Berlin. Man muss schon sehr aufpassen als Fußgänger auf der Kreuzberger Bergmannstraße. Die in beide Richtungen führenden Radwege zu kreuzen, ist gefährlich. Berlins Senatsmobilitätsverwaltung wollte da in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin wissen, wie man Radfahrer dazu bringt, rechtzeitig auf die Zebrastreifen zu reagieren. Seit Sommer forscht und schreibt nun Stefan Pretzl an einer entsprechenden Masterarbeit. Seine Erkenntnisse sollen am Ende auf Berlins Straßen umgesetzt werden.
Die Situation auf der Bergmannstraße ist außergewöhnlich. Eine sogenannte selbstständig geführte Radverkehrsanlage gibt es so in Berlin nur noch an der Friedrichstraße. Wie Fußgängerüberwege dafür aussehen und was sie leisten müssen, schreibt eine Richtlinie vor. Allerdings ist sie stark auf Kraftfahrzeuge ausgerichtet. Reine Radwege, so Sara Lühmann, stellvertretende Pressesprecherin der Senatsmobilitätsverwaltung, würden darin nicht betrachtet.
Bergmannstraße: Vergleich zur autofreien Friedrichstraße
Gleichzeitig melden Fußverkehrsverbände, dass man an solchen Überwegen beim Kreuzen des Radwegs häufig nicht ausreichend beachtet wird. Gegner der autofreien Friedrichstraße vergleichen Velofahrer dort mit den Rasern auf der linken Autobahnspur. Und in der Bergmannstraße muss man genauso achtsam über den Radweg gehen wie über eine Verkehrsstraße. Sonst droht eine Kollision mit den oft schneller als mit den vorgeschriebenen zehn Stundenkilometern nahenden Radfahrern. Im Zuge eines Rechtsstreits ließ das Berliner Verwaltungsgericht im Sommer wissen, dass es allein in den Nebenstraßen der Bergmannstraße zwischen 2018 und 2020 insgesamt 14 Fahrradunfälle mit 12 Leicht- und zwei Schwerverletzten gegeben hatte.
Also schrieb die Senatsverwaltung mit der Technischen Universität (TU) eine Masterarbeit aus. Stefan Pretzl, der Planung und Betrieb von Verkehrswesen studiert, bewarb sich und erhielt den Zuschlag. Titel der Arbeit: „Studie zur Gestaltung von Fußgängerüberwegen über selbstständig geführte Radverkehrsanlagen“. Pretzls Ausgangslage ist wohl einzigartig: Die Verwaltung steckt 15.000 Euro in bauliche Veränderungen auf dem Radweg. „Es ist ein Feldexperiment“, urteilt der 30-Jährige.
Bremsen und Ausweichen
Über mehrere Tage hinweg machte er ab Juni 2022 an den zwei Zebrastreifen Vorher-Nachher-Studien. Pretzl erlebte alles, von Radfahrern, die Fußgänger queren ließen, das Bremsen und Ausweichen von Radfahrern und eilig zurücktretende Fußgänger.
Im August dann ließ die Senatsverwaltung an unterschiedlichen Stellen bauliche Sicherheitselemente aufbauen. LED-Leuchten im Boden, ein Fußgängerpiktogramm im roten Dreieck, aufgetragen auf den Radweg, und sogenannte Riffelfelder, die man beim Überrollen spürt. Pretzl schaute wieder genau hin. Ergebnis: Leuchten und Riffellinien wirken am besten. Erstere sind die teuerste Variante. „Bei Erfolg werden die Lichter zukünftig dauerhaft eingeschaltet sein“, kündigte Sprecherin Lühmann an.
Der angehende Verkehrsplaner erwartet, dass sich seine Erkenntnisse auch für die sichere Gestaltung der geplanten und im Mobilitätsgesetz festgeschriebenen Berliner Radschnellverbindungen einsetzen lassen. Endgültige Schlüsse und das Resümee für Masterarbeit und Senatsverwaltung nennt er erst im kommenden Jahr. Sein selbst gestecktes Ziel sei, bis Silvester fertig zu sein.
Tempolimit zu niedrig?
Die Bergmannstraße ist nicht erst seit Pretzls aktueller Studie Test-Ort für Umgestaltung. Das begann schon im vergangenen Jahrzehnt. Sie startete als Begegnungszone mit allerlei Straßenmöblierung. Mehr als 1,1 Millionen Euro wurden investiert. Besonders die Parklets stießen auf Unverständnis und stellenweise Hohn. Inzwischen sind sie an vielen Orten in Berlin beliebte Ruheorte und Treffpunkte. Für eine geplante Umgestaltung des gesamtes Kiezes waren 2020 Kosten bis zu elf Millionen Euro angekündigt worden.
Seit dem vergangenen Jahr ist die Straße komplett entschleunigt. Als Durchfahrtsweg für Autos zwischen Mehringdamm und Gneisenaustraße oder Columbiadamm ist sie nun durch eine neue Verkehrsleitung ungeeignet. Statt dessen lässt sich dort zügig und sicher Rad fahren. Aber nicht zügig genug für manchen.
Keine Gefährdungslage
So forderte ein Berliner in diesem Jahr in einem Eilantrag, das ausgeschilderte Tempolimit für Radfahrer von zehn Stundenkilometern aufzuheben. Er hielt die Anordnung der Begrenzung für rechtswidrig, denn es bestehe dort keine Gefährdungslage, die eine Verkehrsbeschränkung rechtfertigen würde. Zudem, wandte er ein, hielten sich die Radfahrer dort sowieso nicht an die Beschränkung. Das Verwaltungsgericht Berlin wies den Antrag ab.
Studienautor Pretzl indes ist gespannt, ob und wo seine Erkenntnisse zukünftig umgesetzt werden. Bis Januar kommenden Jahres muss er die Masterarbeit einreichen. Sein Fachwissen ist aber schon jetzt gefragt. Nach einjähriger Verpflichtung als Werkstudent wurde er zu zwei Bewerbungsgesprächen nach Leipzig eingeladen. Wie in Kreuzberg gibt es für einen Verkehrsplaner dort viel zu tun.
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