Während seiner Amtszeit hatte Charlottenburg-Wilmersdorfs Ex-Baustadtrat Marc Schulte (SPD) eine Bebauung der Tennisplätze im Woga-Komplexes am Kurfürstendamm stets ausdrücklich begrüßt. Im Oktober 2015 entschied er über den Siegerentwurf mit. Erst kurz vor Ende seiner Amtszeit im November 2016 wollte er die Bebauung jedoch stoppen. Am vergangenen Mittwoch stand Schulte den Bezirksverordneten im „Nichtständigen Ausschuss Woga-Komplex“ Rede und Antwort.
Schulte verteidigt Auswahlverfahren für Siegerentwurf
Am 16. Oktober 2015 wurde im Rahmen eines Gutachterverfahrens aus drei eingereichten Architekturentwürfen ein Sieger gekürt. Die dreiköpfige Jury bestand neben Schulte aus einem Vertreter des Grundstückseigentümers Shore Capital und Matthias Dunger, dem zuständigen Referenten beim Landesdenkmalamt Berlin (LDA). Den Zuschlag erhielt Grüntuch Ernst Architekten für ein Glasgebäude mit 70 luxuriösen Eigentumswohnungen.
Ein öffentliches Wettbewerbsverfahren sei besser gewesen, räumte Schulte ein. Das hätte aber die Zustimmung des Eigentümers vorausgesetzt. Diese habe es nicht gegeben. Durch seine Teilnahme habe die öffentliche Hand wenigstens ein Mitspracherecht gehabt. Ein Verfahren in „voller Transparenz mit den Vertretern der Fraktionen“. Diese waren als Gäste geladen, hatten jedoch kein Stimmrecht. Dunger vom LDA fand bei seiner Anhörung vor dem Ausschuss im Dezember deutlichere Worte. Er nannte die Jurysitzung eine „völlig bescheuerte Veranstaltung“, den Siegerentwurf aber den „am wenigsten schlimmen“.
Kehrtwende bei Einwohnerversammlung
Seit einem Votum des Landesdenkmalrats (LDR) aus dem Sommer 2016 sei für ihn die denkmalschutzrechtliche Frage geklärt, so Schulte. Das Beratergremium beim Senat habe festgestellt, dass gebaut werden könne, ohne dass der Denkmalwert der Gesamtanlage geschmälert werde. Diese Frage bedürfe Schultes Ansicht nach keiner weiteren Diskussion: „Da besteht Baurecht.“
Ob ein Vorhaben im Inneren des Woga-Komplexes genehmigungsfähig ist, sei laut Schulte rein städtebaulich zu bewerten und hänge vom individuellen Bauantrag ab. Ausnahmegenehmigungen könnten erteilt werden, wenn keine städtebaulichen Gründe dagegen stünden. Und füge sich das Bauwerk in die Eigenart der Umgebung, könne eine solche Genehmigung laut Baugesetzbuch (§34) nicht versagt werden, argumentierte der Ex-Stadtrat. Auf dieser Grundlage hätte der Siegerentwurf aus dem Oktober 2015 keine Chance auf Genehmigung gehabt. Daher habe er Shore Capital vermittelt, zu überarbeiten und insbesondere zu verkleinern. „Der Investor hat dann das Gegenteil getan“, so Schulte.
Am fünften Juli 2016 wurde das Bauvorhaben im Rahmen einer Einwohnerversammlung erstmals öffentlich vorgestellt. Hier habe er seine Meinung geändert, so Schulte. Er habe dort sehr deutlich Position dagegen eingenommen, „weil bestimmte Dinge für uns auch neu waren“. Dabei nannte er die Größe, den Grad an Versiegelung und Abschottung hin zu einer Gated Community mit umzäunten Gärten im Innenhof. Zu diesem Zeitpunkt lag der Bauantrag bereits seit drei Monaten vor.
