Berlin. Handgeschriebene Briefe kommen gut an. Wer eine „Sauklaue“ hat, kann sie auch schreiben lassen – bei professionellen Schönschreibern.
Wer in die Schreibstatt will, muss klopfen. Keine Klingel, kein Summer, nur eine Tür. Das passt, schließlich ist das, was hinter dieser Tür passiert, ganz und gar analog. Hier wird die Kunst der Schönschrift praktiziert: Werbebotschaften, Einladungen oder Briefe werden von Hand geschrieben. Darunter gerade zu Valentinstag auch viele Liebesbriefe. „Anfang Februar haben wir 30 bis 50 Aufträge, sonst zehn bis 15 in einem Monat“, sagt Thorsten Petzold, Geschäftsführer der Schreibstatt in Kreuzberg, „die meisten kommen auf den letzten Drücker.“
Klar, eine Liebeserklärung zum Valentinstag, zum Geburtstag, zur Geburt eines Kindes, zum Hochzeitstag oder einem anderen ganz persönlichen Jahrestag plant man ja nur selten Wochen im Voraus, eher ist sie ein spontaner Gefühlsausbruch. Und darum ist der schöngeschriebene Brief aus der Schreibstatt dann auch normalerweise am nächsten Tag abholbereit oder wird direkt versendet.
Männer haben weniger Vertrauen in die eigene Handschrift
Die meisten Kunden, etwa 70 Prozent, sind Männer, „sie haben weniger Zutrauen in ihre Handschrift und wohl auch weniger Übung“, glaubt Petzold und gibt zu: „Ich habe selbst eine Sauklaue.“ Die meisten schicken ihre Texte per Mail an die Schreibstatt, da ist die Hemmschwelle am niedrigsten. Aber manche rufen auch an oder klopfen an die Tür. So wie neulich ein Jugendlicher. „Er war vielleicht 16 Jahre alt, hatte gerade jemanden kennengelernt und wollte ihr jetzt seine Liebe offenbaren, den Text hatte er schon in der Hand“, erzählt Petzold. Am nächsten Tag kam er dann wieder, um den Brief abzuholen, er wollte ihn persönlich übergeben und strahlte, als er seine Liebeserklärung in geschwungener Schrift auf dem Papier sah.
Es sei keinesfalls ungewöhnlich, dass junge Menschen die Dienste der Schreibstatt in Anspruch nehmen. Petzold schätzt, dass etwa die Hälfte der Kunden unter 30 ist. Analoge Schönschrift hat offenbar trotz oder gerade wegen der Verlegung der meisten Kommunikation ins Digitale seinen Reiz nicht verloren. In einer Umfrage der Initiative Schreiben stimmten 91 Prozent der 16- bis 30-Jährigen der Aussage zu: „Handgeschriebenes ist von besonderem Wert.“ Bei den Älteren waren es nur 89 Prozent. Eine Liebeserklärung per WhatsApp, vielleicht sogar noch als Abkürzung HDGDL („Hab dich ganz doll lieb“) macht dem klassischen handgeschriebenen Brief wohl keine Konkurrenz.
Der längste Liebesbrief hatte 39 Seiten
Der längste Liebesbrief, der in der Schreibstatt bislang geschrieben wurde, füllte 39 Seiten. Mehr als eine Tagesaufgabe für eine Schönschreiberin, braucht sie doch für eine Seite normalerweise eine halbe bis Dreiviertelstunde. Pro Seite kostet das den Kunden 16,99 Euro. Auftraggeber für den Mammutbrief war ein Mann, „der seiner Lebenspartnerin erklären wollte, warum er in den vergangenen Jahren so und nicht anders handeln konnte“, verrät Petzold. Details plaudert er natürlich nicht aus: „Die Geschichten enden an der Tür.“ Diskretion gehört zum Geschäft, schließlich erfahren die Schönschreiber nicht selten die intimsten Wünsche der Kunden. Und auch als ein Kunde einen Liebesbrief gleich in zweifacher Ausführung bestellt hat – für die Ehefrau und für die Geliebte –, haben sich die Mitarbeiter der Schreibstatt insgeheim sicher ihren Teil gedacht, gesagt haben sie aber nichts.
Insgesamt 80 Schönschreiberinnen arbeiten für Thorsten Petzold, 78 Frauen, zwei Männer. „Frauen scheinen irgendwie mehr Bezug zur Handschrift zu haben“, sagt er. Für die meisten ist es ein Nebenjob, den sie zu Hause ausüben. Drei Schönschreiberinnen sind fest angestellt und arbeiten in dem kleinen Ladenlokal, in dem jeder freie Platz mit einem Schreibtisch gefüllt ist. Liebesbriefe werden ausschließlich hier zu Papier gebracht. Zum Beispiel von Michaela Al-Badri, für die Schönschrift so etwas wie die Leidenschaft ihres Lebens ist. „Selbst Einkaufslisten muss ich schön und fehlerfrei schreiben, Durchstreichen geht gar nicht“, verrät sie. In der Schule gab es nur ein Fach, in dem sie eine Eins hatte: Handschrift. Im Gegensatz zu den anderen Fächern sei sie da immer sehr ehrgeizig gewesen. Später hat sie als Grafikdesignerin gearbeitet und las dann irgendwann Petzolds Anzeige. Seitdem ist die 46-Jährige hauptberuflich Schönschreiberin – und Liebesbriefe gehören für sie zu den schönsten Aufträgen.
Inhaltlich wird nicht eingegriffen
Michaela Al-Badri hat schon viele geschrieben, für den Inhalt ist sie aber nicht verantwortlich. „Wir korrigieren nur Fehler in Grammatik oder Kommasetzung“, sagt Petzold, „ansonsten halten wir uns zurück. Unsere Aufgabe ist es, die Worte in ein schönes Bild zu bringen“, es gehe doch jede Romantik verloren, wenn der Empfänger eigentlich nur damit beschäftigt sei, die Wörter zu entziffern. Inhaltlich greifen sie aber nicht ein. Nur wenn etwas ganz missverständlich ist, fragen sie mal nach. Es käme ja nicht darauf an, einen möglichst geschliffenen Text zu verfassen, sondern er müsse zum Absender passen. Und diese Authentizität rühre doch am meisten – manchmal selbst die Schreiberinnen zu Tränen.
Welche Wirkung der Liebesbrief in Handschrift beim Adressaten hervorruft, erfahren sie allerdings nicht oder nur indirekt. Wenn der Auftraggeber wiederkommt und erneut einen Brief in Auftrag gibt, an die alte oder eine neue Liebe. Oder auch, wenn der Kunde nachfragt, ob der Brief denn auch wirklich abgeschickt wurde, weil er noch gar keine Reaktion bekommen habe. Manchmal schafft es wohl auch der schönste Liebesbrief nicht, einen Menschen für sich zu gewinnen.
Zwischen Tinder und Romantik - Berliner Paare über die Liebe