Die ersten beiden Gebiete hat das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf unter Milieuschutz gestellt. Die Verordnungen für die zwei Areale rund um den Gierke- und Mierendorffplatz treten aber erst mit der Veröffentlichung im Gesetzblatt in Kraft. Die solle zeitnah erfolgen, sagte Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) in der letzten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses vor der Sommerpause. Baumaßnahmen an Wohnhäusern stehen dann unter Genehmigungsvorbehalt des Bezirks.
Allerdings fehlt aktuell noch das Personal, um entsprechende Anträge zu prüfen und darüber zu entscheiden. Dafür hat das Bezirksamt zwar extra zwei neue Stellen geschaffen. Besetzen könne es sie allerdings frühestens zum Jahreswechsel, so Schruoffeneger. Weil die Anträge jedoch nur drei Monate zurückgestellt werden könnten, denke er auch über Amtshilfe aus anderen Bezirken nach, um eine gewissen Zeit zu überbrücken. Die Quantität der Anträge sei allerdings kaum absehbar.
Antrag auf Milieuschutz am Klausenerplatz wird geprüft
Derweil diskutiert Charlottenburg-Wilmersdorf schon über ein drittes Milieuschutzgebiet. Ein entsprechender Einwohnerantrag wurde ebenfalls in dieser Sitzung angenommen und auf den Verwaltungsweg gebracht. Darin fordern fast 1500 Charlottenburger eine sogenannte Erhaltungsverordnung für ein vergleichsweise großes Gebiet rund um Klausener- und Amtsgerichtsplatz. Konkret geht es um das Areal zwischen der Kaiser-Friedrich-Straße und dem S-Bahnring und zwischen der Rönnestraße am S-Bahnhof Charlottenburg und der Pulsstraße westlich des Schlossgartens.
Die Durchschnittsmieten seien dort zuletzt um zehn Prozent gestiegen und viele Normalverdiener könnten sich das nicht mehr leisten, sagt Klaus Helmerichs, einer der Mitinitiatoren des Antrags. Zwar ist insbesondere die Gegend rund um den Klausenerplatz als potentielles Milieuschutzgebiet schon länger im Gespräch. Ein umstrittenes Gutachten sah jedoch zuletzt keine Möglichkeit, eine entsprechende Verordnung rechtssicher zu erlassen. Der maßgebliche Grund: Der Anteil an landeseigenen Wohnungen sei zu groß. Das will Helmerichs aber nicht gelten lassen. „Die rechtlichen Eigentumsverhältnisse rechtfertigen nicht, dass Verdrängungsdruck entsteht.“ Dass sich landeseigene Wohnungsgesellschaften sozial verhalten würden, sei kein pauschales Argument, da es in der Vergangenheit häufig nicht so gewesen sei. Denn auch sie hätten sich bisher zumeist am Mietspiegel orientiert und die Mieten angezogen.
Umstrittenes Gutachten soll aktualisiert werden
Baustadtrat Schruoffeneger will jetzt eine Aktualisierung des Gutachtens in Auftrag geben, das noch aus der Zeit seines Vorgängers Marc Schulte (SPD) stammt. Dieses müsse dann nachweisen, dass es den Verdrängungsdruck trotz der landeseigenen Wohnungen gibt, um eine Erhaltungsverordnung erlassen zu können. Andernfalls wäre es ein Argument für Klagende dagegen. Damit gehe es letztlich auch um den Zuschnitt des Gebiets.
Hinsichtlich des Gutachters gebe es laut Schruoffeneger zwei Optionen. „Wir müssten eigentlich nicht neu ausschreiben, sondern könnten einen Folgeauftrag an den bisherigen Gutachter vergeben." Das würde zwar schneller gehen, weil die Gutachtergesellschaft Argus GmbH bereits eingearbeitet sei. Allerdings werde das Bezirksamt prüfen müssen, ob bei besagter Firma nicht eine Befangenheit vorliege. Diese besteht laut Initiator Helmerichs darin, dass der Geschäftsführer auch Eigentumswohnungen am Klausenerplatz besitzen soll.
Milieuschutz: Kunst des Möglichen oder falscher Weg
Der Milieuschutz ist als Maßnahme durchaus umstritten und auch bei Befürwortern kein Allheilmittel. „Ob er hundertprozentig wirkt, bezweifle ich auch, aber ich denke, wir sollten zu jedem Strohhalm greifen, der uns zur Verfügung steht um Bürger vor der Verdrängung zu bewahren“, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses, Wolfgang Tillinger (SPD). Die CDU dagegen lehnt den Antrag entschieden ab. „Das würde nur kaschieren, was der Senat lange versäumt hat, nämlich bezahlbare Wohnungen zu bauen“, sagt Ausschussmitglied Hans-Joachim Fenske. Außerdem habe der rot-rote Senat in der Vergangenheit zahlreiche Wohnungsbaugesellschaften privatisiert. Ein sachfremdes Argument, findet Helmerichs. „Es ist falsch, die Mieter zu bestrafen, weil die SPD in der Vergangenheit falsche Politik gemacht hat.“
FDP und CDU gegen den Milieuschutz
Auch die FDP ist gegen den Milieuschutz. Der Fraktionsvorsitzende Johannes Heyne sieht die wohnungspolitische Priorität neben Neubau vor allem auch darin, die Eigentumsquote zu erhöhen, um den Einwohnern eine Perspektive zu geben, im Bezirk alt zu werden. Außerdem würde die Erhaltungsverordnung auch notwendige Sanierungen behindern. Denn dort, wo eine Milieuschutzverordnung gilt, müssen sich Eigentümer nach Paragraf 172 des Bau-Gesetzbuchs Umbauten, Modernisierungen, Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen und Abrisse vom Bezirk genehmigen lassen.
Das kann „zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ verwehrt werden. Mit Verweis auf die beiden jetzt geschaffenen Gebiete stellt Stadtrat Schruoffeneger jedoch in Aussicht, kleinere Dinge relativ schnell durchwinken zu wollen. „Ein neues Klo, das zu einer Mietsteigerung von 3,50 Euro führt, ist nicht das Problem.“ Es gehe ihm vielmehr darum, den spekulativen Umgang mit Mietwohnungen im Bezirk zu verhindern.