Schulte sieht Verantwortung bei seinem Nachfolger
Aufgrund städtebaulicher Bedenken rief Schulte im Nachgang das Baukollegium an. Das Beratungsgremium bei der Senatsbauverwaltung gab seiner Einschätzung am 17. Oktober 2016 Recht und empfahl „das Vorhaben städtebaulich nicht zu unterstützen“. Am dritten November leitete Schulte eine Anhörung des Eigentümers vor Versagen der Ausnahmegenehmigung ein. Das ihm untergeordnete Stadtplanungsamt demonstrierte allerdings dagegen und hatte zu diesem Zeitpunkt den beantragten Ausnahmen bereits zugestimmt. So habe er die Anhörung am 16. November anweisen müssen. Am darauffolgenden Tag gab Schulte sein Amt an Oliver Schruoffeneger (Grüne) ab.
„Ich weiß nicht, ob es so geschickt war, dass das Bezirksamt dort in den letzten Monaten nicht gehandelt hat“, so Schulte. Denn auf Grundlage seiner Verfügung hätte man den Antrag Ende 2016 rechtlich sauber ablehnen können, lautet seine Einschätzung.
Schruoffeneger wollte genehmigen
Dem widersprechen zwei Gutachten, die Schruoffeneger zu Beginn seiner Amtszeit anfertigen ließ. Sowohl das bezirkliche Rechtsamt, als auch eine externe Anwaltskanzlei seien zu dem Schluss gekommen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit „ein Anspruch auf Genehmigung besteht und das Bezirksamt bei einer Verweigerung der Genehmigung mit Schadensersatzforderungen konfrontiert würde“, heißt es in einer Mitteilung des Bezirksamts aus dem April 2017. „Das hat auch ganz stark damit zu tun, dass dem Bauherrn über zwei Jahre hinweg in Schreiben Zusagen gemacht wurden, auch mit den Unterschriften von Herrn Schulte“, sagte Schruoffeneger damals.
Um Schadensersatz in Millionenhöhe abzuwenden, wollte Schruoffeneger eigentlich genehmigen. Im Juli 2017 fasste die BVV einen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan zugunsten einer Kita auf dem Grundstück und sicherte es im Januar mit einer Veränderungssperre ab. Der Investor hat den Bezirk derweil vor dem Berliner Verwaltungsgericht wegen Untätigkeit verklagt.
Bislang kein eindeutig Verantwortlicher gefunden
„Die entscheidende Frage bleibt aber immer noch: Besteht auf dem Grundstück Baurecht und wenn ja, wie wurde dieses geschaffen?“, so der Ausschussvorsitzende Johannes Heyne (FDP). Dem seien alle anderen Fragen unterzuordnen. Bisher ergebe sich ein Bild vieler beteiligter Akteure, die in der Frage der Verantwortung aufeinander verweisen. Schulte sah die denkmalschutzrechtliche Frage als geklärt an. Dem LDA wurde aber laut Aussage des Referenten Dunger bislang kein Bauantrag zur Stellungnahme vorgelegt. Bedenken habe man frühzeitig zurückgestellt. „Wenn mir der Leiter des zuständigen Stadtplanungsamts sagt, dass das ein bebaubares Grundstück ist, dann gehe ich davon aus, dass hier Planungsrecht besteht“, so Dunger im Dezember.
Für Heyne schließt sich hier die Frage an, wann und warum es seitens des Leiters des Stadtplanungsamts, Rainer Latour, ein Umdenken gegeben hat. „Denn dem Vorbesitzer hat er stets signalisiert, dass der aus denkmalschutzrechtlichen Aspekten kein Baurecht hat.“ 2013 hat Shore Capital das Grundstück noch als Erholungsfläche für knapp eine halbe Million Euro gekauft. Im August 2014 spricht Latour dann in einer Email an den Leiter des LDA, Jörg Haspel, von der „notwendigen Ergänzung“ der Mendelsohn-Bauten. Diese Aussage wollte Latours damaliger Vorgesetzter Schulte im Ausschuss nicht kommentieren.