Berlin. Das Haus ist fast fertig, die Parkplätze sind weg: In der Landsberger Allee herrscht bei Mietern über den Neubau in ihrem Hof Empörung.
Das Objekt der Wut ist da. Acht Geschosse hoch, mit Platz für 32 Wohnungen. Lange haben sich die Nachbarn der Landsberger Allee 62c dagegen gewehrt, dass es in ihrem Hof im Zuge einer berlinweit angeordneten Nachverdichtung entsteht. Am Freitag war Richtfest. Und wer sich unter Nachbarn umhörte, erfuhr, dass ihr Zorn darüber längst nicht abgeklungen ist.

Im Jahr 2018 wurde eine Anwohnergruppe aktiv. Sie wandte sich gegen Pläne der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft WBM, vor ihren Fenstern ein neues Haus zu bauen. Die Mieter beklagten, dass der dortige Parkplatz wegfallen werde und dass im Bestand von 20 Bäumen Fällungen anstünden. Zudem warnten sie vor einer Verschattung der unteren Wohnungen.
Nachverdichtung in Friedrichshain: Die Wohngesellschaften wurden verpflichtet
Was ihnen bevorstand war aber Teil etwas viel Größeren. Die Kooperationsvereinbarung „Leistbare Mieten, Wohnungsneubau und soziale Wohnraumversorgung“ vom April 2017 verpflichtete die städtischen Wohnungsbauunternehmen dazu, durch Bau ihre Bestände um 30.000 Wohnungen zu erhöhen. Das geschieht etwa durch die Bebauung von Hinterhöfen und, in geringerem Maß, Dächern.
Einer der Aktivisten von 2018 ist Wolfgang Schmelzer. Der 83-Jährige zeigte sich am Freitag von dem, was er jahrelang nur aus Computervisualisierungen und Bauplänen kannte, schockiert. Von seiner Etagenwohnung aus blickt er jetzt direkt auf den Bau. „Meine Wohnung wird ein Brutkasten, denn das neue Haus wirft die Sonneneinstrahlung zurück auf meine Fassade.“ Nachbarn der unteren Geschosse hätten ihm zudem berichtet, dass es in ihren Zimmern nun dunkler sei. Schmelzer: „Und mit 32 Wohnungen ist das Berliner Wohnungsproblem doch nicht gelöst.“
Diffuse Sorge vor dem, was jetzt kommt
So sieht das auch der 82 Jahre alte Bernd, der im Hof den neuen Bau misstrauisch beäugte. „Wer weiß, wer jetzt da einzieht“, sagte der ehemalige Banker. Worauf er anspielte: Die Wohnungen sind zu 100 Prozent gefördert. Das heißt, nur wer einen Wohnberechtigungsschein hat, kommt hinein. Ab dem vierten Quartal 2023 werden die Appartements angeboten.

„Die gesamte Siedlung ist mit so einem Bau zerstört“, sagte Bernd. Und: Die wenigen Wohnungen rechtfertigten nicht, dass viele alte Bäume dafür verschwinden mussten. Beim Richtfest nahm WBM-Co-Geschäftsführer Steffen Helbig auf diesen früh von Anwohnern geäußerten Vorwurf Bezug: „Wir werden dafür Ausgleich schaffen.“
Nachverdichtung: Gegner besetzten Bäume in Friedrichshain
Ihrem Zorn über den Verlust von Grünfläche im Viertel machten Aktivisten Anfang 2022 Luft. Als an der Pintschstraße für eines der zwei parallel verlaufenden Nachverdichtungsprojekte der WBM in Friedrichshain Bäume gefällt werden sollten, besetzten Naturschützer diese. Den zum Abholzen verpflichteten Dienst vertrieben sie. Am Ende wurden die Fällungen per Polizeischutz durchgesetzt.
An der Landsberger Allee will die WBM nun eine Reihe ökologischer Elemente in Haus- und Landschaftsgestaltung einbringen. Dach und Fassade werden begrünt, die rund 19 mal 19 Meter große Gebäudefläche umgibt zukünftig eine Wildblumenwiese.
Drei Gebäudeprojekte wurden gleichzeitig geplant
Wie Projektleiterin Yildiz Aslandogan sagte, habe man bei den drei gleichzeitig vorangetriebenen Vorhaben – dazu zählt auch die Eckertstraße – baugleiche Module verwendet, was das Tempo erhöhte und Kosten reduzierte. Zudem wurden in Holzrahmenbauweise Halbfertigteile verwendet.
Beim Richtfest am Freitag sagte Stephan Machulik, Staatssekretär für Wohnen und Mieterschutz, die drei Projekte der WBM demonstrierten, wie in Berlin in zentraler Lage attraktiver und bezahlbarer Wohnraum entstehen könne. „Und die drei Schwesternprojekte zeigen auch, dass maßvolle Nachverdichtung kein Schreckgespenst sein muss“, so Machulik. Nach anderthalbjähriger Bauphase will die WBM im vierten Quartal 2023 für die Landsberger Straße 62c mit der Wohnungsvergabe beginnen. Im März kommenden Jahres soll der Bau fertig sein.
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