar juristisch. Auch da muss wieder die ruppige Schlepperkapitänin ran – und das junge Paar in einen Bundesstaat bringen, wo man schon unter 18 heiraten kann. Aber fernab der Landesgrenzen, die von der Polizei kontrolliert werden, auf dem Wasserweg.
Klingt schräg? Ist es auch. Da prallen viele Gegensätze aufeinander, Mittelschicht auf Kulturschickeria, Patchworkfamilien mit mal gutem, mal bösem Stiefpapa. Und es gibt viele virulente Vorurteile gegen andere Klassen und Hautfarben. Wogegen, das ist sehr erfrischend, die Kleinwüchsigkeit des Hauptdarstellers Dinklage einmal keine Rolle spielt.
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Filmemacherin Rebecca Miller, die schon drei Mal auf der Berlinale verzauberte und bei der wir daher nur der Vollständigkeit halber erwähnen, dass sie die Tochter von Arthur Miller und die Frau des Ausnahmeschauspielers Daniel Day-Lewis ist, gelingt es mit ihrer sechsten Regie-Arbeit, durchaus schwere Themen anzusprechen und doch leichtfüßig und verschmitzt aufzulösen. Ihr Film mit seinen liebevollen Großstadtneurotikern der Upper Class, Psychocouch inklusive, erinnert an Filme, wie sie Woody Allen einst gedreht hat, wie sie ihm aber schon lange nicht mehr gelingen.
Ein Happy End mit Weltraumoper und Aliens – das muss man sich erst mal trauen
Der Film ist auch deshalb ein guter Eröffnungsfilm, weil er gleich am ersten Abend eine Riege veritabler Hollywood-Stars auf den Teppich bringt. Marisa Tomei, Spider-Mans Tante, Anne Hathaway, die den Film auch koproduziert hat, und Peter Dinklage, Star der Kultserie „Game of Thrones“. Zum ganz großen Auftakt fehlen vielleicht noch echt große Kino-Bilder. Aber „She Came to Me“ bewegt sich auf der Richter-Skala der Berlinale-Eröffnungen doch ziemlich weit oben. Und ist auf seine Art große Oper. Und eine Weltraumoper mit Aliens als Happy End - das muss man sich auch erst mal trauen.