Berlin. Die Bundesregierung plant eine Liberalisierung der Abgabe-Bestimmungen. Wie aber stehen Lehrer und Experten dazu? Ein Ortsbesuch.

Das Thema ist in aller Munde: Der Kauf und Besitz von Cannabis soll nach Plänen der Bundesregierung künftig im bestimmten Rahmen erlaubt sein. Eltern, Lehrer und Experten der Suchtprävention stellt dies vor neue Herausforderungen. Am Mittwoch war in Mitte zu einer Informationsveranstaltung für junge Menschen geladen. Lehrkräfte und Berater berichteten da von der neuen Situation, in der zudem E-Zigaretten bei Teenagern immer beliebter werden.

Mit einem Konzept der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hatten unter anderem die Fachstelle für Suchtprävention Berlin und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg ins Kino International geladen. Bei den JugendFilmTagen wurden 262 Schüler aus den Klassenstufen sieben bis zehn zum Thema „Nikotin und Alkohol, Alltagsdrogen im Visier“ an Ständen und in einem abschließenden Kinofilm aufgeklärt.

Berlin: Schüler testen den Einfluss von zu viel Alkohol oder Drogen

Die jungen Menschen arbeiteten sich anhand von Quizaufgaben von Station zu Station. Bei zwei beratenden Polizisten etwa sollten sie einen Parcours ablaufen, was sie allerdings mit einer sogenannten Rauschbrille zu absolvieren hatten. So wurde ihre Sicht derart eingeschränkt, wie es Menschen unter dem Einfluss von zu viel Alkohol oder von Drogen erleben.

Dabei zuzuschauen sorgte bei den Klassenkameraden natürlich für große Heiterkeit. „Jetzt weiß ich, warum Betrunkene so seltsam laufen“, sagte der zwölfjährige Elio aus der 7b des Leibniz-Gymnasiums in Kreuzberg. Wer das allerdings selbst ausprobierte, wirkte danach kurzzeitig verstört.

Doch die Vorlieben und Interessen der jungen Menschen sind im Begriff sich zu verändern. Laut einer im Juni veröffentlichten Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung trinken nur noch 8,7 Prozent der zwölf- bis 17-jährigen Jugendlichen regelmäßig, das heißt mindestens einmal wöchentlich, Alkohol. Dagegen waren es 2004 noch 21,2 Prozent.

„Jetzt ist der Moment, über Cannabis aufzuklären“

Die Raucherquote liegt sogar auf historischem Tiefstand: 6,1 Prozent der zwölf- bis 17-Jährigen Jugendlichen gaben an, zu rauchen. 2001 waren es 27,5 Prozent.

Andrea Robin vom schulpsychologischen und inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrum (SIBUZ) Friedrichshain-Kreuzberg
Andrea Robin vom schulpsychologischen und inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrum (SIBUZ) Friedrichshain-Kreuzberg © Patrick Goldstein

So haben die Veranstalter der am Donnerstag endenden Veranstaltung im Kino International den Fokus erweitert. „Jetzt ist der Moment, über Cannabis aufzuklären“, sagte Merle Krause, Referentin in der Fachstelle für Suchtprävention Berlin. Sie beobachtet, dass Jugendliche durch die aktuelle Diskussion neugierig werden. Legalisierung klinge in ihren Ohren nach „normal“.

Gesundheitliche Konsequenzen

Für vom Land geförderte Träger wie ihre Fachstelle müssten in dieser Situation entschieden gegensteuern. „Diejenigen, die jetzt 14- bis 16 Jahre alt sind, werden etwa dann volljährig, wenn in Deutschland die Legalisierung umgesetzt wird.“ Sie müssten von den zuständigen Initiativen sowie Schulen jetzt intensiver über die gesundheitliche Wirkung von Cannabis informiert werden, damit sie mit 18 Jahren genau wissen, worauf sie sich möglicherweise einlassen.

„Ihnen soll klar gemacht werden“, sagte auch Romy Kistmacher von der Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, „was das in der Nutzung für gesundheitliche Konsequenzen hat. Und dass es eine Substanz bleibt, zu der man erst ab 18 Jahren Zugang haben darf.“

Neue Art des Konsums

Laut der Bundesumfrage vom Juni liegt der Anteil derer, die Cannabis schon einmal probiert haben, unter den Zwölf- bis 17-Jährigen bei 9,3 Prozent in 2021. Im Jahr 2011 waren es nur 6,7 Prozent.

Im ersten Stock des Kinos hatte die Fachstelle für Suchtprävention am Mittwochmorgen beim Info-Stand zu Nikotin diesmal auch viel zu Shishas und E-Zigaretten vorbereitet. „Shisharauchen ist genauso schädlich wie Zigaretten, wenn nicht noch mehr“, warnte der Projektmitarbeiter eine Gruppe Jugendlicher. Die relativ neue Art des Konsums ist beliebt. „Das ist angesagt“, erzählte Cansu Karadumann, Lehrerin an der Hector-Peterson-Schule in Kreuzberg. Auf Klassenreise an der Ostsee mit 15- bis 17-Jährigen habe sie jüngst klar gemacht, dass das nicht geduldet wird. „In der Schule ist es ja auch verboten“, sagte sie.

Volljährige verkaufen E-Zigaretten-Zubehör „wie Dealer“

Am Nikotinstand berichtete der Projektmitarbeiter, dass für Minderjährige Ausrüstung und Flüssigkeiten für E-Zigaretten leicht zu bekommen seien. Er schätze, jeder zweite Späti gebe das an sie ab, obwohl der Erwerb erst ab 18 Jahren erlaubt ist. Auch sei ihm bekannt, dass Volljährige dies an Jugendliche verkaufen. „Wie Dealer eben“, so der Experte.

Die genauen Zahlen zum Konsum von Alkohol und Nikotin in Friedrichshain-Kreuzberg kennt Andrea Robin vom schulpsychologischen und inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrum (SIBUZ) Friedrichshain-Kreuzberg. Im Auftrag der Planungs- und Koordinierungsstelle wurden die Antworten von 3000 Schülern der Klassen sieben bis 13 ausgewertet. Fast täglich Tabak geraucht zu haben, räumten 11,8 Prozent ein. Ebensoviele kreuzten „mehrmals pro Woche“ an.

Das erreicht besonders junge Menschen

Zu Cannabis erklärten 8,9 Prozent, fast täglich konsumiert zu haben. Bei 9,4 Prozent hieß es „mehrmals pro Woche“, bei 8,3 Prozent „einmal pro Woche“.

Insgesamt sieht Andrea Robin vor allem die steigende Gefahr durch Shishatabak und E-Zigarette. Letztere würden etwa beim populären Portal TikTok stark beworben. Das erreicht besonders junge Menschen. In folgenden Studien werde da auch deren Nutzung direkt abgefragt, sagte sie.

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